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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Eine andere Vermuthung über einen beständigen Ersatz der verbrauchten Sonnenwärme hat Robert Mayer von Heilbronn, der geniale Begründer der mechanischen Wärmetheorie, aufgestellt, indem er annahm, daß der Sonnenbrand eine beständige Nahrung durch die Schwärme von Meteoriten fände, die im Raume umher kreisen und, von der Sonne angezogen, in sie hineinstürzen, doch hat diese Ansicht bei den Fachgenossen verhältnißmäßig nur geringen Beifall finden können, da man wohl an einen ununterbrochenen Meteoritenregen denken müßte, um den verlangten Wärme-Effect zu erzeugen. Außerdem läßt diese, wie alle übrigen älteren Sonnentheorien, die unbefriedigende Annahme bestehen, daß eine ungeheure, völlig nutzlose Verschwendung der Sonnenwärme im Weltenraume stattfinde, sofern höchstens einige Procente derselben von den gesammten Planeten sammt ihren Monden erhascht würden, die weitaus größte Menge aber gerade für die nähern Angehörigen des Systems völlig verloren ginge.

Obwohl wir nun nicht behaupten können, daß die im Weltenraume zerstreute, für uns verlorene Sonnenwärme nicht auch da noch unbekannte kosmische Zwecke erfüllen könnte, und obwohl es uns nichts anginge, wenn sie auch gar keine erfüllte, so bleibt uns eine solche Annahme zugestandenermaßen unbehaglich, weil sie im Widerspruche steht mit den sonst im Naturgetriebe zu beobachtenden Regeln der Harmonie und Sparsamkeit, und man versteht darnach leicht die günstige Aufnahme einer neuen Sonnentheorie, welche der deutsche Physiker C. W. Siemens in London vor einigen Monaten aufgestellt hat, um alle die erwähnten Schwierigkeiten zu beseitigen. Diese Theorie geht darauf hinaus, eine Art Kreislauf der Wärme im Wirkungsbereiche der Sonne wahrscheinlich zu machen, indem sie zu zeigen sucht, daß die Sonne die von ihr in den freien Raum ausgestrahlte Wärme in einer andern Form (als Brennmaterial) zurückempfange, womit, wenn diese Ansicht endgültig begründet werden kann, einer nicht unerheblichen kosmologischen Schwierigkeit abgeholfen sein würde.

W. Siemens geht in seiner neuen Sonnentheorie von einer Annahme aus, die auch schon von mehreren anderen deutschen Physikern, namentlich von Zöllner, aufgestellt worden ist, daß nämlich der Weltraum nicht, wie man früher annahm, blos von einem sogenannten Lichtäther, sondern durchweg mit höchst verdünnten Luftarten (Gasen) erfüllt sei, und zwar mit Gasen von derselben Art, wie sie sich in den Atmosphären der Erde und der übrigen Planeten finden, nämlich Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Kohlensäure, Kohlenwasserstoff und noch mehreren anderen Wasserstoffverbindungen, sowie auch staubartig in diesen verschiedenen Gasen schwimmenden festen Massen. Unsere Atmosphäre würde demnach nicht, wie es sonst wohl hieß, in einer Höhe von zehn Meilen aufhören oder plötzlich an einen leeren Raum grenzen, sondern sich allmählich verdünnen und unmerklich in die sehr dünne Luft des sogenannten „leeren“ Raumes übergehen; ja man ist vielleicht gezwungen, anzunehmen, daß jeder Weltkörper eine seinen Massenverhältnissen entsprechende Atmosphäre aus diesem unerschöpflichen Vorrath an sich zieht. Dabei liegt der Schluß nahe, daß die schwereren Luftarten, wie Sauerstoff, Stickstoff und Kohlensäure, meist, wie bei uns, den Hauptbestandtheil dieser Atmosphären bilden werden, während die leichteren, namentlich der Wasserstoff und seine Verbindungen, in ihnen (selbst einen Luftballon tragend) emporsteigen und demnach jenseits der Atmosphäre, im Weltraum, vorherrschen müssen. Aber nicht allein die Planeten als Einzelwelten, sondern auch das Planetensystem als Ganzes wird im Vergleiche zu dem weiten Sternenraum eine Art dichterer Gesammtatmosphäre festhalten.

Diese Annahme von dem Vorherrschen gewisser in unserer Atmosphäre nur spärlich vertretener Gasarten (die sich durch Leichtigkeit und großes Verbreitungsvermögen auszeichnen) im Weltenraume findet eine Art unmittelbarer Bestätigung durch den auffallend großen Gehalt an solchen Gasarten, welcher Meteorsteinen eigen zu sein pflegt, die aus dem äußern Raum auf die Erdoberfläche niederfallen. Die Meteorsteine enthalten häufig in ihrer inneren Masse so viel aufgesaugte Gase, daß diese nach ihrer Austreibung durch Hitze mehr als den fünf- bis sechsfachen Raum des Steines einnehmen, und ein solcher in jüngster Zeit von Dr. Flight unmittelbar nach seinem Niederfallen analysirter Meteorstein enthielt ein Gasgemisch, dessen Gehalt an Wasserstoff und Kohlenwasserstoff über fünfzig Procent stieg, wozu noch zweiunddreißig Procent Kohlenoxydgas und siebenzehn Procent Stickstoff kamen, die beide etwas leichter als atmosphärische Luft sind.

