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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Zu besagter Festlichkeit muß alljährlich vor Allem ein Schützenhauptmann gewählt, Schußtaxe (in der Regel der Schuß zu 5 bis 10 Kreuzer) festgesetzt und ein alter Hahn beigeschafft werden, denn um einen jungen wäre es – nicht vom Humanitäts-, sondern vom ökonomischen Standpunkte aus – schade. Zum Schießen nach dem in möglichster Entfernung vom Schießstande aufgestellten Hahn tritt nun Mann um Mann heran, und es gehört zu den Freuden des Tags, wenn manches Gewehr so schwach geladen oder so wenig weittragend ist, daß die Kugel weit vor dem Ziel in den Boden fährt. Wenn es nun lange genug vergeblich geknallt hat, die Rohre heiß, die Pulvervorräthe dem Ende nahe sind, commandirt der Hauptmann zum letzten Reiheschießen, und wer nun schließlich dem armen Hahn das Lebenslicht ausbläst, wird als Schützenkönig in festlichem Zug heimgeleitet und giebt den treuen Genossen einen Eimer Wein zum Besten.

An anderen Orten, oder auch wohl gleichzeitig mit dem Hahnenschießen, erlustigt man sich am Hahnenschlagen, das übrigens auch bei uns so viel verbreitet ist, daß wir einer Schilderung desselben wohl entrathen können. An manchem Ort zieht man das ähnliche Topfschlagen vor; der Unterschied besteht nur darin, daß der oder die Schlagende mit verbundenen Augen mit einem langen Stocke nach dem innerhalb eines Kreises aufgestellten Topf, anstatt nach einem angebundenen Hahn, zu schlagen hat und daß im Glücksfall, statt daß ein armes Thier zum Krüppel oder todt geschlagen wird, nur die klirrenden Scherben herumfliegen.

Junge Mädchen und Frauen ziehen das lustige Eierschlagen vor. Im großen Kreise werden mehrere bunte Ostereier in’s Gras gelegt. Die Theilnehmerinnen am Spiel verpflichten sich, mit verbundenen Augen und mittelst einer Ruthe nur eine bestimmte Anzahl von Schlägen auf die Stelle zu richten, wo sie ein Ei vermuthen. Oft läßt man sie auch so lange zuschlagen, bis sie die Geduld verlieren und die Ruthe wegwerfen. Das getroffene Ei gehört der glücklichen Siegerin. Eben deshalb nehmen die schelmischen Mädchen gewöhnlich die wirklich mit Aussicht auf Erfolg bedrohten Eier geschwind weg und lassen die blinde Gefährtin auf’s leere Gras schlagen. Das gehört zu den berechtigten Eigenthümlichkeiten dieses Spiels.

Die Kinder, besonders die Buben, üben als ihr Osterspiel das Eierstoßen aus, indem ihrer zwei ihre Eier mit der Schmalseite an einander stoßen; wessen Ei bricht, der hat es an den Andern verloren – gerade wie bei uns.

Den Schluß und für die Jugend die Krone des Festes sucht man im Tanzhause, ebenfalls wie bei uns. Nur in Einem findet dort ein ländlich-sittlicher Unterschied statt. Wenn nämlich der Herr Schulmeister sich, zum Behufe von Kirchenmusik-Aufführungen, nicht eine Chor-Adstanten- (hier Adjuvanten-) Capelle eingeschult hat, die auch zum Tanze aufspielen kann, so greift man zur einheimischen Zigeunermusik, die zum Tanze zu spielen versteht, wie keine andere Capelle. Freilich müssen die Tanzbursche mit den Zigeunern tüchtig feilschen und fest unterhandeln, wenn sie nicht schließlich von den Schlaumeiern über’s Ohr gehauen werden wollen.

Das sind Osterfreuden unserer tapferen Sachsen, die ihnen bei ihrem schweren Kampfe gegen die magyarische Deutschenfresserei der Gegenwart noch recht lange und glücklich mögen erhalten bleiben.




Die höchste Brücke der Welt.

Der in Nr. 40 des vorigen Jahrgangs der „Gartenlaube“ enthaltene interessante Artikel über „die höchsten Bauwerke und Denkmäler der Welt“ veranlaßt mich, die Aufmerksamkeit ihrer Leser heute auf ein erst vor wenigen Monaten vollendetes Bauwerk der „Neuen Welt“ zu lenken, welches nicht nur in Ingenieurkreisen, sondern auch im größeren Publicum nicht geringes Aufsehen erregt. Es ist dies die höchste Brücke der Welt, der schnell berühmt gewordene „Kinzua-Viaduct“ bei Alton in McKean-County im Nordwesten Pennsylvaniens.

