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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

die Hovedö (Hauptinsel), welche das schönste unter allen Panoramen Christianias und außerdem noch die allerdings ziemlich unbedeutenden Ruinen eines von englischen Mönchen gegründeten Cisterzienserklosters aufweist. Die eigentlichen Villeninseln aber sind die im lieblichen Bunde-Fjord, einem Zweige des Haupt-Fjords, liegenden Malmö, Ormö und Sjursö.

Eine Villeggiatur am Christiania-Fjord hat ihre ganz besonderen Reize. Man segelt, badet, veranstaltet Landpartien und Picknicks im Grünen und freut sich der köstlich frischen Meer- und Bergluft. Der Geschäftsmann, welcher am Tage in der Stadt seinem Berufe nachgehen muß, genießt wenigstens die Abende draußen im Kreise der Seinen. Noch zur Mitternachtszeit, die ja hier im Hochsommer keine Dunkelheit bringt, steht man oft reichgeschmückte, mit vergnügten Menschen gefüllte Boote auf dem traumhaft stillen Wasserspiegel zwischen den Waldinseln dahingleiten und hört überall fröhliche Stimmen erschallen. Namentlich in der Johannisnacht, dem Mittsommerfeste, das zu Ehren des Sonnen- und Lichtgottes schon in vorhistorischen Zeiten im skandinavischen Norden gefeiert ward, bleibt Alles bis zur Morgenröthe wach. Da flammen Freudenfeuer von den Bergen und Inseln, ja selbst von Flößen die man auf dem Fjord schwimmen läßt; Raketen und Leuchtkugeln steigen in die fast tageshelle Luft, und überall wogen dichte Menschenmassen, die sich, wenn auch in merkwürdig stiller Weise, des Sommereinzuges freuen.

Aber auch der Winter in Christiania hat seine Vorzüge. Er ist zwar streng und andauernd, bringt aber meist windstilles, klares und sonnenhelles Wetter. Dann blüht auf der weiten glatten Fläche des Fjordes, oft bei Musik und bengalischer Beleuchtung, der Eissport.

Auch das gesellige Leben Christianias wird gerühmt. Die Gastfreundschaft der Nordländer und ihre liebenswürdige Zuvorkommenheit gegen Fremde sind ja in der ganzen Welt genugsam bekannt. Oeffentliche Vergnügungen giebt es hier allerdings nur in geringem Maße, und es ist auffallend, wie still und ehrbar in dieser Beziehung die norwegische Hauptstadt im Vergleich zu Stockholm und Kopenhagen erscheint. Für das Theater namentlich schaut hier weit geringeres Interesse zu herrschen, als in unseren deutschen Großstädten. Außer den dramatischen Arbeiten der nationalen Dichter, von welchen sich Björnson und Ibsen ja auch bei uns Eingang verschafft haben, führt man meist Uebersetzungen aus dem Französischen auf; denn gegen das von Deutschland Kommende hegt man, ganz vergessend, daß dort die Wiege der skandinavischen Cultur gestanden, noch mancherlei Vorurtheile, wenn sich auch[WS 1] der nach dem dänischen Kriege hier grassirende wüthende Deutschenhaß wesentlich gelegt und einer theilweisen Anerkennung unserer Verdienste Platz gemacht hat.

Die Zeit der skandinavischen Unionsbestrebungen scheint jetzt auch vorüber zu sein, während eine starke und von Jahr zu Jahr wachsende Partei Norwegen als selbstständige Republik von Schweden losgelöst sehen möchte, obgleich es ja schon jetzt mit letzterem Reiche wenig mehr als die Dynastie gemeinsam hat. Diese residirt fast ausschließlich in Stockholm. Der König, nach dem Gesetze verpflichtet, drei Monate des Jahres in Norwegen zuzubringen, kommt meist ohne seine Familie und mit geringem Gefolge in’s Land. Obwohl er beim Volke durchaus nicht unpopulär ist, mag ihm doch seine Stellung dem Storthing gegenüber, die ihm jegliche Autorität nimmt, den Aufenthalt in diesem seinem Königreiche nicht besonders angenehm erscheinen lassen.

Es war zwar die Rede davon, der Kronprinz werde als Vicekönig von Norwegen seine Residenz in Christiania aufschlagen, es scheint aber, als ob dieser Plan sich noch nicht so bald realisiren werde. Auch der jugendliche Kronprinz mag sich kaum nach der unmittelbaren Nähe des Storthings sehnen, der ihm erst kürzlich, bei Gelegenheit seiner Vermählung, eine geringe Erhöhung seiner sehr bescheidenen Apanage verweigert hat. Uebrigens war die deutschfeindliche und skandinavische Partei mit der Wahl des Thronerben wenig zufrieden. Man hätte lieber die älteste Tochter des Prinzen von Wales, die Enkelin der Königin Victoria und des Königs von Dänemark, als künftige Herrscherin begrüßt. Trotzdem wurde die Kronprinzessin bei ihrem am 11. Februar dieses Jahres erfolgten Einzuge in Christiania mit enthusiastischen Kundgebungen und einer Reihe so glänzender Feste empfangen, wie sie Norwegens Hauptstadt nie zuvor gesehen.

