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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

und die beiden Damen trabten rasch hinter einander ein. Die voranschreitende nickte kurz dem Wirth und der Wirthin zu, warf von unten herauf einen beobachtenden Blick auf Arndt und sagte dann sehr vernehmlich: „Guten Tag!“, worauf auch die nachfolgende Dame in etwas zerstreutem Ton und mit einer auffallend tiefen, aber nicht unschönen Stimme die Anwesenden grüßte; dann schritten Beide in ungewöhnlicher Geschwindigkeit auf ein Nebentischchen zu, an welchem bereits für sie gedeckt war.

Es machte Arndt zunächst den Eindruck, als fühlten sich die Damen durch ihn irgendwie in ihren Rechten beeinträchtigt – vielleicht, weil sie sonst um diese Tageszeit hier im Speisezimmer die Alleinherrschaft zu haben pflegten und gerne ungestört waren, vielleicht auch nur, weil neben ihm weit aufgeschlagen das Unicum einer Gasthauszeitung lag, welches er vorhin ihrem Tischchen entnommen hatte.

Indessen verspürte er keine Lust, ihnen in irgend einer Weise zu weichen, und verzehrte mit völliger Muße seinen Braten, während die Wirthin hinauseilte, um alsdann mit vollen Tellern und überströmendem Redestrome zurückzukehren und die Damen zu bedienen. Ihr Mann sah inzwischen mit behaglicher Pfiffigkeit zu den beiden Damen hinüber, welche eifrig einige Worte mit einander flüsterten.

Arndt betrachtete die Letzteren mit jenem Gemisch von Neugier und Gleichgültigkeit, das man in öffentlichen Gastzimmern seinen Mitspeisenden gegenüber zu empfinden pflegt. Es schien ihm unzweifelhaft, daß Beide Schwestern waren; denn die höchst schlichte, aber geschmackvolle Kleidung der Einen sah derjenigen der Anderen zum Verwechseln ähnlich; auch waren sie Beide in gleicher Weise tief brünett und hatten die nämlichen ausgesprochen kräftigen Bewegungen.

Trotzdem mußten sie sehr verschiedenen Charakters sein; denn in den ziemlich regelmäßigen Zügen der etwas Jüngeren lag eine versteckte weibliche Anmuth, und ihre etwas melancholischen großen, braunen Augen verriethen, wenn sie einmal schnell vom Tischtuch aufblickten und zur Schwester hinübersahen, eine ungewöhnliche Lebhaftigkeit. Von alledem zeigte das Gesicht der Aelteren, welche annähernd fünfzig Jahre zählen mochte, keine Spur; es hatte auf den ersten Blick etwas Trockenes, ernsthaft Entschlossenes, sah man aber aufmerksamer in die kleinen schwarzbraunen Augen, so blitzte darin ein ungewöhnlich scharfer Mutterwitz, der eine warme Herzensgüte mehr zu verdunkeln als auszuschließen schien.

Der Wirth, welcher Arndt’s Blicken gefolgt war, nahm wieder einmal das Wort, sprach aber diesmal etwas leiser, obgleich die Damen drüben mit seiner Frau redeten.

„Jung nich – hübsch ock nich – äwer pläsirlich,“ sagte er schmunzelnd.

„Wenn Sie sich selbst meinen, Herr Putbrese, so paßt Ihre Schilderung allerdings auffallend,“ antwortete Arndt lachend.

Der Alte grinste verständnißvoll.

„De nähmen mie nix äöwel,“ entgegnete er selbstbewußt. „Jä,“ fuhr er dann fort und verzog den Mund noch mehr als gewöhnlich, „blos üm mie sünd f’ nu all vier Manden hier – jä, jä!“

Dann stand er auf, wankte auf die Damen zu und fragte auf seine Weise nach ihrem Befinden und den Thaten des Vormittags. Die Schwestern antworteten mit vielem Humor, und die jüngere, welche sich sofort bei Putbrese’s Annäherung lebhaft in die Höhe gerichtet hatte, that es der älteren fast noch zuvor, als sich jetzt an dem Tischchen eine Unterhaltung zu Vieren entspann; ja, in dem ihr eigenthümlichen tiefen Basse ließ sie sogar von Zeit zu Zeit ein herzhaftes Lachen ertönen.

Arndt hatte sich in seine Zeitung vertieft und auch wohl gelegentlich einen belustigten Blick über die stark in Kreidefelsen und Grasgrün gearbeiteten Wandgemälde des Zimmers gleiten lassen, behielt dabei aber Aufmerksamkeit genug für die kleine Gruppe, um bald dem Gespräche zu entnehmen, daß beide Damen Malerinnen waren.

Nach einiger Zeit trat der Wirth wieder zu ihm heran.

„Jä,“ sagte er, mit seiner gewöhnlichen Daumenbewegung nach rückwärts auf die Damen deutend: „Sie glöben mie ’t woll nich?“

„Was?“ fragte Arndt und blickte unwillkürlich zum Fester hinaus, unter welchem soeben ein Schatten vorüberhuschte.

