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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

alldort viel weltlich Lust und Kurzweil, und noch itzo fuhr Prinzessin Liselotte mit dem holdseligen Lächeln an unserer Pforten vorbei, als seien die Jahre schier spurlos an ihrer stolzen Schönheit vorbeigangen; aber sie blickte nicht mehr herüber – was focht es sie an, wo er weilete, der einstens dieses Hauses Schutz genossen?

Da ich dreißig Jahr worden, stund ich wohl eines Herbstabends im Garten und schauete gar nachdenklich über den Zaun in das weitweite Land hinaus. Es tobte ein arger Wind: der jagte dustere Wolken am Himmel einher, feiner Regen aber sprühete mir in’s Angesicht und legte sich schier feucht auf mein Haar, in das sich allbereits manch Silberfädlein wob. Und da also der Sturm an meinen Kleidern zerrete und die letzten Blätter trutziglich von den Bäumen fegte, da geschah es, daß ich wiederum Conradus mußte gedenken, just wie es im Volksliede heißet vom armen Maidelein:

‚Wann ich gedenk’, wie es ihm geht,
Mein Herze in groß Trauern steht –
Ich kann nit fröhlich werden –‘

ich mußte gedenken, daß er niemalen würde den Pfad wieder daher kommen, so er oft gegangen. War auch heut wunderlich an ihn gemahnet worden; denn in dem Komödienhause agireten sie zur Nacht ‚Romeo und Julietta‘, so uns Conradus einstens an einem so trüben Herbstesabend wie heut hatt vorgelesen. Da hub ich an in düsteren Erinnerungen umherzuwandern im Gärtlein, lange Zeit, bis daß es dunkelte, und mein Gewand mir gar schwer und naß nachschleppte.

Da ich mich wieder der Pforten näherte, sah ich eine hohhehre Mannesgestalt darinnen stehen, vermocht aber im Zwielicht nimmer zu erkennen, weß Standes sie war, meinete auch, es sei wohl ein Bettler; denn viel fahrend Gesindel trieb sich annoch in unseren Bergen umher.

Und da ich gewöhnet, allzeit den Armen zu geben im Gedenken an Conradus, langete ich in die Gürteltasche und holete ein braunschweiger Mariengröschlein herfür und trat sonder Furcht näher, auf daß ich fragen könne, was er heische, und ob ihm vielleicht ein warm Suppen oder trocken Fußzeug noth thue?

Aber der, so dorten stund, rührete sich nimmer und nahm die dargebotene Gabe mit nichten an, sondern lehnte sich, gleich als ob er wanke, todtmüde an den Pfosten der Pforten. Da flog ein zitternd Ahnen jach durch meine Seele.

‚Christiane!‘ scholl es an mein arm Ohr, mit dem alten, viellieben Ton.

‚Conrade!‘ wollte ich itzo jauchzend erwidern; aber das that ich nimmer – nimmer. Ich hielt den Odem an, und mein Fuß, der wurzelte feste an der Erden: gewaltiglich und gar heiß bäumete sich der Stolz in mir auf tiefinnen – der Stolz verschmäheter Liebe.

‚Ich gehe stracks wieder, Christiane, nur einmal laß mich noch eintreten in den Garten, so meiner Kindheit Paradies gewesen! Nur einmal noch gieb mir die Hand, auf daß ich ruhig möge sterben! Schier tagelang, nächtelang bin ich gewandert einzig um das – so Du es aber nimmer willt, gehe ich fürbaß – nur sage, daß Du mir liebreich hast vergeben!‘

Er stund dicht vor mir und bot mir die Hand; wie hinweggetilget aus meinem Gedächtnisse war schier mit einem Schlage, was immer ich erduldet, und mit dem Ton von seiner Stimme that die Linde wieder rauschen und die Nachtigall wieder singen in süßem Schall, wie vor langen bangen Jahren.

,Conrade!‘ sagte ich, ‚komm hinein! Es ist ungastlich Wetter.‘

Er aber folgete mir, und es war, als schmerze ihn jedweder Schritt, so er vorwärts that, und sein Odem, der keuchte gar schwer und laut. Die Mutter schlummerte allbereits und die Base; so führete ich ihn in mein Kämmerlein, darinnen die Lampe brannte und das Feuer im Ofen spielete. Lange schauten wir einander an, ohn’ ein Wörtlein zu sagen; brennend rannen mir die Thränen aus den müden Augen.

Ein gebrochener Mann stund er vor mir, verfolgt von viel Elend und groß Noth. Hunger und Kummer, Krankheit und Jammer, die blickten mich an so wehmüthiglich aus des Mannes todtbleichem Antlitz und aus der armsäligen Gewandung, so er trug.

‚Das ist Alles, was ich erreichte, Christiane,‘ sagte er, und purpurn thäten zwo Flecken auf seinen Wangen glühen. ‚Apollo und die Musen, wahrlich! sie haben mir schlecht gelohnet.‘

Er lächelte trübsälig, und dann zuckte es bitter um seinen Mund, und wankend ließ er sich auf das Faulbette sinken, so ihm zunächst war.

