Seite:Die Gartenlaube (1882) 640.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


die mir das Leben gab, nicht verdienen, wenn ich das Köstlichste, meine Freiheit, leichtsinnig verschleuderte, ohne die vollste Ueberzeugung zu haben, daß ich ein Wesen gefunden, mit dem ich vollständig übereinstimme, das aber kann ich bisher von keiner der vielen jungen Damen sagen, die man so liebenswürdig war mir auf meinem jungen Lebenswege entgegenzuführen – damit ich mich in sie verlieben möchte.“

Die letzten Worte waren bitter gesprochen, mit Schrecken sah die Baronin, daß unter dieser harmlosen Außenseite gleichwohl die Erkenntniß des Neffen geschlummert habe, wie schwer er in der Wagschale der Heirathscandidaten für besorgte Mütter und Tanten falle.

„Mangel an Selbstbewußtsein kann Dir Niemand vorwerfen, Felix,“ sagte die Baronin.

„Ist es etwa Selbstbewußtsein, Tante, wenn ich mir klar und deutlich vor Augen halte, daß der Erbe des stattlichen Gutes von Mancher geheiratet würde, der es ganz gleichgültig ist, ob er die Fähigkeit besitzt, glücklich zu werden und zu machen?“

„Derartige romantische Ideen hätte ich bei Dir nicht gesucht. Was in aller Welt verlangst Du denn? Ist es Dir nicht genug, wenn Du eine schöne, geistreiche, liebenswürdige Frau aus vornehmer Familie bekommst, die zu repräsentiren versteht, die –“

„Verzeih, liebe Tante, daß ich Dir in’s Wort falle! Sieh, ich bin weit anspruchsloser, als Du glaubst, und zumal an die Repräsentation meiner Zukünftigen habe ich noch gar nicht gedacht. Auch verlange ich gar nicht, daß sie besonders geistreich sei. So gern ich mich mit klugen Frauen unterhalte, so wäre es mir sehr unbequem, eine Frau zu besitzen, vor der ich gewissermaßen immer geistig Toilette machen müßte, um ihre brillanten Einfälle zu pariren. Ein mittleres Wissen, ein gesunder Menschenverstand und ein bischen Mutterwitz, vor Allem aber ein treues, gutes Herz – das ist Alles, was ich begehre.“

„Eigenschaften, die auch ein Bauermädchen besitzen kann.“

„Vergiß nicht, Tantchen, daß meine Zukünftige eine Bauersfrau werden wird! Es ist beschlossene Sache, ich baue meine eigene Hufe.“

„Was kümmert mich das? Du bist ein so verwöhnter, eigensinniger Mensch, daß es um jede Mühe, die man sich um Dein Glück giebt, schade ist. Brechen wir ab!“

„Ja, thun wir das und kehren wir zu unserem ersten Thema zurück! Du hast nichts dagegen, liebe Tante, daß Mimi zu Mama geht?“

„Doch!“ entgegnete die Baronin und machte eine sehr würdige Miene. „Du hast mich eben wieder überzeugt, wie unberechenbar die Männer sind, wie selbst die reizendsten Mädchen ihren Ansprüchen nicht genügen. Mimi ist die am wenigsten hübsche der Schwestern, es ist natürlich, daß sie keinen Mann bekommen wird; sie besitzt ja kein Vermögen. Ich folge also nur einer vernünftigen Sitte unserer Zeit, wenn ich sie das Gouvernantenexamen machen lasse, um ihre Zukunft – –“

„Verzeih!“ unterbrach sie Felix, „wenn Mama Mimi zu sich entbietet, so ist es selbstverständlich, daß sie für ihre Zukunft sorgt.“

„Wer bürgt dafür, daß des Mädchens ungestümes Wesen Deiner Mutter behagt, daß diese nicht bald danach strebt, sie wieder zu entfernen?“

„Ich! – Nur an Mimi wird es liegen, daß Waldenburg stets ihre Heimath bleibt.“

Diese Worte wurden mit so gewichtiger Betonung gesprochen, daß die Baronin frappirt aufblickte.

„Felix?!“

„Laß' unausgesprochen, Tante, was Du sagen willst! – Mimi ist noch zu jung, als daß ich den Frieden ihrer Seele stören möchte, gönnen wir ihr, sich in ihrer Harmlosigkeit zu entwickeln! – Bewahre mein Geheimniß, liebe Tante, und wünsche mit mir, daß diese Fahrt in’s frische freie Land doch eine Art Brautfahrt gewesen sei – wenn auch in anderer Weise, als Du und ich gedacht!“




Mimi lebte sich bald in ihrer neuen Heimath ein. Es wurden wohl anfangs noch lange Episteln in's Fräuleinstift nach M. geschrieben, allmählich aber hörten sie auf. Die Vergangenheit versank immer mehr vor der Glücklichen, die ihr Leben erst recht empfangen zu haben meinte, als sie in Waldenburg eine zweite Heimath gefunden hatte.

