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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

seit vorigem Jahr erscheinende Monatsschrift für Pilzkunde anzusehen.[1]

Und nun einiges Allgemeine über die Pilze selbst, ehe wir sie an ihren neuen Pflegestätten aufsuchen.

Der eßbare Pilz ist nicht nur eine Delicatesse, er ist viel mehr als das, er ist ein Voksnahrungsmittel, das namentlich in nassen Jahren, in Zeiten bitteren Mangels schon öfter großen Volksgruppen als einzige Rettung übrig blieb. Allerdings geben die flüchtigen feinen Oele des Pilzes, die sich besonders gern dem Fleisch mittheilen, eine ebenso köstliche als spottbillige Würze ab, doch in vielen Gegenden Polens, Rußlands und, näher gelegen, in Böhmen bildet er Monate hindurch ein regelmäßiges massenhaft eingeerntetes Volksnahrungsmittel. An Nährwerth steht er auch gar nicht so weit hinter dem Fleisch zurück, während er die Kartoffel um ein Bedeutendes überholt. Die Fettstoffe des Champignons z. B. verhalten sich zu denen der Kartoffel wie 40 zu 10, der Stickstoffgehalt wie 67 zu 33.

Wir kennen eine große Zahl eßbarer Pilze und eine ebenso große Zahl solcher, von denen man nicht genau weiß, ob sie eßbar sind. Viele Arten gelten in manchen Gegenden als giftig, in andern dagegen werden sie in großen Mengen gegessen. Einige Gelehrte wollen gar kein Gift im Pilz anerkennen, andere finden Gift in jedem Pilz, wieder andere behaupten, daß ein- und dieselbe Art zuweilen giftig und zuweilen nicht giftig sein könne. Allerdings haben die Pilze in ihrer Erscheinung etwas Räthselhaftes, sie scheinen ausschließlich von Zersetzungsproducten zu leben, bedürfen keines Lichts zu ihrer Entwickelung, zeigen niemals Blattgrün in ihren Zellgeweben und athmen statt Sauerstoff Kohlensäure aus. Auch ihr Generationswechsel ist geheimnißvoll, man kann auf den Pilzzüchter zuweilen den Volkswitz anwenden: „Er säete Rettige und erntete Rüben“, und wenn er dann von den Rüben den Samen ausstreut, so erhält er plötzlich wieder Rettige. Wir sehen, es giebt viel unentdecktes Land in dieser Wissenschaft, und ich rufe dem Forscherschifflein, der neuen Zeitschrift für Pilzkunde, nochmals ein herzliches Glückauf zu.


Die beiden Collegen.
Eine Episode aus dem Malerleben.0 Nach dem Oelgemälde von E. Limmer.


Der verbreitetste und für künstliche Anzucht geeignetste Pilz ist derjenige, den man in der vornehmen Küche mit dem französischen Gattungsnamen Champignon bezeichnet. Die lateinischen Namen will ich mir und den Lesern erlassen, der gelehrte deutsche Name ist Feldblätterschwamm, das Volk verzehrt ihn aber als Ehegärtel, Angerling, Weidling, Brachpilz etc. Ich möchte für eine der letzteren Bezeichnungen stimmen, denn man kann sich dabei wenigstens die Lieblingsstandorte des Pilzes, die Weide, den Anger, die Brache vorstellen, während ‚Feldblätterschwamm‘ gar nichts oder eigentlich zu viel sagt.

Das Verbreitungsgebiet dieses Angerlings dehnt sich über ganz Europa, Nordamerika und selbst über Nordafrika aus. Bei seiner großartigen Verbreitung ist er einer der schmackhaftesten Pilze, und sein Aroma erinnert an ein Gemisch von weißen Rosen und frisch gemahlenem Mehl.

Nicht ganz so verbreitet wie der Angerling ist der Steinpilz; sein Name entstammt seinem kernigen festen Fleisch, und wirklich repräsentirt er unter den weichen, zarten und sehr vergänglichen Geschwistern eine gewisse derbe Solidität; wenn man ihn nämlich zerdrückt, so knallt er wie eine Knapskirsche, während die meisten seiner Kollegen bei gleicher Behandlung Thränenströme von sich geben und in ihr Nichts zusammen sinken. Im Westen scheinen die Vogesen die Grenze seines Verbreitungsgebietes zu bilden, ferner zieht ihm die Nord- und Ostsee eine natürliche Grenzlinie, dagegen tritt er in Ungarn und Italien häufiger auf als bei uns.

Er ist ein echter Sohn des Waldes und liebt reiche Humusschichten von vermorschtem Laub, Gras und Holz. Als eine besondere Tugend hat der Pilzsucher seine Geselligkeit zu preisen. Oft finden sich in den Wäldern kleine aufgetriebene Erdhügel, die der Kenner leicht von einer gewöhnlichen Erderhöhung unterscheidet. Hebt man die obere Kruste davon ab, so überrascht uns eine große zahlreiche Steinpilzfamilie mit allen Gliedern, von der Großmutter bis zum Urenkel, und fast drollig sieht es aus, wie sie scheinbar ihre Köpfe heben und neugierig in das ungewohnte Halbdunkel des Waldes hinaufblinzen. In freieren Gegenden


  1. Dieselbe erscheint im Verlage von Alexander Köhler in Dresden, den wissenschaftlichen Theil redigirt Oberlehrer Thüme, den praktischen ein eifriger Pilzzüchter, Gärtner Moritz Gössel. Das in der That höchst dankenswerthe Unternehmen, das auch die volkswirthschaftliche und sanitätspolizeiliche Seite eingehend behandeln und beleuchten wird, ist den Naturfreunden, Pilzliebhabern und insbesondere den Landwirthen, Forstbeamten und Lehrern nicht genug zu empfehlen. Die Zeitschrift führt in guten Buntdruckbildern die für das praktische Leben wichtigsten Pilze vor und verfolgt als Hauptzweck die mykologischen Kenntnisse immer mehr zu verbreiten und zu erweitern, damit einerseits keine eßbaren Schwämme in Wäldern, Haiden und Wiesen verderben und andererseits die Bevölkerung vor dem Genuß schädlicher Pilze gewahrt bleibe. Sodann widmet sie sich wissenschaftlichen Forschungen und, wie schon oben angedeutet, der künstlichen Pilzzucht in eingehendster Weise. Man darf dem jungen Unternehmen um so wärmer das Wort reden, als am Redactionspult wie im Verlagscontor desselben Angesichts der noch sehr bescheidenen Interessentenzahl eine nur geschäftliche Absicht kaum vorhanden sein kann.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_225.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2023)