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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


No. 44.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Spätsommer.

Novelle von C. von Sydow.
(Fortsetzung.)

Erna Lepel! Arndt war sich nicht bewußt, in dem Mädchen irgend eine Hoffnung geweckt zu haben. Trotzdem war es ihm nicht mehr behaglich in ihrer Nähe, und seine Unterhaltung mit ihr war ein seltsames Gemisch von aufrichtiger Kälte und unnatürlicher Zuvorkommenheit. Er sprach über hundert Dinge mit ihr, aber er wußte kaum, was sie antwortete. Er fand, daß sie hübscher geworden sei, doch selbst diese Bemerkung glitt kühl an seiner Seele ab.

Erna war zu klug, um seine Veränderung nicht sofort zu bemerken, und als er sich am Schlusse der Gesellschaft von ihr verabschiedete, war ihm, als blickten ihre lebhaften Augen traurig, wie in einem ersten Schmerze, vor sich hin. Er kam sich in diesem Augenblicke vor wie Einer, der im Leichtsinn vor einen Altar getreten ist, dessen Ritus ihn kalt läßt, weil er die Bekenntnisse seines Glaubens nicht theilt.

Dergleichen innere Erlebnisse schlossen ihn nur um so enger an Henriette. Diese empfand mehr und mehr für Alles, was er ihrem Sohne war, eine heiße Dankbarkeit und war ihm zugethan, wie ihrem besten Freunde; deshalb mochte sie ihn ungern einen Abend entbehren.

So verging der Winter, und eines Tages war es Frühling geworden. Dieser war wirklich einmal unmerklich gekommen – ohne Sturm und Regen.

Es ist etwas Eigenes um ein echtes Frühlingsgefühl. Die Empfindung höheren Werdens, aufwärts steigender Kraft und weicher, unbegrenzter Empfänglichkeit erfüllt uns, und das Herz hält plötzlich gleichen Tact mit dem großen Herzschlag der Welt.

Das Gefühl solcher Gehobenheit hatte sich in diesem wunderbaren Frühling auch Arndt’s in gesteigertem Maße bemächtigt; je länger er Freundschaftsrechte bei Henrietten genoß, desto mehr schwand in ihm jener eigenthümlich beklemmende Druck, dessen er sich zuweilen im Anfang ihrer Bekanntschaft nicht hatte erwehren können; es war in ihm eine gewisse zufriedene Heiterkeit, die vielleicht zum Theil auf ein bestimmtes erfreuliches Ereigniß zurückzuführen war: ihm war in jenen Tagen der Preis für einen öffentlich eingereichten Bauplan zuerkannt worden, und nun hatte er oft das Gefühl, als wäre jeder Tag ein Schritt, der ihn näher zu den Höhen des Lebens trüge. – –

Der Juli war vor der Thür und mit ihm nahten auch die Hundstagsferien des Knaben. Die beiden Malerinnen waren schon im Mai in die Thüringer Berge gegangen.

„Wir haben noch gar nichts über die Ferien beschlossen,“ sagte Henriette eines Tages zu Arndt. „Ich werde natürlich wieder mit Curt verreisen, aber nur auf die gesetzlichen vier Wochen.“

„Wohin werden Sie gehen?“ fragte der Architekt in erzwungen kaltem Tone, während eine dunkle Röthe ihm in’s Gesicht stieg.

„Ich dachte, wieder nach Rügen.“

Henriette hatte das mit plötzlicher Heiterkeit gesagt. Der Gedanke an die See schien eine Reihe bestrickender Bilder an ihrer Phantasie vorüber zu führen, und erst als ihr Blick auf Arndt fiel, zog wieder ein unsicherer Schatten über ihr Gesicht.

„Wir werden Sie sehr vermissen,“ sagte sie herzlich, und ein Seufzer stahl sich zwischen ihre Worte.

„Henriette, geben Sie mir ein Recht, Sie zu begleiten?“ fragte er und stemmte die erhebende Hand gegen die Lehne ihres Stuhles.

Sie mußte sich sammeln. Es gab nur eine Deutung für seine Worte. Sie erglühte unter seinen Blicken, um dann wieder zu erblassen.

Da brach es befreiend, wie ein entfesselter Strom der Leidenschaft, aus seinem Innern hervor.

„Henriette!“

Sie schwieg; ihr Gesicht wurde immer trauriger, und sie schloß einen Augenblick lang die Augen.

„O, das nicht! das nicht!“ sagte sie leise.

Er zog seine Hand von ihrem Stuhl zurück, blieb aber doch vor ihr stehen, als erwarte er noch etwas.

„Arndt,“ sagte sie dann, „Sie würden nicht glücklich werden an meiner Seite.“

„Das heißt,“ stieß er rauh hervor, „Sie würden es nicht werden an der meinen – o, Sie lieben mich nicht.“

Er athmete kurz auf, hob den Kopf kaum merklich und sah aus, wie Jemand, der durchaus standhaft bleiben will.

Noch einen Blick voll glühenden Verlangens warf er auf sie, wandte sich ab und ging zur Thür.

„Arndt!“ rief sie geängstigt und verwirrt. „Ist es denn unmöglich, daß wir Freunde bleiben? Arndt, denken Sie nicht, ich ließe Sie so gehen!“ Und sie eilte ihm nach und hielt ihm bittend beide Hände entgegen. „Freunde, Arndt! Freunde!“ rief sie noch einmal.

Ein bitteres Lächeln flog über seine Lippen.

„Freunde?“ wiederholte er scharf. „Ja, wenn Sie diese Stunde vergessen können! Ich werde mein Möglichstes thun.“

Sie zitterte vor seiner zornigen Liebe und sann, wie sie ihn besänftigen könne.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 725. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_725.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)