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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


Hedwige flog vor mir den Weg hinunter, so zur Laube führet; ihr schwarz Gewand wehete um die zartfeine Gestalt. Ich folgte ihr langsam und blieb hie und da vor einem Beetlein stehen, auch vor dem, das Conradus einsten zugehöret; das hatte ich seither immer gewartet, und in diesem Jahr hatt’ ich seinen Namen darauf gesäet mit Kressen, und freute mich nun, daß die grüne Saat zu sprießen begunnete, und deutlich in zarter Schrift der Name ,Conradus‘ prangete. Zupfte auch noch rasch ein Unkraut hinweg; da ich aber in die Laube trat, fund ich Hedwige; die hatt’ den Kopf in den Händen geborgen; der Veilchenkranz lag am Boden, und sie weinte laut und gar bitterlich.

,Was fehlet Dir, Hedwige?‘ fragte ich erschreckt.

Sie aber hub das Gesicht, und die Thränen hingen ihr an den dunklen Wimpern.

,O Christiane,‘ gab sie zurücke, ‚es sehnt sich mein Herze.‘

‚Wonach, Hedwige?‘

Da stund sie auf und reckte die Arme empor, als wollt sie hinauffliegen in den klaren blauen Himmel, hinweg aus dem engen stillen Gärtlein – in unbekannte Fernen.

‚Wonach – ich weiß es schier selbst nicht,‘ sagte sie dann, und ihre Blicke verfolgten einen Weihen, der rasch und königlich in die Lüfte stieg, also daß er nach wenigen Minuten kaum noch wie ein Pünktelein im Aether schwam.

Hedwige war von Stund’ an wie verwandelt. Oft stund sie nachdenklich am Fenster und spähete nach Allem was geschah. Gab auch gar viel zu schauen auf den Straßen; denn ungleich prächtiger war itzo die Hofhaltung, als sonsten; viel fremde Herrschaften kamen und gingen, so großen Dienertroß mit sich führeten, und solcher trieb sich meistentheils umher auf dem Platz vor unserem Hause; auch ward Abends unter den Linden vor des Castellans Logament mehr Jubel laut, denn oben in des Schlosses Prunksälen, mit Dirnen, Tanz und Bier, also daß es bis in die Nächte hinein tobete, wie am ersten Maien auf dem Blocksberg.

Auch das Völklein der Komödienspieler war einlogieret in unsrer Nachbarschaft; allerhand fremd Gesindel, und manch Mädchen fernher aus Italia, schwarz von Aug’ und Haaren und von bräunlicher Gesichtsfarbe. Die wandelten fleißig vorüber an unserem Haus, und unterweilen flog wohl das kecke Funkeln eines Auges herauf nach unserem Fenster, so Hedwige darinnen lehnte; dann lächelte sie gar holdselig und beugte sich vor, also daß ich mich schämte und nimmermehr am Fensterlein schaffen mocht. Verbot auch bald die Mutter, daß sie nicht mehr hinaussehen durfte, noch mit Nähzeug oder Spinnrad alldort sitzen, und Base Wieschen hielt streng Obacht darob.

Da aber eines Tages Serenissimus den Vater sowie uns huldvoll invitirete, ein französisch Schauspiel mit anzusehen, betitult: ,Der scheinheilige Mann Tartuffe‘, von einem Msr. Molière, gerieth mein Vater in argen Zorn und verstund sich nur mit Mühe und auf der Mutter sanftes Zureden, geziemend zu danken für Serenissimi Gnade; er ließ Serenissimo unterthänigst vermelden: es sei nicht paßlich für seinen geistlichen Stand, derlei Kurzweil mit anzuschauen; er ziehe mit gnädigster permission vor, zu Hause zu bleiben nebst seiner Familie. War auch tagelang noch arg böse und setzte das Fenster seines Gemaches zu, so ihm das verhaßte Gebäude zeigte.

Ich fragte nimmer viel nach solchen Aergernissen, zählete ich doch jeglichen Tag und jegliche Stunde, da Conradus wiederkehren mußt; auch war ein gnädig Handschreiben von Serenissimo gekommen, daß Conradus als am ersten Pfingstsonntage seine Probepredigt halten solle in der Hofkirche. Prinzeß Liselotte hatt’ ihrem ‚Pathenkind‘ einen Amtsanzug verehret aus köstlichem Brabanter Tuch und die Halskrause vom feinsten Linnen. Solches hing vor Staub wohl geschützet in seinem Stüblein, und alltäglich ging ich hinauf und öffnete die Fenster, nahm den Staub von den Geräthen und hantierete dort umher; dann ward mein Herz ach! so voll heimlichen Glückes Erwartung, und oftmalen blieb ich verträumet darinnen sitzen, sah den Sonnenstrahlen zu, die längs der Wand hinglitten, und malte mir aus, wie sich dorten über die Schreiblade bald ein dunkellockig Männerhaupt beugen werde in ernstem Studio; ich meinete allbereits sein klangvoll Sprechen zu hören: ‚so ist denn noch Alles gut worden, mein vielliebes Schwesterlein.‘

Dann aber hielt ich inne.

