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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

auf: Eine in Backwerk verborgene Bohne ertheilte Dem, der sie in seiner Schüssel fand, die Würde und die Vorrechte einer unumschränkten Machtvollkommenheit – die allerdings nur einen Tag dauerte, welcher sich aber die gesammte Umgebung des gekrönten Bohnenkönigs oder der gekrönten Bohnenkönigin an diesem Tage unbedingt zu unterwerfen hatte. Die Devise des Tages war etwa von dem vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert an die sprüchwörtlich gewordene Redensart: „Der König trinkt!“

Umsonst ereiferten sich die Geistlichen über die in der Christenheit eingerissenen Mißbräuche, „die in einer heidnischen Weise die Physiognomie des Epiphaniafestes besudelt – und aus der Verehrung der heiligen drei Könige eine Verehrung Beelzebub’s und seiner Diener gemacht hätten“; zum Trotz den Bußpredigten der eifernden Priester hat die Welt und mit ihr die Epiphaniafeier ungestört ihren Verlauf genommen und letztere sich überall als unausrottbares Volksfest erhalten.

Nirgends aber ist wohl der Epiphaniatag seinem mittelalterlichen, das heißt seinem tobend ausgelassenen Charakter so treu geblieben, wie in Italien, besonders in Rom. Der uralten italienischen Volkstradition gemäß ist die „Befana“ eine Hexe, mit der man die Kinder wie mit der nordischen Sagengestalt des Knecht Ruprecht und seinen guten und bösen Gaben zu schrecken und einzuschüchtern pflegt. Ihr Aussehen ist von einer solchen Häßlichkeit, daß es z. B. die größte Beleidigung ist, die einer Dame widerfahren kann, wenn man sie mit der Befana vergleicht.

„Um Mitternacht (am 6. Januar),“ so heißt es, „beginnt der Spuk der Befana,“ der sich ebenso wie der des Knechtes Ruprecht am unmittelbarsten – wenn auch nicht in so ausschließlichem Sinne wie dieser – auf die Kinderwelt bezieht. Wenn die Befana gut gelaunt ist, dann pflegt sie, indem sie vor Allem das Volk in seinen Hütten aufsucht, die Wände der ärmlichsten Bauernwohnung in leckern Kuchenteig, die dürftigen Betttücher aber, auf denen die Kinder in der Befana-Nacht schlafen, in mächtige Nudeln und das Wasser in der Cisterne draußen in den süßesten Wein zu verwandeln etc.

Vor Allem ist’s ihr alter Brauch, den Kindern, mit denen sie zufrieden ist, die neuen Strümpfe, die ihnen die Mutter für den folgenden Festtag über den Bettrand hängt, mit allerlei Leckerbissen und anderen Dingen anzufüllen. Wehe aber Denen, die durch Unarten ihren Zorn erregt! Während sie sich darauf beschränkt, die weniger schlimmen zur Strafe gehörig an Haaren und Ohren zu ziehen und sie an Händen und Füßen zu zwicken und zu peinigen, werden Diejenigen, die sich als unverbesserlich gezeigt und sich’s mit der einmaligen Warnung nicht gesagt sein ließen – „zwischen Mitternacht und Morgengrauen“ von der „schwarzen“ Hexe aus ihren Betten geholt und auf der Spitze eines eisernen Spießes durch den Rauchfang – ihren üblichen Aus- und Eingang – auf Nimmerwiederkehr davongetragen.

Wie man leicht ersieht, bewegt sich die moderne Volkssage hier in lauter Reminiscenzen der biblischen Vorgänge des Epiphania-Festes, und bedarf es wohl kaum des Hinweises der Umbildung der Magier aus dem Mohrenlande in das schwarze Befana-Weib und des bethlehemitischen Kindermordes in die Grausamkeiten, welche die Hexe an den ihrer Rache verfallenen Kindern auszuüben pflegt.

Dies ist die Form, in welcher das Befanafest in Florenz, Mailand, Venedig und den meisten anderen Städten Italiens begangen wird. Nur in Rom (ist es etwa zu Ehren der Erinnerung an die ehemalige „Praesentia Jovis“?) trägt die Befana den Charakter eines Volksfestes – und zwar desjenigen Festes, das nächst dem Carneval mit der allgemeinsten Ausgelassenheit gefeiert wird. Ja, es ist in seiner losgebundenen Laune, in seiner an Tollkühnheit grenzenden Lustigkeit eigentlich nichts anderes als die erste Lebensregung des Carnevalteufels, der den Leuten schon in den Gliedern spukt.

