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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

fliegen ließen, welche an einem anderen Orte, vielleicht bei einem Amtsbruder zu Hause waren und erst vor dem Abflug in das Heiligthum der Venus gebracht wurden. Die Tauben dagegen, welche nach neun Tagen zurückkehrten, waren in dem Tempel selbst zu Hause; sie wurden rechtzeitig fortgetragen und von einem Eingeweihten an anderem Orte aufgelassen, von dem sie nach ihrem Wohnorte, dem Tempel, wieder heimflogen.

Nichts mehr und nichts weniger sind auch heutzutage unsere Brieftauben zu leisten im Stande; sie müssen an einem Orte völlig heimisch sein, um, dann fortgeschickt und an einem anderen mehr oder weniger weit entfernten Platze in Freiheit gesetzt, zur Heimath zurückzukehren. Die Heimathsrichtung muß hierbei stets dieselbe bleiben, und können daher Tauben zum Postdienst, mit genügender Sicherheit des Erfolges, nur zwischen vorher bestimmten Orten gebraucht werden, deren Route den Vögeln durch stückweises, immer fortschreitendes Einlernen eingeprägt worden ist.

Es ist zwar schon öfter vorgekommen, daß Tauben auf weite Entfernungen ohne jede vorherige Dressur und Kenntniß des einzuschlagenden Weges in ihre alte Heimath zurückgekehrt sind, hierbei ist aber auch stets constatirt worden, daß diese Tauben tagelang unterwegs geblieben sind, Tausende von Meilen geflogen und erst nach langem Suchen, vielleicht auch dann nur zufällig, den gewohnten Schlag wieder gefunden haben.

Ob nun die Tauben der Venus Cypria, die Brieftauben der Griechen und Römer, die Tauben, welche Ende des zwölften Jahrhunderts im Orient als Luftboten verwendet wurden, und diejenigen, welcher wir uns heute zu gleichem Zwecke bedienen, derselben Art angehören, läßt sich schwer feststellen, doch ist sicher, daß die Brieftauben des zwölften Jahrhunderts im Orient „Bagdetten“ (von Bagdad) genannt wurden, eine Bezeichnung für eine gewisse Taubenart, die noch augenblicklich, namentlich in England, bis zur Vollkommenheit unter dem Namen „Carrier“ – d. h. Bote – gezüchtet wird und als Stammvater der jetzigen Brieftauben angesehen werden muß.

Auf ganz kurze Entfernungen wird jede Taube in ihren einmal gewohnten Schlag zurückkehren, zu weiteren Entfernungen dagegen braucht sie eine größere Ausdauer, ein ausgesprochenes Flugvermögen; und außerdem bei schwierigem Terrain, d. h. im Gebirge und beim Durchfliegen ausgedehnter Wälder, ein weitsehendes Auge und stark ausgeprägten Orientirungssinn. Diese letzteren Eigenschaften sind beziehungsweise den Carriern, Tümmlern und Mövchen besonders eigenthümlich, und sind durch gewisse Kreuzungen dieser Taubenarten bestimmte Brieftaubentypen gezüchtet worden, welche sich ungefähr in derselben Weise unterscheiden lassen, wie z. B. ein in Gradis gezüchtetes Rennpferd von einem in Trakehnen gezogenen Carossier.

Die beiden hauptsächlichsten Brieftaubentypen, welche augenblicklich auch zur Zucht der deutschen Militärbrieftauben benutzt werden und welche durchaus als constant gewordene Rassen angesehen werden müssen, sind die Antwerpener Brieftaube, ein Kreuzungsproduct von Carrier und Tümmler, und die Lütticher Brieftaube, deren Stammeltern auf Tümmler und Mövchen zurückzuführen sind. Erstere Art zeichnet sich durch Ausdauer und großes Flugvermögen aus – Eigenschaften der Stammrassen –; leztere besitzt einen vortrefflichen Orientirungssinn – ein Erbtheil des Mövchens –, der auch vorhält, selbst wenn sie vor ihrer Reise Wochen hindurch eingesperrt gehalten worden ist.

Die beigegebenen Abbildungen lassen die äußerliche Verschiedenheit der Stammeltern unserer Brieftauben und dieser selbst auf den ersten Blick erkennen, und bleibt es wunderbar, wie der Einfluß des Menschen, die fortschreitende Cultur, Klima und Nahrung auf das Urgeschlecht der wilden Tauben eingewirkt haben müssen, um so verschiedenartige Gebilde hervorzubringen, wie sich dieselben z. B. in der Feldtaube – jedenfalls der ältesten Art unserer zahmen Tauben –, im Carrier, im kurzschnäbligen Tümmler und im Mövchen aussprechen.[1]

Wie schon zuvor erwähnt, wird die deutsche Brieftaube aus Antwerpener und Lütticher Tauben gezüchtet. Auf die specielle Wahl der Zuchtthiere muß man aber noch ein ganz besonderes Augenmerk richten; denn es kommt bei der Zucht darauf an, alle nur möglichen guten und ausgezeichneten Eigenschaften auf ein Individuum zu übertragen, um auf diese Weise ein Material zu gewinnen, welches auch den höchsten Anforderungen entspricht.

Hier liegt wiederum der Vergleich mit unseren Rennpferden nahe. Auch bei der Zucht der letzteren wird seit langer Zeit ebenso verfahren. Dort hat ein Hengst ein Rennen gewonnen und dabei eine enorme Leistungsfähigkeit gezeigt, hier hat eine Stute Unglaubliches bei Ueberwindung von Hindernissen geleistet. Die Nachzucht beider wird sicherlich gute Steeple-Chaser geben. Bei den Tauben dagegen hat ein Taubert eine weite Strecke in kurzer Zeit durchflogen; eine Täubin ist in schwierigem Terrain bei höchst ungünstiger Witterung, wenn auch vielleicht langsam, so doch sicher, in den Schlag zurückgekehrt. Die Brut beider wird gewiß schnelle und sichere Reisetauben liefern.