‚Nicht Schwester! nicht Schwester!‘ rief es in mir, und ich sprang empor. ‚Nein süßer noch, zu tausendmalen süßer!‘ und ich dankete Gott inbrünstiglich, daß Conradus nicht mein Bruder; ich faltete die Hände zum Segen für die hohe Dame, so ihm das Leben gegeben, die einsam geblieben, ob sie gleich ein Recht auf Liebe hatte, auf heilige Kindesliebe – arme Liselotte! Ich konnt ihr nun und nimmermehr zürnen – um seinetwegen!

Und er kam. Ei, fraget mich nicht, wie es war, da ich ihn wiedersah – ihn, an den ich allstund gedacht in scheuer Sehnsucht. Weiß nur noch, daß ich, da er erwartet wurde, mir ein Sträußlein Vergißmeinnicht an mein braun Gewand heftete und ein blau Band in den Zopf flocht – weiß nur noch, daß die Base lachend mich angesehen, und daß ich Abends im Garten auf- und abschritt und endlich, mir selbsten unbewußt, das Pförtlein öffnete und am Waldesrande entlang wanderte, da er kommen mußt.

Am Himmel stund purpurn das Abendroth, und weit hinaus lag über das Land ein duftiger Hauch; fein leise athmete der Wind mir entgegen und machte die junggrünen Blätter sich flüsternd bewegen. Unter der Buche am Wegesrand that ich mich setzen und schauete aus nach ihm, den ich so inniglich lieb hatte, über mir aber flogen die Vögelein zu Neste, und vom Schloßthurm verhallten itzo gerade die letzten Klänge des Geläutes; kein Laut, ringsum kein Ton, denn einzig das Zirpen der Grillen – heiliger Abendfriede allenthalben!

Da bog eine hochschlanke Gestalt um die Waldecke; das leichte Ränzlein über dem Rücken, den Wanderstab in der Hand, also schritt er einher, fürnehm und sicher, wie je Einer gegangen.

,Conrade!‘ wollt ich ihm entgegenrufen, und vermocht’ es doch nimmer; rasch eilte ich auf ihn zu; dann ward mein Schritt allgemach langsamer, und endlich blieb ich stehen; ein seltsam Bangen war über mich kommen. Er aber hatt’ mich auch erkannt, und nun faßten zwo Hände die meinen, und eine Stimme sprach, wie ich sie gehöret im Wachen und im Träumen immerdar: ‚Gott grüß’ Dich, Christiane!‘

Ich wagte nimmer zu ihm aufzusehen, und da schlang er den Arm um mich und sagte scherzend:

,Ei, bist mir entgegenkommen, und hast kein Wörtlein für mich?‘

Da schauete ich ihn an, und es waren die blauen ernsten Augen wieder, und das liebe Gesicht; aber blaß war es, gar so blaß – und seine Linien erzähleten von Arbeit viel und viel Leid.

‚Du bist noch immer nicht gesund, Conrade,‘ sagte ich, ‚aber itzo ruhest Du aus bei uns – möge es Dir wohlgefallen!‘

Er drückte mir herzinniglich die Hand.

,So helfe Gott dazu!‘

Und wir gingen mitander, und unterweilen schauete ich ihn an, wie er so still neben mir schritt; und ich meinete, die Welt sei noch niemalen so schön gewesen denn heute im erbleichenden Abendroth.

Er war wieder kommen; was schuf mir annoch weiter Noth?“

(Schluß folgt.)




Deutsche Weihnachtspiele.

Verklärt vom Glanz der reinen Liebe, ist uns die Weihnacht wohl noch immer das höchste Fest des Jahres. Die Alles verwandelnde Zeit hat zwar die äußeren Formen desselben vielfach geändert, seine innere Bedeutung aber ließ sie unberührt, und nach wie vor feiern wir in den langen Nächten des Mittwinters den symbolischen Sieg des Lichtes über die Finsterniß, den wahren Sieg der Nächstenliebe und Barmherzigkeit über die finsteren Mächte des Hasses und Neides. Wenn wir daher in alte Zeiten zurückschauen und die vielfachen Bräuche, die zahlreichen Spiele und Umzüge uns noch einmal vergegenwärtigen, welche einst diesem Feste besonderen Glanz verliehen, so empfinden wir wohl kaum einen Schmerz darüber, daß heute all dieser äußerliche Prunk fast spurlos verschwunden ist; genügt uns doch der einfache Glanz des strahlenden Christbaumes und das lautere Gefühl, welches die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 840. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_840.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2023)