„Na nu!“ meinte der Alte und sah sich gleichfalls um, kehrte aber sofort wieder den Blick in’s Zimmer zurück. Dann kniff er das eine seiner weiten Schlitzaugen vollständig zusammen und sagte ziemlich laut:

„Jä, wat de Jüngste is, de het ’ne ‚unglückliche Leidenschaft‘ för mie – hähä!“

„Wen wollen Sie eigentlich zum Besten haben, Herr Wirth, sich oder mich?“ fragte jetzt Arndt, mehr ungeduldig als amüsirt.

„Na, na, man ümmer sachting (langsam),“ grinste der Alte. „Jä, jä, dat sünd so’n Saaken (solche Sachen).“

Dann zog er launig die Schultern auf und nieder und setzte sich wieder auf seinen Fensterplatz zurück.

Aber Arndt beachtete ihn nicht mehr; denn soeben war in der Thür des Nebezimmers ein blonder, ungefähr neunjähriger Knabe erschienen, der, ohne sich weiter umzusehen, schnell auf die beiden Malerinnen zuging.

„Na ja! Das wußt’ ich ja,“ sagte er. „Guten Tag! Es ist schrecklich heiß draußen.“

„Was wußtest Du?“

„Daß Ihr mit Eurem Mittagessen noch nicht fertig seid.“

„Du entschuldigst wohl, Curt,“ sagte die jüngere Dame lachend, „wenn wir uns im Essen nicht stören lassen?“

„Meinetwegen könnt Ihr so lange essen, wie Ihr wollt. Das alte Gemale ist das Langweiligste auf der ganzen Welt.“

„Du bist ja recht höflich. Willst Du nicht Platz nehmen?“

„Muß man höflich sein, wenn man …“ sprudelte der Knabe feurig heraus, brach dann aber kurz ab und setzte sich neben die ältere Schwester.

„Nun? Wenn man –“ fragte diese trocken.

„Ach! ich meine … wenn man sich ‚Du‘ nennt?“

Diese Worte warf der Junge gleichsam hastig hinter den Anfang seines Satzes her, und es schien fast, als ob sie ihn innerlich verlegen gemacht hätten; denn er lächelte, während er sprach, und fing gleich darauf an, mit großem Ernst eine Scheibe trockenen Brodes zu verzehren.

Arndt hätte gern ihn noch länger unbemerkt aus der Entfernung beobachtet, aber er fürchtete, die Damen möchten, wenn er mit seiner Annäherung zögerte, aufbrechen, bevor er sich genähert. So erhob er sich denn schnell und trat auf das Nebentischchen zu. Einen Augenblick stutzte Curt, aber nur einen Augenblick.

„Ah!“ rief er dann und flog vom Stuhl in die Höhe.

„Ja, wir sind alte Freunde,“ sagte Arndt. „Verzeihen Sie, meine Damen! Mein Name ist Arndt – Architekt Arndt.“

Die ältere der Damen erhob sich.

„Auguste Lappe!“ sagte sie mit Würde und setzte sich auf der Stelle wieder nieder. Dann hustete sie kurz an, zeigte auf ihre sich nur ein wenig erhebende Schwester und fügte hinzu: „Adelheid Lappe! Wir können wirklich nichts dafür!“

„Ich kenne auffallendere Namen,“ erwiderte Arndt etwas lächelnd, aber höflich.

„Das tröstet mich,“ sagte die eigentümliche Ceremonienmeisterin, ohne eine Miene zu verziehen.

„Aber schön ist es nicht, Lappe zu heißen, man denkt dabei an waschlappige Leute, an ganz andere Menschen, als Ihr seid!“ rief Curt eifrig dazwischen, während die beiden Malerinnen die Erscheinung des fremden Architekten einer halb scheuen, halb energischen Prüfung unterwarfen.

Arndt hielt noch immer die Hand des Knaben, der so aufgeregt zu ihm emporblickte, als wisse er vor lauter auf ihn einstürmenden Gedanken nicht, wo er anfangen sollte zu reden.

„Also, Du hast mich wirklich wieder erkannt, mein Sohn? Spielst Du denn noch fleißig Ball?“ begann Arndt.

„Gewiß nicht!“

„Schade! – Du bist wohl zu groß dazu geworden?“

„Nein, aber zu alt. Groß bin ich nicht. Sehn Sie nicht, daß ich ein Knirps bin?“

„Nein; das sehe ich wirklich nicht, aber ebenso wenig wäre mir Dein hohes Alter aufgefallen.“

„Meinetwegen können Sie lachen,“ sagte der Knabe. „Aber ich bin doch zu alt, um Ball zu spielen. Lachen Sie nur! Meine Mutter würde nicht darüber lachen; die ist ernsthaft, Herr Arndt.“

„Deine Frau Mutter konnte doch früher so schön lachen?“ fragte Arndt.

„Das kann sie auch noch!“ antwortete der Knabe. Dann sah er plötzlich zu Arndt auf und blickte ihn mit großen, wunderlich leuchtenden Augen trotzig an.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 675. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_675.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)