Seite:Die Gartenlaube (1882) 856.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Schreibpult über einer Menge Bücher und Schriften, schrieb aber nimmer; sein dunkellockig Haar, das war schier in die Stirn gefallen vor eitel Feuer des Lesens. Ich trat leise zu ihm hinan, und wie ich ihm über die Schulter schaute, da fielen meine Augen auf ein Büchlein, so auf der geöffneten Bibel lag; ich las: ,Antigone, ein griechisch Schauspiel; verdeutschet von – –‘ Den Namen vermocht ich nimmer zu entziffern, sintemal ich heftiglich erschrak. Ich legete still den Verordnungssermon auf das Tischlein und hub mich leise hinweg: Conradus aber rührte sich nicht, und da ich die Thür fürsichtiglich schloß, da saß er annoch immer und starrete auf das Büchlein.


Ging Alles gleichwohl seinen ruhigen Gang im Hause weiter, dieweil ich nicht den Muth hatt, Hedwige anzuklagen ob ihres Ungehorsams, noch Unruhe stiften mocht in meiner Eltern Herzen. Konnte aber nicht hindern, daß mir gar traurig zu Muthe ward und ich das heilige Pfingstfest herbeiwünschte, meinend, so ich erst Conradus verlobte Braut, müsse Alles anders werden; glaubte ich doch, er ängstige sich mehr denn nöthig ob seiner ersten Predigt und des ernsten Berufes, so seiner warte.

Da aber die letzte Woche vor Pfingsten anhub, zog ein groß Wirthschaften ein und Rumoren in unserem Hause, und der Base Schlüsselbund klirrete ungleich lauter denn zuvor. Alles war blinksauber im Hause, und Gänge und Treppen halleten wieder von eitel fröhlichem Thun; Speisekammer und Keller waren wohl gefüllet, wie sonsten nur zur heiligen Weihnachtszeit, und immer noch mehr schaffte die Mutter herzu, sintemal viel Besuch zu erwarten stund von unserer Sippe.

Manch Etwas, das ich erlebet, ist undeutlich worden und verstaubet in meiner Seele, dieses Eine aber stehet noch anitzt vor mir in vieltrauriger Deutlichkeit, also daß auch nicht das Kleinste fehlet in meinem Gedächtnisse von jener Stunde, so mich elend gemacht für gar lange Zeit. Wie oft träume ich noch itzo den schweren Traum, wie oft nehmen die Tage, so vergangen sind, mich also in ihren Bann, daß ich sie wieder durchlebe mit dem nämlichen Weh wie dazumal. Dann wird es schier lebendig um mich in dem einsamen Gemach; dann tickt die Uhr, die alte, wieder laut und gar vernehmlich durch die Stille; dann rauschet es in der Linden wie eh’, und es klingen die Worte in meinen Ohren, die Worte, so mir das Herze gebrochen, und die Pfingstglocken, welche den bittersten Tag meines Lebens begrüßeten. Es packet mich das alte Herzeleid, und es jagt mich unstät hinaus aus dem Stüblein, hinunter in den Garten und fort, fort, nur fort – auf den Waldweg hinaus; gar lange dauert es, eh ich ruhig heimzukehren vermag in die Einsamkeit des altlieben Hauses.

Zween Tage vor Pfingsten, da schon die Maienbäume an der Hausthür und im Flur prangten und ihren lieblichen Duft verspendeten, da saß ich mit der Hedwige im Garten; wir wanden Kränze, so die Kanzel schmücken sollten, allwo Conradus zum ersten Male stehen würde im Kleide des Herrn. Hedwigens Hände zitterten, wenn immer sie Röslein und blühend Geisblatt in das grüne Laub banden; sie war gar hastiglich dabei, und endlich fragte sie:

‚Dünket es Dich nicht schwer, Christiane, einem Menschen zu vergeben, so er Dir bitter Leid zugefüget?‘

Sie sah mich so seltsam an, und ihre Brust hob sich schwer unter dem Leibchen von braunem Kartteck. Da ich sie aber verwundert anschauete, wandte sie scheu ihre Augen von mir ab und wühlte unter den Blumen und nahm dennoch nicht eine herfür.

‚Ich weiß es nimmer, Hedwige,‘ erwiderte ich, ‚denn bis annoch hat Niemand mir kein Leid zugefüget; aber so es geschähe, ich würde mich allzeit mühen, seiner in Milde zu gedenken.‘

Sie schwieg, und hub wieder an zu suchen unter dem Laube. Ich meinte, ihre Augen seien schier feucht worden, und rückete dichter zu ihr hinan.

‚Warum thust Du solch Fragen, Hedwige, und was macht Dich gar so traurig?‘ forschete ich, und ein tief Mitleid um sie überkam mich, dieweil sie ein arm verlassen Kind war, zu tausendmalen ärmer denn ich, die ich Eltern und Vaterhaus hatte und einem vielsüßen Glücke entgegenschritt. Und ich legte die Arme um ihren Hals: ‚Hedwige, mögest Du doch glücklich sein dereinst, gleichwie ich es zu werden gedenke in Bälde, mögest Dich allzeit erinnern, daß Du ein treu Herze an mir habest, so Du jemals solltest in Aengsten sein – an mir und an Conradus.‘

Da sprang sie empor, und ihre Hand stieß mich zurücke, also daß es mich schier schmerzte.