‚Wer hieß Dich also von dannen ziehen?‘ wollt ich weinend rufen. Doch wozu itzo noch Vorwürfe? Stracks hub ich mich hinweg, auf daß ich ihm Speis und Trank brächte und trockene Kleidung: aber er weigerte sich dessen sonder Wank, ob ich ihm gleich manch gut Wörtlein gab.

,Kommet nunmehro allzu spät, Christiane – laß doch! Ist mir ganz wohl anitzt, so ich Dich noch einmal geschauet: vergönne mir zu rasten, ach! noch einen Augenblick! Dann biete ich Dir Ade! auf nimmer Wiedersehen.‘

‚Du bleibst, Conrade; ich laß Dich nimmer in diesen Wettergraus. Schlaf und erwärme Dich!‘

‚Ich vermag es nimmer,‘ erwiderte er, und es schüttelte ihn wie ein schwer Fieber.

Aber er rückte dennoch ein Stühllein zum Ofen und trank gar gierig den glühheißen Wein, so ich ihm gebracht.

,Der Vater, der ist alleweil todt, aus Kummer über mich,‘ hub er seufzend an, ,Deine vielsüße Jugend ist bitter worden durch mich, und ich bin das, was Du siehest.‘

‚Hattest weder Glück noch Stern, Conrade!‘

Er schüttelte das Haupt.

‚Es lässet sich balde sagen, was ich litt: die Kunst verstieß mich; das Weib, so ich geliebet, verrieth mich –‘

‚,Verrieth Dich?‘ rief ich schier außer mir – ,Hedwige?‘

‚So Du in Dresden nach dem Grafen Promnitz fragest, dann wird man Dir auch ihren Namen nennen,‘ flüsterte mit Zorn und Scham seine arme, halberstickte Stimme. ‚Und ich,‘ setzte er tonlos hinzu, ‚– meine Brust, o meine kranke Brust!‘ Und stöhnend sank er zurücke.

‚Conrade! herzlieber Conrade mein!‘ rief ich, ,ruh’ aus von Fremde und Leide – ruh’ nunmehro aus bei mir!‘

Da leuchteten sie auf noch einmal im alten Glanze, die schwarz-dunklen Augen, und der Tag strich vorüber, und der Abend brach schier purpurglühend an – da ist kommen ein herb Weh über mein geduldig Herze: der meines Lebens Glücke und Leid gewesen – nun kam er zu sterben. Noch ein freundlich Scheidelächeln – dann ist er hinüber gangen, leis, ganz leise. Ich aber saß und weinete.

Die Base hat ihn aufgebahret mit vielen Thränen; daß sie auch dieses noch mußt erleben! Das feine wappengestickte Tüchlein, so sie für ihn aufgehoben Jahre hindurch, deckte nun sein still Antlitz; in dem Gemach, das er einstens bewohnet, lag er; die Fenster stunden offen; ein scharfer Zugwind, der wehete die Vorhänge weit hinein und bewegete die weißen Tücher schier unheimlich an der Bahre.

Vom Schlosse droben aber schimmerten die Fenster in rothglühem Lichtglanz, und vom Berge herab, da kam im Fackelschein ein bunter Zug mit eitel Fröhlichkeit und viel musica; die Herrschaft begab sich just zur Komödie. Ich stund im Todtengemach am Fenster. Gleißnerisch blitzete die güldene Inschrift zu mir herüber: ‚Apollini et Musis.‘

Prinzeß Liselotte saß nun wohl alldort in Kurzweil und Scherzen, und er, dem sie das flammenheiße Geblüte vererbet, der lag allhier in der Stuben kalt und todt. Giebt es denn nimmermehr Treu auf der Erden?

Horch nun! Knarrete es nicht leise auf der Stiegen, und rauschte es nicht auf dem Estrich gleichwie sammten Frauengewand? Eine Hand tastete nach der Klinken, und über die Schwelle trat eine hohe Frauengestalt. In dem blassen Mondenschein blitzte ihr am Kleide viel gülden Spangenwerk unter dem Regentuch herfür, so sie übergeworfen, und mit gar raschen Schritten trat sie zu dem Schrein, darinnen er ruhete, und sie beugete sich über ihn, hob das Bahrtuch – – ich drückte mich mit schier heißem Herzweh tief in die Fensternische und lauschete ihrem Thun. Sie sprach kein Wörtlein; sie herzete ihn nur, so heiß, als wollte sie all das gut machen im Tode, so sie im Leben versäumet. Aber sie weinete nimmer; sie klagete nimmer, und leis, gleichwie sie kommen, war sie verschwunden, als sei’s ein Spuk. Wie sie hineingelanget unbemerkt, ich weiß es nicht, noch wer ihr die Todeskunde thät bringen. Auf Conradus’ Brust aber lag ein Lorbeerzweiglein, das einzige, so ihm das Leben getragen. – –

Neben der Linden haben wir ihn eingesenket; kein Kreuzlein schmücket das Grab. Auf der Steinbank daneben aber, da sitze ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 859. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_859.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2023)