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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

des Wortes bestem und höchstem Sinne. Er glühte ja mit allen Sinnen für sein „Fanum“, für das Heiligthum der Einheit und Freiheit Italiens. Aus dieser Glut entband sich alle seine Liebe und all sein Haß. Er war ein Enthusiast, ein Phantast, wenn man will. Aber kein in’s Blau schwärmender, sondern vielmehr ein mit unermüdlicher Zähigkeit und hellem Opfermuth auf ein festes Ziel gerichteter. Italien war der Traum seiner Nächte, wie der Gedanke seiner Tage. Wenn er sich in seiner späteren Zeit mitunter schwatzhaft in dem Nebelheim herumtrieb oder vielmehr herumtreiben ließ, allwo die „Universalrepublik“, der „Weltmenschheitsbund“, die „Vereinigten Staaten von Europa, Asien, Afrika, Amerika und Australien“ oder dergleichen grellbunte Fabelvögel mehr umherflattern, so war das eben eine Altersschwäche. In den Tagen seiner Kraft und seines Könnens war er ein Patriot, der allzeit und überall Italien suchte. Dieses Ziel zu sehen und zu finden, dazu reichten seine Gaben aus. Den vielverschlungenen und bösverknoteten Fäden der europäischen Politik geduldig nachzuspüren, um schließlich eine richtige Lösung oder Neuverknüpfung zu finden, das war nicht seine Sache. Er ist all sein Lebtag für das Zerhauen der Knoten gewesen. Daß es aber solche Knotenzerhauer doch auch geben müsse in dieser unserer knotenvollen Welt, werden selbst Bekenner des Weder-Fisch-Noch Fleisch-Liberalismus nicht unbedingt bestreiten wollen.

Im Vorstehenden ist darauf angespielt worden, daß Garibaldi mitunter, und zwar besonders in seinen älteren Tagen, fatalen Einflüssen zugänglich gewesen und das Opfer einer beklagenswerthen Lenksamkeit geworden sei. Jedermann weiß, daß zweideutige oder vielmehr unzweideutige Macher und Streber die Phantasie, die Begeisterung, die Gutmüthigkeit des Mannes irreleiteten und mißbrauchten, um ihn das machen zu lassen, was man, wenn man wahr sein will, nicht anders nennen kann als dumme Streiche. Wie verträgt sich nun aber diese Bestimmbarkeit damit, daß man, wie oben schon gethan worden, den Irrgänger von Aspromonte füglich und schicklich doch mit dem alten Horaz einen „tenacem propositi virum“ nennen darf? Gerade so, wie sich der Widerspruch mit dem Widerspruch in jedem Menschen verträgt. Wo war, wo ist, wo wird einer sein, der von sich mit Recht rühmen dürfte, daß er niemals „zwei Seelen“ in seiner Brust wohnen gefühlt hätte? Wenigstens bedeutende Menschen werden dieses häufig genug wiederkehrende Gefühl der Zweiseeligkeit nicht ableugnen können, sondern allenfalls nur ganz gewöhnliche Leute, Famuli Wagners Söhne u. Komp.

So konnte es kommen, daß der König Viktor Emanuel, halb im Scherz, halb im Zorn, den großen Freischarenführer seinen „lieben Büffelschädel“ nennen durfte, um das halsstarrige Drauf- und Durchfahren desselben zu bezeichnen, während zur gleichen Zeit Gesellen der vorhin erwähnten Sorte dem guten „Büffelschädel“ den Leitstrick durch die Nase zogen. An diesem Leitstrick ist er auch im Jahre 1870 auf den Schauplatz seines letzten, in mehr oder weniger großem Stil unternommenen Abenteuers gezogen worden, welches so kläglich verlief und mit dem undankbaren Fußtritt endigte, den die französische Nationalversammlung am 13. Februar von 1871 dem alten Helden gab, welcher zu spät erkannt hatte, daß es zweierlei wäre, gegen neapolitanische oder aber gegen deutsche Soldaten zu Felde zu ziehen. Deutsche von gesundem und kräftigem Nationalgefühl werden Mühe haben, dem Andenken Garibaldi’s die Don-Quijoterie von 1870 zu verzeihen. Aber trotzdem muß man anerkennen, daß dieser Narrenstreich des Mannes, was seine Person anging, so ehrlich und selbstlos gemeint war wie irgendeiner der vom Helden des Cervantes gethanen Narrenstreiche. Und wenn weiter uns kaltblütigen Nordländern das Theatralische, Opernhafte, um nicht zu sagen Seiltänzerische der Ausstaffirung und des Auftretens Garibaldi’s gar störsam vorkommen muß, so sollten wir billig bedenken, daß Südländer derartige Aeußerlichkeiten subjectiv und objektiv ganz anders ansehen und werthen als wir, die wir unter dem ewiggrauen Himmel unseres „gemäßigten“ Klima’s uns nur mit Mühe ein bißchen Farben- und Formensinn zu bewahren vermögen.


2.

Giuseppe Garibaldi ist in den Anschauungen und Strebungen des italischen Carbonarismus aufgewachsen, welcher auf die Geschicke Italiens von so bedeutendem Einfluß gewesen. Er hat diese Anschauungen bis zuletzt festgehalten und demnach war er in innerster Seele Republikaner und Pfaffenfeind.