In einfacher, naturgemäßer Weise und Beschäftigung vergingen die Tage; was es lernend empfing, das gab das junge Mädchen in Fülle zurück durch ihr heiteres, anschmiegendes Wesen – ja, Frau von Waldenburg hatte eine Tochter gefunden. –

Felix kam sich so groß, so verständig vor, als er sich vorgesetzt, zu warten, mindestens ein ganzes langes Jahr zu warten, bis er der kleinen Mimi sagte, daß er sie wolle und keine Andere, aber Theorie und Praxis sind zweierlei – als die Bäume blühten, da streuten sie ihren Schmuck auf ein junges Paar, das Arm in Arm mit glückstrahlenden Mienen unter den grünen Zweigen dahinschritt.

„Zur Strafe, daß Du mich einst aus der Sonne weggelockt, sollst Du jetzt selbst mein Sonnenschein sein, Dein Lebelang! Willst Du's, kleine Mimi?“ hatte er gefragt.

„Ob ich’s will?!“ war die zwischen Weinen und Lachen ertheilte Antwort gewesen. „Aber ich werde es nicht können, ich bin nichts als ein unwissendes Mädchen, das gar kein Zeug in sich hat, eine große Dame zu werden.“

„So gerade will ich Dich. Ein zu fein geschliffener Diamant verliert seine schönsten Strahlen. Ich bin ein einfacher, natürlicher Mensch, und so soll auch mein Weibchen sein. Ich ging aus, um zu suchen, und fand nicht, aber ich fand, wo ich nicht suchte; so muß es sein:

Aus den Wolken muß es fallen,
Aus der Götterhand das Glück!“

Noch ein Jahr bräutlichen Wartens, und dann reichte der Herr Premierlieutenant seinen Abschied ein, um hinfort als ehrsamer Gutsherr auf seinem Gute zu leben.

Bei der fröhlichen Hochzeit, die im nächsten Frühjahre stattfand, hatte Mimi nur eines zu vermissen – die Gegenwart der Schwestern. Aber Mistreß Billings, weiland Elfriede, hob gerade ihr erstes Kindchen aus der Taufe und fühlte sich nicht stark genug zu einer Reise. Und Bertha konnte es Felix denn doch nicht verzeihen, daß er die kleine, unbedeutende Schwester, der doch noch so gar nichts am Heirathen gelegen gewesen war, ihrer stolzen Schönheit vorgezogen hatte. –

Augenblicklich ist für Fräulein Bertha ein noch immer stattlicher Major in Sicht, hoffen wir, daß er, der auch lange vergeblich gesucht hat, in Mimi’s Schwester endlich sein Ideal gefunden haben möge! Bis zur Stunde aber kann das noch Niemand verbürgen.


Kairo.[1]

von Adolf Ebeling.

Kairo ist, wie Alexandria und überhaupt Aegypten, jetzt in Aller Mund, und eine kurze Schilderung der Saracenenstadt dürfte gewiß den Lesern willkommen sein. Ueberdies ist Kairo die bedeutendste und volkreichste Stadt von ganz Afrika, die zweite der gesammten mohammedanischen Welt und weit orientalischer als das allerdings größere Constantinopel, das in vielen Beziehungen längst einen sehr europäischen Anstrich gewonnen hat.

Masr el Kahira, die siegreiche, die herrliche, oder einfach Masr, die Hauptstadt, wie die Aegypter sagen, liegt am rechten Nilufer und nur wenige Meilen südlich von dem Punkt, wo sich der Strom in zwei mächtige Arme theilt, um das Delta zu bilden; deshalb nennen auch die arabischen Dichter in ihren bilderreichen Festgesängen Kairo sehr oft den „blitzenden Diamanten am Griff des grünen Deltafächers“.

Geradezu unbeschreiblich ist der Eindruck, den Kairo beim ersten Anblick auf den angekommenen Fremden macht, denn selbst die bunten, originellen und lebendigen Bilder, die er in Alexandria gesehen, treten dagegen vollständig in den Schatten. Alexandria ist zu sehr mit südeuropäischen Elementen untermischt, sodaß es ganz gut als eine halb italienische, halb griechische Stadt passiren könnte,

  1. Vor der Besetzung Kairos geschrieben.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 640. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_640.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)