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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Du aber? Du?“ flüsterte sie und sah ihm halb lächelnd, halb ängstlich in die Augen.

„Ich? O, i kenn mi halt nimmer aus,“ antwortete er auf gut Nürnbergisch und drückte seine Lippen auf ihren stillen Mund. Und er, der bisher nur den langsamen polnischen Tanz, in dem man gravitätisch dahin wandelte, seiner Würde angemessen gehalten hatte, sprang nun fröhlich mit seiner Elsbeth im letzten Hupfauf.

Dann sagten Alle der fürstlichen Durchläuchtigkeit Valet.

Der Morgen graute schon; die schaulustigen Bürger waren endlich schlafen gegangen, und tiefe Ruhe waltete in der Stadt. Nur aus den Armenhäusern drang frommer Gesang; es waren die Danklieder, welche die herbe Ursel bestellt hatte.

Noch andre Herzen stimmten selig ein: der Rotmund, der endlich seinen Kuß bekam, der Wilhalm, der sich fröhlich in seinem zerrütteten Gemach auf’s Lager warf und feines Läuten im Traum hörte, wie von einem Schlüsselbund.

Und die Elsbeth? Lange noch, nachdem längst ihre Eltern, von dem gehabten Kummer getröstet, ausschliefen, stand sie an ihrem Fenster und schaute in die aufsteigende Morgenröthe. Ihre Nachbarinnen, die Schwalben, erwachten, zirpten und riefen einander zu, und weil sie Niemand hatte, dem sie ihr Herz ausschütten konnte, sprach sie zu den geflügelten Hausgenossen:

„Ihr Schwälblein seid mir das liebste von allem Gethier, das da fleugt. Ihr steuert frei durch die blaue Luft, daß man meint, Eure Fahrt habe kein Ziel. Dann seid Ihr doch glücklich, wenn Ihr Euch im steinernen Nestlein zusammenfindet. So war es auch mit der Sehnsucht in unsren Herzen. Wir wußten nicht, woher sie kam und wohin sie begehrte, bis sie sich nun zur Ruhe setzt in einem traulichen Heimwesen.“ – –

Am andern Morgen ging’s überall still her. Die geschwärmt hatten, schliefen dem Tag die Augen aus. Die Knechte der fremden Gäste packten ein.

Aber allmählich entstand ein Laufen, ein Suchen und Rufen auf der Burg. Der Erzherzog hatte seinen lustigen Rath zu sich befohlen, und der war nimmer zu finden. Erst hielt man es für einen Schalksstreich vom Narren, daß er sich versteckte. Man suchte ihn von der Spitze des Heidenthurmes bis hinab in das Verließ und die Folterkammer. Der Narr blieb verschwunden.

Pfalzgraf Ottheinz meinte:

„Der liebe Gott hat ihn zu sich genommen, hat auch einmal seinen Spaß mit ihm haben wollen.“

Der Erzbischof von Mainz aber sagte: „Der Teufel hat ihn geholt; er stak so voll Ketzerei wie ein alter Pelz voll Motten.“

Endlich hatte ein Stadtsöldner seine Kappe unten im Graben gefunden, innig vereint mit einem Sturz, und brachte beides auf der Spitze seines Spießes getragen.

Jetzt argwöhnte auch der Stadtschultheiß einen Teufelsspuk.

„Er ist der Böse selbst gewesen und gekommen, uns den Sturz zu entführen, und zu Spott und Hohn hat er uns seine Kappe mit dem ehrwürdigen Schmuck vereint zurückgelassen.“

Aber der Erzherzog zürnte ob dieser losen Reden. Er wollte seinen lustigen Rath wieder haben. Aus der Verwunderung wurde Verdruß, aus dem Verdruß Zorn.

Sein Gefolge saß reisefertig unter der Burglinde, die sich zum fünfhundertsten Male gelaubt hatte, und schwang zum Zeitvertreib die großen Krausen, wie man die gerippten Krüge nannte. Es wurde kein Befehl zum Abmarsch gegeben. Ja, der hohe Herr stampfte endlich zornig mit dem Fuße auf und erklärte, er weiche nicht von dannen, bevor ihm Nürnberg seinen lustigen Rath wieder geschafft habe. Durch alle Straßen rannten Boten; der ehrbare Rath rieb sich den Schlaf aus den Augen und versammelte sich, um Hülfe zu schaffen. Der Narr wurde wie ein verlornes Kleinod ausgeschellt.

Schon klang das Mittagsläuten von allen Thürmen, und noch standen die Rosse und Maulthiere im Schloßhofe, saßen die Herren und Knechte beim Frühtrunk.