Außerdem müssen bei richtiger Auswahl der zu verpaarenden Tauben Größe und Figur übereinstimmen und dunkel befiederte Tauben mit hellgefärbten vereinigt werden, da es darauf ankommt, dunkelfarbige Tauben zu ziehen, welche mehr als die hellgefärbten vor den Nachstellungen der Raubvögel gesichert sind.

Es liegt auf der Hand, daß die Auswahl des Zuchtmaterials nicht nur eine große Kenntniß der Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Tauben erfordert und daß dieselbe nur durch Sachverständige gehandhabt werden kann, sondern daß auch eine umfassende Controlle ausgeübt werden muß, welche stets gestattet, den Stammbaum der Tauben zu verfolgen und die zusammengepaarten Tauben auf dem Zuchtboden zu beaufsichtigen, die Nachkommen zu bezeichnen etc.

Da sich nun die Brieftauben in Farbe und Zeichnung mehr oder weniger gleichen und Abzeichen derselben nicht leicht genau zu beschreiben sind oder sich häufig wiederholen, so sind die Tauben

  1. Manchem Leser dürfte die folgende genaue Beschreibung der einzelnen Rassen nicht uninteressant sein:
    Der Carrier ist eine Taube von imposanter Figur; trotz seines breiten Rückens und der starkknochigen, eckigen Formen, macht er in Folge seiner hohen Ständer und seines verhältnißmäßig dünnen und langgestreckten Halses einen höchst eleganten Eindruck. Das meist einfarbige Gefieder liegt knapp und eng an dem Körper an, und markiren sich daher namentlich die volle, breite Brust, sowie die Schulterknochen ganz besonders, wodurch es auch den Anschein gewinnt, als ob die sich eng anschmiegenden Flügel tief in die Brust hineinhingen. Besonders auffallend erscheint der Kopf dieser Taubenart, der rechtwinkelig gegen die Halswirbel angesetzt ist und rücksichtlich seiner anderweitigen Eigenschaften, auch im Vergleiche zu der Gesammtgröße des Vogels gewissermaßen klein erscheint. Der Kopf zeigt zwar eine hohe, aber doch stark geneigte schmale Stirn, welche letztere mit dem kräftigen, bis zum Mundwinkel fünfundzwanzig bis dreißig Millimeter langen Schnabel fast eine gerade Linie bildet. Der Schädel ist geradlinig, langgestreckt und fällt zum Nacken hin eckig ab. Die Nasenhaut, der Mundwinkel, auch der Unterschnabel tragen einen runzligen, aufgerichteten, warzigen Fleischauswuchs, der am Oberschnabel überhängt und etwa auf der Hälfte desselben spitz ausläuft. Ebenso umschließt das feurige, mit rothgefärbter Iris versehene Auge ein breiter Warzenring, der bei älteren Tauben mitunter das Auge überhängt.
    Der Tümmler kommt in den verschiedensten Varietäten vor und zeigt in seiner äußeren Gestalt seinen ganz beständigen Typus: im Allgemeinen unterscheidet man: kurzschnäblige und langschnäblige Tümmler, und nach Art ihres Flugvermögens: Ueberschläger oder Bugler – Dauer- und Hochflieger. Allen diesen Arten gemeinsamt ist eine breite Brust, ein volles Gefieder, edle Haltung, lange Flügel, welche beinahe bis zur Schwanzspitze reichen. Das Auge ist groß, die Iris gewöhnlich hellfarbig. Fein gezüchtete Arten haben stets eine beinahe wasserhelle, wenig roth angelaufene Iris, sogenannte Glasaugen. Häufig ist das Auge auch mit einem rothgefärbten Fleischring umgeben. Der Kopf, der auf einem schlanken Halse ruht, ist meist klein und kurz, erscheint eckig, zeigt bei hoher und steiler Stirn einen flachen Scheitel. Der Schnabel, welcher bei kleinen Arten, z. B. beim Weißkopftümmler, bis zum Mundwinkel nur achteinhalb Millimeter mißt, hat dagegen bei den großen Spielarten, z. B. beim Danziger Wolkenstecher, eine Länge von dreiundzwanzig Millimeter.
    Der Dragon, wenngleich nur ein Kreuzungsproduct beider vorbeschriebenen Arten, kann als ein constant gewordener Taubentypus betrachtet werden; er zeigt im Allgemeinen die Figur des Carriers, aber die weicheren Formen des Tümmlers.
    Aus Dragon und weiterer Verpaarung mit dem Tümmler sind die Antwerpener Brieftauben hervorgegangen; auch ihnen steht die Abstammung auf der Stirn geschrieben, und erinnern sie stets mehr oder weniger an eine ihrer Stammrassen.
    Das Mövchen ist im Ganzen kleiner als der Tümmler; es erscheint von Gestalt eckig, wozu namentlich das hervortretende, meist dunkel gefärbte Auge, die vorstehenden Augenknochen, ein breiter Schädel, welcher in seinem hinteren Theil hervorspringt, beitragen. Eine besondere Zierde trägt das Mövchen in dem Jabot auf der Brust, einer Federkrause, welche unter dem starken, kurzen Schnabel beginnt und tief am Körper herunterreicht.
    Die Lütticher Brieftaube, welche, wie ihre Antwerpener Schwester, ihre Abstammung nicht verleugnet, zeigt oft noch die Ansätze zu diesem Jabot, ja weist dasselbe auch mitunter in ausgebildeter Form auf; ebenso trägt sie häufig eine Kappe.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_715.jpg&oldid=- (Version vom 2.8.2023)