Das Centrum der Feier bildet die Piazza Navona (der Navona-Platz) und auf diesem wieder die Fontana Bernini’s, die mit ihrem auf künstlicher Felsenkluft aufragenden Obelisk weithin den ganzen ungeheuren Raum beherrscht.

Sobald die Dunkelheit eintritt, erhellen bengalische Flammen in allen Farben den kolossalen Brunnenaufbau und die umliegenden Palastfaçaden. Rings um die Fontana ziehen sich im Kreise mit allerhand Spielwerk angefüllte Bretterbuden hin, wo der alljährlich sich wiederholende fiera (Markt) stattfindet und wo man den Vorübergehenden in einem unaufhörlichen Tintamarre hier „una secabola“ (einen Säbel) zu einem Soldo, dort una bambola (eine Puppe) zu zwei Soldi – kurz alle erdenklichen Herrlichkeiten zu dem Preise von einem bis zwei und höchstens drei Soldi zum Kauf ausbietet.

Von dem Momente aber, wo die Lampen angezündet werden und das Feuerwerk zu spielen beginnt, hallt – und zwar nicht allmählich, sondern wie auf einen Schlag und wie auf ein gegebenes Commando – der ganze riesige Platz von einem Getöse wieder, das nur den wildesten Momenten des Carnevals zu vergleichen ist, ja, das z. B. durch sein tolles Ungestüm vor wenigen Jahren erst einen in der Nähe der Piazza logirten hohen Staatsbeamten glauben ließ, daß ein Volksaufstand, etwa in der Art der Sicilianischen Vesper, plötzlich draußen auf der Piazza Navona ausgebrochen sei.

Unter dem Ruf: „Es lebe Bacchus! Und der Weinschoppen ist sein Prophet“ folgt ein lärmender Volkshaufe dem andern. Neben dem Bacchus-Ruf aber besteht eine zweite Devise, die sich nicht weniger energisch als die erstere zu bethätigen pflegt, in dem „Fischiare!“ (Pfeifen). Wer sich ohne Fischio (Pfeife) oder sonst ein lärmendes Instrument auf der Piazza zeigt, ist dem allgemeinen Hohn ausgesetzt, der bisweilen zu den groteskesten Ausschreitungen, ja bis zu handgreiflichen Demonstrationen führt. Gar übel aber ist erst der Unerfahrene daran, der etwa, von dem plötzlich ausbrechenden Höllenlärm überwältigt, aus Unkenntniß der Sachlage den Versuch wagt, sich die Ohren zuzuhalten. Alle Pifferi (flötenartige Instrumente mit langem schmalem Rohr) werden sofort gegen den Unvorsichtigen gerichtet, und er riskirt, wenn er sich nicht eiligst entschließt, in den allgemeinen Spectakel mit einzustimmen, statt sich von demselben molestirt zu zeigen, daß man ihn buchstäblich „zu Tode pfeift“. Denn nach uraltem Volksbrauch besteht die ganze Pointe des Festes eben in nichts Anderem als jenem Gepfeife und Gelärme, das nach Gutdünken in allen erdenklichen Formen vorgetragen werden darf.

Sobald das chaotische Monstre-Concert, von dem alsbald die ganze Piazza widerhallt, im Gange ist, ordnet sich, wo irgend der nöthige Raum dazu frei blieb, das Volk zu einer Art eigenthümlichen Volksreigens, dem es nicht an einer gewissen wilden Grazie fehlt. Es ist ein Tanz, der zwischen der mittelalterlichen Contre-danse und dem toscanischen Tresco, zwischen der Lebendigkeit des deutschen Walzers und der Gemessenheit des französischen Menuet die Mitte hält – ja den man wohl als den volksthümlichen Lancier bezeichnen könnte, dem er sich nähert, nur daß er mit allem reizenden Nimbus jenes Tanzes, wie er in der vornehmen Welt getanzt wird, mehr Nonchalance und weniger mysteriöses Mienenspiel verbindet.

In dieser Weise geht der allgemeine Tumult fort, bis etwa gegen elf Uhr Abends. Dann lichtet sich für einen Moment die Piazza. Das Volk zieht sich zu der um diese Stunde beginnenden Mahlzeit in die umliegenden Cafés und Osterien zurück. Es folgt nun unter einem vollständigen Scenenwechsel der zweite und elegantere Act des Schauspiels mit dem Erscheinen der Aristokratie.

Statt der ausgeschlagenen Fässer, der leeren Flaschen, der rohen hölzernen Tromben lassen sich die goldenen, silbernen, perlmutternen Instrumente hören, die in allen Formen und Farben spielen und aus den endlosen Wagenreihen der vornehmen Welt gleichsam das erste Signal zu den bevorstehenden Carnevalsintriguen herüber und hinüber tragen.