Da nahte ein stattlicher Zug. Herr Wilhalm Haller schritt voran; vier Knechte trugen einen Schrein ihm nach. Er begehrte Gehör bei Seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit.

Ungnädig nahm der Fürst ihn auf.

Aber Wilhalm sah getrost in das finstre Gesicht des hohen Herrn. Er wußte, wie man einem jungen Herzen beikommt.

So sprach er denn die Betrübniß der Stadt aus über den Verlust des Narren und bot in tiefster Unterthänigkeit einen kleinen Ersatz aus der Hand eines kunstfertigen Bürgers.

Auf einen Wink öffnete sich die Thür; zwei Diener trugen ein holdseliges Engelsbild herein, setzten es nieder und gingen.

Ferdinandus schaute auf.

Da stand sie vor ihm, von dichten Locken umwallt, in züchtige Gewänder bis zur kleinen Fußspitze herab gehüllt. Beschwichtigend hielt sie die feinen Hände empor, und die blauen Augen lachten ihn strahlend an.

Seine fürstliche Durchläuchtigkeit konnte nicht widerstehen. Er neigte das Haupt, man wußte nicht, ob vor dem Huldbilde oder zum Dank gegen Herrn Haller, und sprach dann:

„Wir sind content und wohlzufrieden. Der Engel soll an dem Kanzelfuß unsrer Hauscapelle aufgestellt werden. Alle Heiligen seien gepriesen, daß wir mit so gutem Gewissen ihn an dem heiligen Orte bergen können!“

Dann gab er Befehl zum Aufbruch. – – –

Als in diesem Jahr Fortuna mit ihrem rothen Segel über dem Schützenfeste waltete, wandelte Ursula als Ehegemahl ihres Vetters an seinem Arm durch das Gedränge.

„Es ist der Herr, der überall für die neue Lehre spricht,“ flüsterte das Volk, ihm nachschauend. „Ein stattlicher Mann! Er schaut mild aus, aber ernst, als möchte er nimmer lachen.“

„Desto holdseliger ist sie,“ sagten Andre. „Warum man sie nur die herbe Ursel genannt hat?“

Auch die Rotmundischen schauten dem Paare nach. Mit ihnen war der Wilhalm Haller gekommen, die Elsbeth am Arm, zum letzten Mal als Bräutigam, da andern Tages die Hochzeit sein sollte.

„Was trägt die Ursula für ein Birettlein mit gerade aufsteigender Feder über dem Perlennetz?“ fragte die hübsche Frau den Wilhalm Haller.

„Ein Wiener Putz!“ antwortete dieser. „Ihr Ehewirth ist gut bekannt in Wien; wird ihn haben kommen lassen.“

Frau Rotmundin lächelte ihren Mann an.

„Ich weiß nit, mein Häuble gefällt mir nimmer. Warum ich nur halt meinem lieben Ehegespons deshalb so schwere Tage gemacht habe? Ich will’s nit wieder thun. Aber Du mußt mir auch solch ein Birettlein kommen lassen, Herr Rotmund! Gelt?“

Herr Rotmund seufzte und nickte.

Wilhalm drückte die Hand Elsbeth’s fest an sein Herz und flüsterte:

„Ach Elsbeth, mir gefällt von allen Zierden die Haube am besten, unter die Du morgen kommst.“




Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Von Guido Hammer.
Nr. 50. Waldverbrechen.


Erst vor Kurzem ward die Dresdener Haide von einem ihrer schlimmsten Schlingensteller durch dessen Tod befreit. Der Mann, von dem ich spreche, hat es in seinem fluchwürdigen Handwerke zur wahren Meisterschaft gebracht, und darum wurden auch seine ebenso geschickt gefertigten wie aufgestellten Schlingen von jedem Jäger, dem solche zufällig oder auf der Suche darnach in die Hand fielen, sofort als von dem infamen Frevler herrührende erkannt und nach dessen berüchtigtem Namen als Sch..…’sche „angesprochen“. Dieser gefährliche Hallunke stammte aus einer förmlich nach verbrecherischen Ahnen zählenden Wildererfamilie, und ich selber habe sozusagen drei Generationen derselben an mir vorüber wandeln sehen und dabei ihrem schändlichen Treiben genugsam nachspüren können. Hatte ich doch schon als zwölfjähriger Knabe oft genug Gelegenheit, auf meinen Waldstreifereien mit Jägern den Großvater und den Vater unseres Helden, wie später diesen selbst, in ihrer verderblichen Thätigkeit verabscheuen zu lernen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_647.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)