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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

begreiflich finden, daß die Papalini, die Borbonici und die Austriaci in ganz Italien den ministerlichen Doppel- und Tripelspieler keineswegs einen „gran uomo“, wohl aber einen „gran birbante“ nannten. Mit Garibaldi war es etwas ganz anderes: Von dem wusste alle Welt, daß er kein doppeltes Spiel spielte. Der ging nicht im Zickzack, sondern gradaus. Da es kein Italien geben konnte, sei es ein Reich Italien oder eine Republik Italien, so lange der Thron der Bourbons in Neapel und der Stuhl Petri in Rom stand, so mussten seiner Meinung zufolge diese beiden hinderlichen Möbel umgeworfen, zerschlagen und weggeschafft werden. In Stunden kühnsten Hoffens mochte der General wohl auch mit der Vorstellung sich tragen, daß die Erschütterung, welche der Sturz dieser beiden Thronstühle hervorbringen würde, gewaltig genug wäre, um noch einen dritten in’s Wanken und zum Fallen zu bringen, den des nachgemachten Bonaparte an der Seine, auf welchen Garibaldi mit nicht geringerem Abscheu blickte, als mit welchem etwa in Alt-Eran strenge Ormuzdbekenner auf den Ahriman und seine Dews hingesehen hatten. Uebrigens ist auch behauptet worden, Cavour hätte das sicilische Abenteuer des großen Freischärlers nur darum unter der Hand unterstützt, weil er gehofft hätte, der unbequeme Idealpolitiker würde in diesem Abenteuer zu Grunde gehen. Ein auch nur halbwegs bindender Beweis für diese Behauptung ist aber nicht beigebracht worden, und Cavours zweifelloser Patriotismus verbietet, daran zu glauben. Dagegen ist erwiesen, daß Garibaldi wenigstens stillschweigend damit einverstanden war, es müsste die nach vielen Weiterungen zwischen der republikanischen und der monarchischen Partei vereinbarte Losung des Unternehmens sein: „Das Italien der Italiener, geeint unter der konstitutionellen Krone Viktor Emanuels!“ und Cavour wusste dafür zu sorgen, daß diese Losung eingehalten und verwirklicht wurde.

Der Verlauf des großen Abenteuers von 1860 ist allbekannt. In der Nacht vom 5. auf den 6. Mai schiffte sich Garibaldi im Hafen von Genua auf zwei, zum Schein gewaltsam weggenommenen Dampfern mit seinen „Tausend“ – (eigentlich 1067) – ein und am 11. Mai landete er zu Marsala an der Westküste Siciliens.[1] Drei Tage später erklärte er sich zum Diktator der Insel „im Namen Viktor Emanuels, des Königs von Italien“. Auf dem Marsche gen Salemi begrüßte ihn ein begeisterter Mönch, Pantaleone, als den Erlöser seines Heimathlandes, geradezu wie einen Heiland und Messias. Es muß überhaupt als denkwürdig hervorgehoben werden, daß auf Sicilien die niedere Weltpriesterschaft und die Mönche ganz entschieden für die nationale Sache eintraten. Die meisten der sicilischen Freischarenbanden, welche zur Fahne des Diktators eilten, wurden von Mönchen und Pfarrern geführt. Auch anderwärts hat ja die Geschichte der Umwandelung Italiens eine stattliche Reihe von Beispielen geliefert, daß italische Priester das Vaterland über die Kirche zu stellen wussten, und einer der edelsten Blutzeugen für die Sache der Einheit und Freiheit Italiens war jener Priester Ugo Bassi, welcher 1849 Rom gegen die Franzosen vertheidigen half und den dann beim Rückzuge nach San Marino die Oestreicher fingen und erschossen.

Am 15. Mai jagte Garibaldi bei Calatafimi die erste ihm entgegengestellte neapolitanische Truppenschar in die Flucht. Am 6. Juni war Palermo in seiner Gewalt. Am 28. Juli kapitulirte Messina. Am 19. August fuhr der General mit 5000 Mann über die Meerenge nach Kalabrien. Am 21. hatte er Reggio. Das bei Salerno stehende Heer König Franz des Zweiten lief vor dem „Rothen Teufel“ davon. Am 1. September brach Garibaldi von Cosenza gegen Neapel auf. Am 6. floh der Bourbon aus der Hauptstadt. Am 7. hielt der „Rothe Teufel“ seinen Triumpheinzug unter einem so wahnsinnigen Volksjubel, wie er nur am Fuße des Vesuvs ausbersten kann.