Die eben vollendete Eisenbahnlinie der New-York, Lake Erie u. Western Coal und Railroad Co. nämlich, eine Zweigbahn der Erie Railroad, einer der großen Verkehrsadern zwischen New-York und dem Westen, verbindet die Stammlinie mit den bedeutenden Kohlenlagern von Elk-County in Pennsylvanien und erschließt ihr dadurch einen unermeßlichen Vorrath des kostbaren Materials, dessen Mangel sich bei der Eriebahn bisher in drückender Weise fühlbar gemacht hat. Auf dem Wege dahin, etwa 26 englische Meilen südlich von Bradford, dem Emporium der Petroleumproduction von McKean County, überschreitet diese Bahn das großartige Kinzuathal, das, bei einer Tiefe von über 90 Meter und einer Breite von mehr als 600 Meter, sich circa 30 Meilen lang hinzieht. Unabsehbare Tannenwaldung, in der bis zum Beginn der Vorarbeiten für den Brückenbau noch nie ein Axtschlag gehört worden war, bedeckt, einem Urwalde gleich, die in einem Winkel von etwa 20 Grad abfallenden Thalwände. Prachtstämme, 30 bis 40 Meter hoch, strecken ihr stolzes Haupt empor; aber weit über sie hinaus ragt der großartige Viaduct bis zu der enormen Höhe von 92 Meter und legt beredtes Zeugniß ab von dem Genie und Unternehmungsgeiste, dem es gelungen, den kolossalen Abgrund zu überbrücken.[1]

Der ganze Bau, mit Ausnahme der gußeisernen Säulenköpfe und Füße sowie der Mauerplatten, ist aus Walz- und Schmiede-Eisen ausgeführt und ruht, fest verankert, auf massiven Steinpfeilern, die direct auf den Felsboden des Thales fundirt sind. Die Tragfähigkeit der Brücke dürfte den strengsten Anforderungen der amerikanischen sowie europäischen Praxis genügen. Ebenso ist dem Winddrucke gehörig Rechnung getragen, sodaß die Brücke dem heftigsten Sturmwinde Widerstand leisten kann. Um ein Entgleisen des Zuges auf der Brücke, wenn nicht unmöglich, so doch gänzlich gefahrlos zu machen, ist ein System von stählernen Doppelschienen sowie hölzernen Langschwellen außerhalb derselben vorhanden, wodurch es dem Zuge unmöglich ist, die Fahrbahn zu verlassen, da die Räder im Falle des Entgleisens sich zwischen diesen Sicherheitsschienen auf den in sehr engen Zwischenräumen gelegten Querschwellen fortbewegen müssen. Auch sind zum Passiren der Brücke durch Fußgänger zu beiden Seiten der Fahrbahn geräumige Fußwege, mit starkem Geländer geschützt, angebracht.

Betreten wir nun einmal in Begleitung eines Reisegefährten, der sich uns beim Verlassen des Zuges auf der nächsten Station angeschlossen hat, die Brücke, um bis zu ihrer Mitte hinauszuschreiten. Hier bleiben wir stehen, gefesselt von dem großartigen Panorama, das sich unserem Auge bietet. Hoch über den Gipfeln der Bäume stehend, sehen wir, so weit das Auge reicht, nichts als undurchdringliche Waldung, welche durch ihre sanften Wellenlinien die Contour des Thales verräth, das erst in weiter Ferne durch einen davorliegenden Höhenzug seinen Abschluß findet. Es ist der Blick über die unabsehbare Wildniß unter uns, mit ihrer geheimnißvollen Ruhe, der einen so überwältigenden Eindruck verursacht. Fast überkommt uns ein Gefühl des Schwindels, wenn wir hinabblicken in die Tiefe, wo sich, einem zarten Silberfaden gleich, das Kinzua-Flüßchen dahinschlängelt. Tiefe Stille herrscht überall, nicht das geringste Lebenszeichen gewahren wir im Thale. Doch was ist das? Was bewegt sich dort unten ameisengleich am Ufer des Flüßchens entlang? Sind wir im Lande der Liliputer? Oder was sind das sonst für Gestalten, die durch ihre winzigen Größenverhältnisse unser Erstaunen verursachen? Ja so! wir hatten vergessen, daß wir 92 Meter hoch über der Thalsohle stehen, und indem wir durch den Feldstecher in den vermeintlichen Pygmäen ganz gemüthliche Touristen erkennen, die in das Thal hinabgeklettert

sind, um das eiserne Wunder von unten zu betrachten,


  1. In einer Länge von 625 Meter überschreitet der Viaduct das Thal, getragen von 20 Gruppen eiserner Säulen, die man Pfeiler oder Thürme nennt und deren Mittel 30,32 Meter von einander abstehen. Jeder dieser Thürme besteht aus 4 Säulen, die in der Längenrichtung 11,73 Meter und in der Breite, zwischen den Säulenköpfen gemessen, 3,05 Meter von einander entfernt sind, während sie seitlich nach unten im Verhältniß 1:3 divergiren, sodaß die höchsten oder Centralthürme eine Grundfläche von 11,73 Meter Länge und 31,4 Meter Breite haben. Die Thürme sind in Etagen von circa 10 Meter Höhe eingetheilt und durch entsprechende Verstrebung nach allen Richtungen hin gegen Zerknicken oder seitliche Ausbiegung vollkommen gesichert. Oben auf den Säulenköpfen ruhen die Gitterträger, welche die directe Unterlage für die Querschwellen unter den Eisenbahnschienen bilden.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_195.jpg&oldid=- (Version vom 25.12.2023)