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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


No. 42.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Spätsommer.

Novelle von C. von Sydow.
(Fortsetzung.)


Arndt blieb inzwischen unruhig zurück und sah halb zerstreut, halb gefesselt auf Curt’s ganz vorzüglich ähnliches Portrait, welchem seiner Meinung nach nur noch sehr wenige unbedeutende Pinselstriche bis zur Vollendung fehlen konnten.

Einige Minuten später traten die zur Segelfahrt gerüsteten Schwestern wieder ein, und Arndt schloß sich ihnen, seinem Versprechen gemäß, an.

Er blieb den ganzen Tag nach einer bestimmten Richtung hin enttäuscht, weshalb seine Unterhaltung zuweilen eine leichte Schärfe annahm, die von der Gesellschaft der Segelpartie dermaßen geistreich gefunden wurde, daß man ihn einstimmig für „entzückend“ erklärte. Niemand von der Gesellschaft, mit alleiniger Ausnahme der beiden Malerinnen, schien zu bemerken, daß die Anwesenden selbst den Pfeilen feines scharfen Witzes als Schleifstein und zugleich als Zielscheibe dienen mußten.

Doch es war eigen – Arndt’s Verstimmung schwamm gleichsam nur auf der Oberfläche seines Gemüths: daß er enttäuscht war, ärgerte ihn, aber daß er es noch sein konnte, war ihm neu und an sich selbst interessant.

Wäre Henriette Brandenburg heute Nachmittag wirklich von der Partie gewesen, er würde ihr mit lebhaften Erwartungen und besonderer Aufmerksamkeit, aber doch ohne innerste Erregung entgegengetreten sein; daß sie es zufällig nicht war, erhöhte plötzlich ihren fremdartigen Reiz, und er konnte es nicht hindern, daß seine Phantasie ihr Nichterscheinen mehr und mehr mit einer geheimnißvollen, ja gewissermaßen absichtlichen Zurückhaltung zu motiviren versuchte. Dies machte ihn nur noch begieriger, sie kennen zu lernen, und eine so ausgesprochene Spannung drängte sich durch sein Empfinden, daß er sich nicht genug über sich selbst wundern konnte.

Zum zweiten Male an diesem Tage meinte er, Rügen habe ihn eigenthümlich verjüngt – und wie im Traume zogen Felsen, Wälder, Fluthengekräusel, fremdes Menschengeschwätz und eigene Worte an ihm vorüber. – –

Als die ersten Sterne heraufdämmerten, lief das Segelboot wieder in den Hafen des Stranddörfchens ein, und einige Minuten später schritt Arndt an der Seite der Schwestern durch die lange Hauptstraße des kleinen Ortes.

„Sie haben sich ein großes Verdienst um die Partie erworben,“ sagte Auguste.

„Es schien mir auch so,“ meinte Adelheid, und ihr tiefes Lachen klang angenehm an Arndt’s Ohr.

„Wie so?“ fragte Dieser. „Die Damen wollen mich doch hoffentlich nicht jetzt entgelten lassen, was ich soeben auf dem Wasser verbrochen habe?“

„Nein, durchaus nicht!“ erwiderte die Portraitmalerin. „Wir bedanken uns ganz ernsthaft dafür, daß Ihr Witz uns heute über Wasser gehalten hat.“

„Ja,“ warf wieder Auguste ein; „wenn wir hier Jemanden zu etwas auffordern, kann er sicher sein, daß es aus Egoismus geschieht. Ich wußte ganz genau, welchen Ballast an Dummheit wir heute Nachmittag laden würden“

„Sie sind keine von den schlimmsten Egoistinnen, mein gnädiges Fräulein, da Sie Ihre Karten so ehrlich aufdecken, und damit Sie sehen, wie wenig ich mich vor Ihnen fürchte, möchte ich um die Erlaubniß bitten, Sie dieser Tage wieder aufsuchen zu dürfen.“

„Aber bitte, nicht vor übermorgen! Uebermorgen wird Curt’s Bild fertig,“ sagte Adelheid.

„Uebermorgen – wie Sie befehlen!“

Arndt verabschiedete sich höflich von den Damen.

„Ein merkwürdiger Zufall!“ meinte die jüngere Malerin auf dem Reste des Heimweges. „Merkwürdig in der That! Du weißt, ich habe kein gutes Namengedächtniß, aber die Beschreibung paßt genau. Erinnerst Du Dich nicht, Auguste, daß Frau Lepel schrieb, mein Pathchen, Erna, interessire sich für einen Architekten? Und ich meine wirklich, er hieß Arndt. Wenn unser Arndt von heute nun wirklich der Arndt der Frau Lepel wäre, derselbe Arndt – ich meine doch, das wäre in der That ein merkwürdiges Zusammentreffen.“

Das Für und Wider dieser Frage wurde von beiden Schwestern heute Abend noch lange debattirt, den ganzen Heimweg lang, bis über die Schwelle ihres Zimmers hinweg, beim Schlafengehen und fast bis in den Schlaf hinein.



5.

Im benachbarten Stranddörfchen saß indessen Henriette Brandenburg noch wachend am Bette ihres Sohnes.

„Mutter,“ bat der Knabe, „geh’ noch nicht fort! Ich kann nicht einschlafen.“

„Aber sprich nicht mehr, Curt! Du wirst immer munterer,“ sagte Henriette und fuhr leise mit der Hand über seine Stirn.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 693. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_693.jpg&oldid=- (Version vom 29.7.2023)