Dieser 7. September von 1860 war der eigentliche Höhe- und Glanztag in Garibaldi’s Dasein. Auf so einer Höhe und in solchem Glanze lange sich zu halten, ist aber dem Menschen nicht gegeben. Von jenem Tag an ging die Laufbahn des Generals nicht mehr aufwärts, sondern abwärts. Den Bourbonenthron in Neapel hatte er umgeworfen, aber sein Vorsatz, auch den Stuhl Petri in Rom umzustürzen, blieb eine Phantasie. Den staatsmännischen Forderungen der Lage zeigte er sich nicht gewachsen. Sein Talent für die Organisation und den Betrieb des Civildienstes war gleich Null. Berufene Urtheiler haben auch gemeint, Garibaldi wäre zwar groß im kleinen Kriege gewesen, aber klein im großen. Eine Arme von 100,000 oder auch nur von 50,000 Mann zu führen – wohlverstanden einem tüchtigen Gegner gegenüber – sei weit über sein Vermögen gegangen. Die überlegene Geisteskraft und Geschicklichkeit Cavours hat er thatsächlich zugestanden und anerkannt. Denn er machte ja keinen Versuch, zu verhindern, daß der piemontesische Minister in seiner Art das von Garibaldi heroisch angefangene Unternehmen diplomatisch und militärisch zu Ende brachte. Die Einheit Italiens war hergestellt, Rom und Venedig ausgeschlossen. Das blieben freilich zwei offene und schmerzhafte Wunden, wie an dem neuen italischen Staatskörper, so in der Seele Garibaldi’s, und man kann sich leicht vorstellen, welchen bittern Groll er in sich bemeistern musste, bevor er die Stimmung fand, so herzlich, wie er that, den ihm auf der Walstatt am Volturno begegnenden Viktor Emanuel als „Rè d’Italia“ zu begrüßen. Dann kehrte er arm, wie er gekommen, mit leeren und reinen Händen nach seinem Eiland Caprera zurück, er, dem als Diktator Siciliens und Neapels die Reichthümer dieser Länder monatelang zur Verfügung gestanden hatten.

Und nun begannen Alter und Krankheit ihre traurigen Rechte an dem Manne geltend zu machen, für dessen Ruhm es gut gewesen wäre, so er nach seiner Heldenfahrt von 1860 gestorben. Es war ihm ja nur noch gegeben, Mißgriffe zu thun und Fehlschläge zu erleben: – Aspromonte, Stelvio, Mentana. Dann die Thorheit der Thorheiten, aus Gründen der Vernunft, der Sittlichkeit und der Politik gleich verwerflich, die Narrenfahrt nach Frankreich i. J. 1870, zum Dank dafür, daß die Deutschen so eben den Italienern die ihnen durch die Franzosen so lange versperrten Thore Roms von Sedan her aufgeschossen hatten. Auch sonstige Altersschwächen des Alten von Caprera machten sich unangenehm bemerkbar. So seine mehr oder weniger absonderlichen schriftlichen Stilübungen, so seine hetzenden Zurufe an die italischen Republikaner, während er sich doch von der italischen Monarchie eine Jahrespension von 100,000 Lire gefallen ließ.

Aber alle diese Mängel, Schwächen und Fehle waren weggewischt aus dem Gedächtniß der Menschen, als der elektrische Draht über und um den Erdball die Botschaft blitzte, daß Garibaldi am 2. Juni 1882 in seinem bescheidenen Haus auf Caprera gestorben sei. Da wurde offenbar, daß die Gesellschaft von heute doch auch Stunden hat, wo sie noch an etwas Besseres glaubt als an den allmächtigen Kurszettel. Man fühlte, daß ein großer und guter Mann dahingegangen. Ja, Freunde und Feinde fühlten so. Es gereichte einem italischen Hauptorgan der päpstlichen Kurie, der „Voce della Verità“, wahrlich nur zur Ehre, daß sie dem Papstbekämpfer diesen Nachruf widmete: „Mit Garibaldi verschwindet einer der größten Männer der Revolution, einer der größten Gegner des Papstthums. Wir beugen die Stirn vor der Majestät des Todes und erinnern uns der Worte des göttlichen Lehrers: ‚Liebet eure Feinde!‘ Wenn Garibaldi der heftigste Feind der Kirche gewesen, so war er zugleich auch der loyalste. Er bekämpfte die Kirche mit offenem Visir und kannte keine Heuchelei.“ Von allen Huldigungen aber, die dem lebenden und dem todten Helden dargebracht worden sind, dürften wohl die edelste jene Strophen sein, welche ihm der genialste Poet, den Italien seit dem Hingange Manzoni’s, Leopardi’s und Giusti’s vorgeschickt, Giosuè Carducci, geweiht hat ….

Fern vom gemeinen Kreise der Seelen ruft
Dich die Geschichte stralend zu jenen Höhn,
Zu jenem fleckenlosen Kreise,
Unter des Vaterlands heim’sche Götter.

Du kommst, und Dante spricht, zum Vergil gewandt:
‚Wir haben niemals edleres Heldenbild
Ersonnen.‘ Livius sagt lächelnd:
‚Er ist geschichtlichen Stamms, o Dichter!

  1. Eine Episode aus dieser Landung stellt unser Holzschnitt auf Seite 677 dar, welcher nach dem trefflichen Aquarell des berühmten Professor Karl Werner ausgeführt wurde. Unter der stilvollen Klosterruine di Santa Maria delle Pallude empfängt Garibaldi einige ihn begrüßende Landleute Siciliens, die ihn beim Bereiten der Mahlzeit antreffen. Um ihn versammelt sind seine Getreuen: Bixio sieht über die Schulter des Generals hinweg; der Deutsch-Ungar Colonel Türr sitzt, seine Pfeife stopfend, ihm zur Rechten, während Caceri zu seiner Linken an einer Säule der Ruine lehnt; der mit entblößten Armen Garibaldi gegenüber Sitzende ist sein intimer Freund, der Engländer Capitain Peard.
    Die Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_679.jpg&oldid=- (Version vom 20.7.2023)