Stubengelehrte, welche sich, allen Lehren der Geschichte zum Trotz, die Entwickelung von Völkern und Staaten nur auf bureaukratischem, höchstens auf regelrecht-parlamentarischem Wege vorzustellen vermögen, haben über den Carbonarismus bekanntlich sehr abfällig geurtheilt – um so abfälliger, je weniger sie ihn kannten. Nun ist es ja wahr, daß der Carbonarismus viel Komödiantisches, Läppisches, Thörichtes, sogar entschieden Verwerfliches an sich hatte; aber nicht minder wahr ist es auch, daß er und nur er es gewesen, welcher das nach 1815 jeder Art von geistlicher und weltlicher Tyrannei unterworfene, zerrissene, durch heimische und fremde Zwingherrschaft niedergequetschte italische Volk wieder aufzurichten versuchte und aufzurichten wußte. Er vollbrachte das dadurch, daß er in dem Nationalcharakter angemessenen Formen den Kultus des Vaterlandes pflegte, den Glauben an das Ideal „Italien“ weckte und verbreitete und die gesammte gebildete Jugend zu dem Gedanken und Vorsatz erzog, für dieses Ideal Gut und Blut hinzugeben. Die Männer der ruhigen Bildung und friedlichen Entwickelung, die Balbo, Gioberti, D’Azeglio und ihre Gesinnungsgenossen, sie hätten niemals ein konstitutionelles Piemont, geschweige ein einheitliches Italien auch nur in Gedanken herzustellen vermocht, wenn ihnen nicht der Prophet des italischen Radikalismus, Giuseppe Mazzini, vorangewandelt wäre, alle empfänglichen Herzen mit dem unlöschlichen Feuer patriotischer Liebe und patriotischen Hasses erfüllend.

Nachdem Garibaldi in der Verbannung gelernt, sein Vaterland doppelt heiß zu lieben – Männer, deren Patriotismus echt, lernen das im Exil immer – und nachdem er sich auf den Meeren und in den Pampas von Südamerika den Ruf eines kühnen Kriegers und geschickten Führers erworben hatte, ist er im großen Sturmjahr 1848 zuerst auf die weltgeschichtliche Bühne getreten. Nicht mit Glück. Der italische Republikanismus hatte auf Garibaldi’s Freischaarenführerschaft Hoffnungen gesetzt, deren Ueberstiegenheit in einem schreienden Mißverhältniß stand zu den Mitteln, über welche der General verfügen konnte. War doch die große Mehrzahl der italischen Patrioten viel zu klug, um nicht zu merken, daß, wie die Sachen lagen, die Idee der Vereinheitlichung ihres Landes nur mittels aufrichtigen Anschlusses an Piemont, d. h. auf monarchischem Wege zu verwirklichen wäre. Uebrigens blieb auch das vorerst noch ein frommer Wunsch; denn der alte Radezky zeigte den Italienern den kriegerischen Meister in einer Weise, welche an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließ. Der Sieger von Custozza – 1848, wie dann wieder 1866, ein Triumphfeld der Waffen Oesterreichs – ließ schließlich durch den General D’Aspre die garibaldische Schaar in die Schweiz hinüberjagen.

Freilich, während in Oberitalien Radetzky die schwarz-gelbe Fahne mit dem habsburgischen Doppelaar auf den Dom von Mailand zurücktrug und in Unteritalien die bourbonische Pestilenz wieder in ihrer ganzen Grausigkeit grassirte, stieg der Stern des Republikanismus in Mittelitalien verheißungsvoll empor. Daß es nur ein Nebelstern, sollte bald offenbar werden. Die ephemere römische Republik vermochte nicht einmal mit der ephemeren florentinischen zu einem Zusammenschluß zu gelangen. Bald auch drohten vom Norden her die Oestreicher, vom Südosten her die Neapolitaner und in Civitavecchia landeten 30,000 Franzosen, welche der Pseudo-Bonaparte, der die Pseudo-Republik Frankreich in seinen Kaiserschnappsack zu stecken sich anschickte, gesandt hatte, um den entflohenen Papst wieder auf den Stuhl Petri zu setzen und den Kirchenstaat wieder herzustellen – ein echt französisches Stücklein, eine prächtige Illustration der Viktor-Hugo’schen Bombastphrasen von der Völkerbrüderlichkeit und Kosmopolitik der Gallier! Solcher Illustrationen giebt es bekanntlich eine Menge, aber darum hören Schwachköpfe und Ignoranten doch nicht auf, an den bezeichneten Bombast zu glauben.

Die Vertheidigung Roms gegen die völkerbrüderlichen Franzosen macht, zusammen mit der Vertheidigung Venedigs gegen die Oestreicher, bei weitem das Beste und Größte aus, was das republikanische Kredo dazumal, in den Jahren 1848–49, vollbracht hat. Es war bedauerlich, daß nicht Garibaldi den obersten Heerbefehl in dem berannten und belagerten Rom führte, sondern daß Mittelmäßigkeiten wie Avezzana und Roselli den Kommandostab hatten. Wäre Garibaldi Obergeneral gewesen, so würde –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 667. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_667.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)