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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

denen die Gelegenheitsgedichte, namentlich aber seine in Versen abgefaßten Reden, die vorzüglichsten sind; hier erzielt die unserm Dichter eigenthümliche rhetorische Bilderpracht eine große und gewaltige Wirkung.

Bis zu einem gewissen Grade mag der durchgängig rhetorische Charakter der Tegnér’schen Dichtweise ein Erbe der alten schwedischen Schule gewesen sein, allein andererseits wurzelte er tief in der eigenen Persönlichkeit des Dichters und trug wesentlich dazu bei, daß sein Volk mit so großer Liebe an seinen Werken hängt; denn es ist eine Eigenthümlichkeit der schwedischen Nation, die hier ihren schönsten und vollsten Ausdruck gefunden hat.

Tegnér schloß sich, wie gesagt, keiner der bestehenden schwedischen Literaturschulen unbedingt an. Es war keiner von seinen geringsten Vorzügen, daß er es verstand, sich das Gute und Tüchtige, was er bei jeder derselben fand, anzueignen und es mit seinem eigenthümlichen geistigen Wesen zu verschmelzen. Eben dadurch ward er, ohne eine eigentliche Schule zu gründen, der hervorragendste Führer der schwedischen Literatur.

Aber auch in seinem Verhältniß zur Literatur des übrigen Europa bewährte er die Gabe eines feinsinnigen geistigen Aneignungsvermögens. Auf vielen Punkten zeugt seine Dichtung von seiner seltenen Empfänglichkeit für das Gute und Schöne, das er bei den Fremden fand, und von der großen Geschmeidigkeit seines Geistes. So verrathen die „Abendmahlskinder“ ein gründliches Studium Goethe’s, namentlich von „Hermann und Dorothea“; „Axel“ zeigt unverkennbar Byron’schen Einfluß und die „Frithjof’s-Sage“ die Einwirkung der Oehlenschläger’schen Dichtungen. Aber stets ist bei ihm das Fremde so völlig und selbstständig durchgearbeitet und von seiner Individualität so tief und warm durchdrungen, daß es ganz und gar sein Eigen geworden ist. Kein Dichter ist so ausgeprägt schwedisch wie Esaias Tegnér.

Dr. Fr. Winkel Horn.


Zwei Spätherbstrosen an meinem Bett.[1]

Zwei Spätherbstrosen an meinem Bett,
Eine weiße und eine rothe –
Grüßt mich das Leben oder der Tod?
Sagt an, weß’ seid ihr Bote?

Da winkte die weiße geheimnißvoll:
„Von längst verschollenen Tagen,
Gestorbener Liebe, verlorenem Glück
Soll ich dir Grüße sagen.

Ich weiß in der Ferne manch’ einsam’ Grab,
Dort harrt man dein schon lange;
Ich kenn’ auch ein stilles Plätzchen für dich –
Laß küssen mich deine Wange!

Dann bist du befreit von des Lebens Pein,
Kannst schmerzlos träumen und schlafen.
Fernab tobt weiter Haß und Streit –
Du aber, du bist im Hafen.“

Sie schwieg; schon wollt’ ich in Todeslust
An’s Herz die Sprecherin drücken –
Da hub die rothe Rose an:
„O laß dich nimmer berücken!

Zwar kann ich dir nicht, wie die Schwester mein,
Den ewigen Frieden geben –
Ich bringe die Blüthe nicht ohne den Dorn –
Ich bin das ringende Leben.

Von rosigen Lippen künd’ ich dir Gruß,
Die ohne dich müßten erblassen;
Ich bin die Liebe und rufe dir zu:
Du darfst von Liebe nicht lassen.

Du darfst nicht feige entfliehen dem Kampf,
Ob schmerzen die klaffenden Wunden;
Zu neuem Leben, zu endlichem Sieg
Noch einmal mußt du gesunden.“

Da schrak ich empor vom Fiebertraum:
Die weiße Rose verwehte –
Die rothe küßt’ ich mit bebendem Mund
In stillem Dankesgebete.