So steht denn zuversichtlich zu hoffen, daß es der liebenswürdigen Enkelin unseres Kaisers, welche die Herzen ihrer neuen Landsleute im Sturme errungen zu haben scheint, von der Höhe des Thrones aus gelingst werde, den skandinavischen Völkern Sympathie für deutsche Sitte und deutsches Wesen einzuflößen und die Bande zwischen Nord- und Südgermanen wieder enger zu knüpfen.




Populäre heimische Vögel auf der Anklagebank.

Eine praktische vogelkundliche Untersuchung.
Von Gebrüder Adolf und Karl Müller.

Das seit mehr als fünf Jahrzehnten übliche Losungswort „Schutz den Vögeln!“ wird heutzutage gerade da am meisten gehört, wo der tiefere Blick in das Leben der gefiederten Wesen fehlt, ja selbst in die neuerdings erlassenen Gesetze und Polizei- Ordnungen über den Vogelschutz haben sich mehrfache Ungereimtheiten und Widersprüche eingeschlichen, welche auf Unkenntniß der Sache zurückzuführen sind; so ist es denn sicher an der Zeit, das Publicum über die Nützlichkeit und Schädlichkeit der einzelnen Vogelarten von Neuem aufzuklären, und wir thun es an dieser Stelle um so lieber, als wir neben altbekannten Thatsachen hier wesentlich Neues über die Frage des Vogelschutzes mitzutheilen in der Lage sind – Ergebnisse der jüngsten Beobachtungen und Forschungen auf dem einschlägigen Gebiete.

Die Frage des Vogelschutzes beschäftigt gegenwärtig die Gemüther auf’s Lebhafteste, und Vereine und Privatpersonen erwägen sie immer auf’s Neue. Angesichts dieses Umstandes dürfen wir wohl bei den Lesern der „Gartenlaube“ gerade gegenwärtig ein genügendes Interesse für den Gegenstand voraussetzen, um die Einladung wagen zu können: den folgenden Betrachtungen über unsere populären heimischen Vögel und ihre Stellung zur Frage des Vogelschutzes freundliches Gehör zu schenken. Wir werden einige volksthümliche Vögel Deutschlands der Reihe nach in den Bereich der Betrachtung ziehen.

1. Die Diebereien der gemeinen Krähe und Dohle in Feld und Garten.

Schon im Jahre 1876 erklärten wir kraft fortgesetzter eingehender Beobachtungen der Rabenkrähe (Corvus corone) und der Dohle (monedula turrium), daß wir diesen beiden Rabenvögeln in unseren früheren Werken im Allgemeinen zu viel nutzenbringende Eigenschaften zugestanden. Neue ergänzende Erfahrungen nach dieser Richtung hin ließen in uns endlich die Ueberzeugung reifen, daß Krähe und Dohle allerorts dieselben sind: freche Diebe an den Früchten und dem Obste in Feld und Garten gefährliche Feinde den Klein- und Mittelvögeln.

Die Krähe ist langsam und ungewandt im Fluge und allen ihren Bewegungen. Das alte Klein- und Mittelgeflügel ist deshalb vor ihren Nachstellungen sicher. Aber man controllire einmal unausgesetzt den scheuen schwarzen Dieb zur Zeit seines Nistens! Wie er schon zeitig im Frühjahre, vom März und April an, die Nester der Ackerlerche, des Goldammers, der Stein- und Wiesenschmätzer, des Baumpiepers und unzähliger anderer nützlicher Erdnister zerstört durch Raub der Eier und Jungen, so bestiehlt er in Sträuchern und auf Bäumen die Nester ebenso vieler angenehmer und nützlicher Singvögel.

Dabei geht der geweckte Geselle planmäßig zu Wege: er hält eine förmliche Suche nach den Nestern, unterstützt durch sein scharfes, das dickste Gebüsch und den dichtesten Baumschatten durchdringendes Krähenauge. In derselben planmäßigen und unermüdlichen Weise, wie er den Eiern und Nestlingen nachspürt, verfolgt er die ausgeflogenen jungen Vögel. Schon früher beobachteten wir, wie Krähen eben flügge gewordene Steinschmätzer aus ihren Verstecken aufscheuchten und dann im Fluge durch wiederholtes Stoßen die Bedrängten nöthigten, in dem Wachsthum des Bodens Schutz zu suchen. Hierauf durchschritten die Verfolger in aufgerichteter Haltung die Plätze, woselbst die Vögel eingefallen waren und sich versteckt hielten, nach allen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: eauch
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_738.jpg&oldid=- (Version vom 5.8.2023)