Man nimmt allgemein an, daß diese Gase keineswegs erst beim Durchkreuzen unserer Atmosphäre von dem Meteoriten aufgenommen wurden, da letztere von Wasserstoff und seinen Verbindungen nur Spuren enthält, sondern daß er durch sein Erglühen in der Atmosphäre eher einen Theil seiner im Weltraum aufgesaugten Gase verlieren mußte. Ebenso hat bekanntlich die spectroskopische Untersuchung der Kometen ergeben, daß diese den Weltraum in allen Richtungen durchkreuzenden „Zigeuner“ besonders reich an Kohlenwasserstoffverbindungen sind, sodaß auch dadurch die Annahme von dem Vorherrschen des Wasserstoffs und seiner Verbindungen im Weltenraume bestätigt wird.

Suchen wir uns nunmehr das Verhalten des glühenden Sonnenballes zu dieser hauptsächlich aus brennbaren Gasen bestehenden Weltenluft vorzustellen. Ungleich den Planeten, welche an ihrer Oberfläche vorzugsweise nur die schwereren Gase verdichten können, vermag der Sonnenkörper vermöge seiner so viel größeren Masse auch das Wasserstoffgas zu fesseln, das wir häufig in ungeheuren Sprühstrahlen an seiner Oberfläche brennen sehen.

Siemens geht nun ferner davon aus, daß die Drehungsgeschwindigkeit eines Punktes am Sonnenäquator mehr als viermal so groß ist, wie bei der Erde, was nach seiner Meinung hinreichen muß, eine beträchtliche Erhebung der Sonnenatmosphäre über dem Aequator zu erzeugen, wie eine solche bereits im vorigen Jahrhundert durch den Astronomen Mairan vermuthet und zur Erklärung des Zodiakallichtes verwendet wurde (vergl. „Gartenlaube“ 1879, S. 177). Unter diesen Umständen muß nach Siemens die Sonnenrotation am Aequator ventilatorisch wirken, und die Gase der Atmosphäre dort in einer an den Saturnring erinnernden Form wegtreiben, während in den der Fliehkraft entbehrenden Polargegenden dafür andere Gase aus dem Raume angezogen würden, welche den beständigen Verlust am Aequator decken müssen. Es wäre somit ein einfacher Kreislauf hergestellt, fast wie der Kreislauf des Wassers auf der Erde, welches am Aequator in Dampfform aufsteigt und an den Polen in flüssiger Gestalt wieder niedergeschlagen wird, nur mit dem Unterschiede, daß die verbrannten Gase am Sonnenäquator in den weiten Planetenraum hinausgetrieben würden, um sich dort immer weiter auszubreiten und damit der Sonnenatmosphäre nicht gänzlich verloren zu gehen. Nicht selten mag es dabei vorkommen, daß in Folge der in der Sonnenatmosphäre wüthenden kolossalen Wirbelstürme zum Theil auch schwerere Dämpfe aus dem unteren Theile der Sonnenhülle in den Raum hinausgerissen werden, um dann vielleicht jenen Eisenstaub zu erzeugen, welcher häufig als meteorischer Niederschlag, namentlich auf Schneefeldern, beobachtet worden ist, und seine Entstehung aus Eisendampf dadurch verräth, daß seine Körnchen, wie die kleinsten Theile unseres Nebels, die Gestalt winziger hohler Bläschen besitzen.

Von den in der geschilderten Weise in den Planetenraum hinausgetriebenen Verbrennungsproducten der Sonne, das heißt in erster Linie der gasförmigen Verbindungen des Kohlenstoffs, Sauerstoffs, Wasserstoffs und Stickstoffs, muß man nun annehmen, daß sie sich im Planetenraum immer weiter ausdehnen und unendlich verdünnen werden. Nun ist es aber nach den Untersuchungen verschiedener Chemiker, namentlich Saint-Claire Deville’s, festgestellt, daß chemische Verbindungen um so leichter wieder in ihre Bestandtheile zerfallen, je mehr sie sich in einem anderen Mittel ausbreiten, z. B. mit großen Mengen von Luft oder Wasser aufgelöst und verdünnt werden. Mancherlei neue Versuche und Erscheinungen machen es außerdem sehr wahrscheinlich, daß das Licht die Zersetzung solcher in großer Verdünnung ihm ausgesetzter Stoffe erheblich befördert. So findet bekanntlich die Zersetzung der Kohlensäure in der Pflanzenzelle nur unter dem Einflusse des Sonnenlichtes statt, und es werden dabei als Endproducte stets sauerstoffärmere (brennbare) Stoffe, wie Holz, Harze, fette und ätherische Oele etc. gebildet.

Nach diesen und anderen Erwägungen erscheint es sehr begründet, mit Siemens anzunehmen, daß das in den Raum hinausstrahlende Sonnenlicht die darin im höchsten Zustande der Verdünnung befindlichen Verbrennungsproducte der Sonne und anderer Quellen wieder in ihre brennbaren Bestandtheile zurückverwandele, und sodann würde man nicht mehr sagen können, daß die in den Raum hinausstrahlende Sonnenkraft irgendwie nutzlos vergeudet würde.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 847. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_847.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2023)