Ernst Scherenberg.
  1. Aus Ernst Scherenberg’s soeben erschienenen „Neuen Gedichten“ (Leipzig, Ernst Keil), welche wir schon jetzt der Beachtung für den Weihnachtstisch bestens empfehlen. D. Red.


Fiel Gustav Adolf durch Mörderhand?

(Zum 16. November.)

Das ernste Fest, welches vor Monatsfrist zum zweihundertfünfzigsten Gedenktage von Gustav Adolf’s Tode auf dem Lützener Schlachtfelde gefeiert wurde, ist verklungen und in unserer raschlebigen Zeit schon halb vergessen. Man beging jene Feier einige Kalenderwochen vor Eintritt des geschichtlichen Gedenktages, um eine mögliche Störung desselben durch die Unbilden der rauhen Novemberwitterung zu verhüten. Wir haben damals (vergl. Nr. 37 dieses Jahrgangs) das für Deutschland so überaus folgenschwere Ereigniß in Bild und Wort unseren Lesern in die Erinnerung zurückgerufen. Wenn wir trotzdem heute noch einmal auf die Lützener Schlacht und den schwedischen Heldenkönig zurückkommen, so geschieht es, um den wirklichen Gedenktag der Schlacht nicht vorübergehen zu lassen, ohne unsern Lesern etwas zu bieten, was auf Gustav Adolf Bezug nimmt. Wir geben daher im Nachstehenden eine gedrängte, aber fesselnde Skizze, welche die Entstehung und die Entwickelung jener Sage darthut, nach welcher der Schwedenkönig von der Mörderhand eines Verräthers auf dem Schlachtfelde getödtet wurde.

Wie weit wir auch in die Weltgeschichte zurückblicken mögen, stets begegnet uns ein in der Menschheit tief wurzelnder Hang zum Ungewöhnlichen, Wunderbaren. So oft eine Gestalt über die Bühne der Geschichte schritt, gewaltig und groß, imponirend durch ihre Erscheinung und durch ihre Thaten, immer war die Mitwelt geneigt, beim Abtreten dessen, zu dem sie staunend aufgeschaut, daran zu zweifeln, daß er in derselben Weise wie die gewöhnlichen Sterblichen der Natur seinen Tribut gezollt. Die Apotheosen einer Semiramis, eines Romulus – was sind sie anders als eine Manifestirung dieser menschlichen Eigenthümlichkeit? Und – um Näherliegendes zu erwähnen – wer denkt hier nicht an die schöne Kyffhäusersage, die das Fortleben des glänzenden, prächtigen Hohenstaufenkaisers Friedrich des Zweiten im Volke repräsentirte, eine Sage, die später erst mit Friedrich Barbarossa’s Andenken verwebt wurde? Wer erinnert sich hier nicht der Erzählungen, die sich um den Tod eines Joseph des Zweiten rankten, von dem die Bauern, denen er ein Vater gewesen war, die Ueberzeugung hatten, er würde von den Pfaffen, seinen Feinden, irgendwo verborgen gehalten, und an dessen glückbringendes Wiedererscheinen sie noch Jahrzehnte hindurch hoffend glaubten? Wem ist endlich der romantische Mythus fremd, der Napoleon des Ersten tragisches Ende umkränzte, des gewaltigen Schlachtenkaisers, den viele in dem furchtbaren Aegypter Ibrahim wiedererkennen wollten, dessen Hand man noch bei Louis Napoleon’s Auftreten zu verspüren meinte?

Einem ähnlichen, wenn auch weniger kindlichen Ausflusse dieser Hinneigung zur Sagenbildung begegnen wir in der Mythe, welche sich um den Tod Gustav Adolf’s webt und ihn durch Mörderhand fallen läßt. Lange Zeit wurde die Meinung gang und gebe, daß der Herzog Franz Albert von Sachsen-Lauenburg verrätherisch seinen Arm wider den König erhoben habe, und noch Schiller vertheidigt ihn in seiner poesiedurchwebten Geschichte des Dreißigjährigen Krieges auf eine Weise, daß man eher an seine Schuld, als an seine Unschuld glauben möchte. Schiller, dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 750. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_750.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2023)