,Laß mich!‘ rief sie.

Ihre Lippen aber bebten, und dennoch verstummte sie. Nunmehro hub sie wieder hastig an, Blumen zu den Kränzen zu lesen, und band sie doch ungleich und riß sie wieder auseinander, und endlich warf sie das Gewind auf die Steinbank, da sie gesessen, und eilte aus der Lauben.

Wußte mir nicht zu deuten, was all das war; hatte noch kein leis Ahnen, daß ihr Gewissen allbereits kämpfte mit der allgewaltigsten Leidenschaft, so ein Menschenherze zu packen vermag und so man nur besieget, um selber daran zu verbluten; hatte kein Ahnen, daß der Dolch nunmehro gezücket, mir den Todesstoß zu geben, und daß nur noch ein feig Zittern, sich mit übergroßer Schuld zu beladen, sie solch Fragen thun ließ. Vollendete allein das Kränzeweben, bis daß mein fertig Werk anmuthig vor mir lag in seiner vollen Farbenpracht, und die Base es lobete, da sie just durch den Garten schritt.

Und so brach der heilige Abend an vor Pfingsten, und gar stille und feierlich ward es in Haus und Garten; der Nachtwind flüsterte leise in den Bäumen; sonst regte sich nichts umher. – Zur Abendsuppen fehlete Conradus. Ward wenig gesprochen, und ich rührte die Speise nimmer an; auch Hedwige vermocht nicht zu essen und sah sehr krank aus, also daß die Base ihr ein Tränklein zusagte für die Nacht. Schier geräuschlos ward die Mahlzeit beendet, und danach ging Jedes still für sich hinaus.

In des Vaters Stuben spielete noch leis der Abendschein, und ließ des alten Mannes ernst Gesicht rosiglich erglühen.

‚So werd ich denn morgen meines Lebens Wunsch erfüllet sehen,‘ sprach er, da ich ihn zur ‚gute Nacht‘ geküßt, ‚hat Gott es nicht allzeit gnädig mit uns gefüget?‘ – Und da ich hinaus ging, mahnete er: ‚Seid fein still, auf daß Conradus nimmer gestöret werde heut Abend!‘

So ging ich hinauf in mein still Kämmerlein, und nahm das Gewand fürsichtlich aus der Truhe, das ich morgen zu tragen gedachte, und räumte Alles herfür in herzklopfender Seligkeit; schnitt auch von dem Myrtestöcklein ein paar Zweige und eins vom Rosmarin, auf daß ich es zierlich auf das Gesangbuch legen thät. Und da Alles festlich bereitet war, löschete ich das Licht und setzte mich an das offne Fensterlein und hub an zu träumen von des morgenden Tages Glück.

War ein schwüler, dunkler Abend, ein Abend des Junymonds; erstickend dünkte es mich in dem engen Raum – oder war es nur mein eigen Blut, so heiß zum Herzen stieß? Durch das Lindengeäst zuckte ferner Wetterschein, und betäubend zog das Duften des Hollunders in mein einsam Gemach.

Weiß nimmer, wie es kam, daß ich eingeschlummert, und nun in jähem Schrecken emporfuhr. Meinete, ich habe schwer geträumet; denn also konnt es doch nimmer Wahrheit sein. War mir, als habe es mein Ohr getroffen wie flüsternd Liebeswort. Ha, und was vernahm ich itzo? Träumte ich denn annoch? Deutlich, deutlich, daß mein Herze sich wild emporbäumete in Weh und Zorn, scholl es jetzo herauf zu mir:

‚Hedwige! Hedwige, ich kann nimmer anders. Soll Gott mir gnädig sein in ewiger Barmherzigkeit, – ist nimmer so große Sünde, als da ich sein Haus entweihe mit falschem Eid.‘

Dann tiefes Schweigen – und wieder sein Sprechen, so süße. daß es mich durchschauerte in Wonne und Schmerz und mich dennoch zorniglich die Hände ballen ließ und mich rüttelte in schier ohnmächtigem Grimm.

‚Was ist alles Leid, was ist Fremde und Verachtung anitzt noch, Hedwige? Ein Herze, so mich verstehet, – gilt es nicht mehr denn Alles?‘

Und ich hörte ein unterdrückt Jauchzen von Hedwige’s Lippen: wie ein Jubelruf scholl es – und dann hub ein Flüstern an, ein Raunen, so ich nicht verstund, und nun hallten Schritte auf der Stiegen, und die Thür ging. Schwer sank mein Haupt auf die Fensterbank, und die Hände mein fasseten in einander, und ich wußte nimmer, ob es Wachen gewesen, ob Traum? Nur ein kurz Weilchen – wie Schuppen fiel es von meinen Augen; war ich denn blind bis itzo? Er hatt mich nimmer geliebet, halt nur gegriffen nach mir wie Einer in Wassersnoth nach dem Strohhalm greifet, der daher schwimmet; meinete seiner Leidenschaft Herr zu werden, so er an Amt und Weib gebunden, und noch in letzter Stunde

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 856. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_856.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2023)