Eine Stunde etwa währt die Auffahrt der Aristokratie. Dann, um Mitternacht, verläßt das Volk die Cafés und die Osterien, um wieder auf dem Kampfplatze zu erscheinen, den es bis zum Tagesanbruche nicht mehr räumt.




Blätter und Blüthen.


Paganini’s letzte Augenblicke. (Mit Abbildung Seite 857.) Ueber Paganini’s Leben schwebt noch bis auf den heutigen Tag der Nimbus des Räthselhaften. Dieser Nimbus umgab ihn schon während seines Lebens und lieh ihm hauptsächlich dem schönen Geschlechte gegenüber einen besonderen Zauber. Dem Ausführlichen, das die „Gartenlaube“ bereits früher (vergl. Jahrg. 1872, 9 u. 31) über den großen Geiger mitgetheilt, möchte ich im Folgenden einige Thatsachen aus dessen Leben hinzufügen.

Unser Künstler verdankt seinen Ruf einem Zufalle. Es war in Rom, wo er, noch jung, durch Musikunterricht sein Brod erwarb. Allein er hatte so wenig Stunden zu geben und wurde so schlecht honorirt, daß oft genug der Hunger an seiner Schwelle lauerte. Da gab eine berühmte fremde Sängerin ein Concert. Zu diesem Concert hatten bedeutende Musikkünstler ihre Theilnahme zugesagt, allein als der Abend kam, ließen sie in Folge von Intriguen die Sängerin in Stich. In der größten Verzweiflung erinnert sie sich, in ihrer Nachbarschaft oft ein wundersames Geigenspiel gehört zu haben, und entsendet sofort einige ihrer Freunde, den unbekannten Musiker aufzuspüren und mitzubringen. Diese finden nach langem Suchen den jungen Musiker, der kein Anderer ist als Paganini. Er war soeben von seinen Unterrichtsstunden zurückgekommen und hatte gerade sein ärmliches Zimmer betreten.

Ermattet liegt er auf seinem dürftigen Lager. Er läßt sein Leben, längst vergangene und eben erst entschwundene Tage, an seinem Geiste vorübergehen: als Knabe spielt er im prächtigen Hafen von Genua und klebt in abendlicher Stille mit den kleinen Fingern Düten in dem ärmlichen Kramladen seines Vaters. Nun wieder sieht er sich seinen geliebten Lehrern Servetto und Rolla gegenüber, die ihn die göttliche Kunst des Geigens lehrten. O, beglückender, himmlischer Dienst der Musen! Und doch – sie ist eine Sirene, die herzenbestrickende Kunst. Hat sie ihm denn das Allernöthigste eingetragen – Brod, Brod? Wie er noch so träumt, klopft es an der Thür seines Gemaches – die Fremden treten ein, die ihn suchen; er wird befragt, ob er Musiker sei, ob er jeden Abend Geige spiele, und als er die Fragen bejaht, kann er sich ihrer Bitten nicht erwehren: er muß mit ihnen gehen – er muß dem durch die Tücke der ausgebliebenen Künstler gefährdeten Programm durch sein Einspringen in die entstandene Lücke ein rettender Engel werden.

Schon ist das Publicum unruhig geworden; da wird das Zeichen zum Anfang des Concerts gegeben; der junge Geiger hat die erste Nummer. Eine schwächliche kleine Gestalt in einem abgetragenen Sammetrock tritt schleppenden Ganges heraus – Paganini. Das gelbe blasse Gesicht, von einer Fülle schwarzer Locken umrahmt, wird durch ein paar große geistreiche Augen belebt, welche jetzt müde vor sich hinstarren. Im Publicum giebt sich eine Erregung kund; spöttisches Lächeln sieht man fast auf jedem Gesichte.

Da beginnt der fremde junge Mann sein Spiel; langsam in schmerzlichen Tönen erklingt die Geige; immer tiefer, immer ergreifender wird das Spiel; Klagen und schwere Seufzer strömen aus diesen Melodien hervor, der ganze große Schmerz eines Menschenherzens. Das Lächeln der Zuhörer ist längst verschwunden; tiefer Ernst hat sich Aller bemächtigt; nur Thränen sieht man in den Augen erglänzen.

Da schließt Paganini mit einer schrillen Dissonanz. Augenblickliche Stille, dann aber braust durch die Räume ein donnernder Applaus, der nicht enden will. Immer wieder begehrt man den genialen Künstler zu sehen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 869. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_869.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2023)