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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Der chaldäische Zauberer.

Ein Abenteuer aus dem Rom des Kaisers Diocletian.
Von Ernst Eckstein.


„Am Abend des folgenden Tages –“ erzählte Rutilius weiter, „es war eben an jenem Freitag, den wir ausersehen zur Enthüllung unseres Geheimnisses; aber aufgeregt, wie ich war, hatte ich den Geburtstag des Heliodorus völlig vergessen – am Abend also erhielt ich einige Zeilen von Hero’s Hand, die mich nahezu in Verzweiflung setzten.


Der erste Tag der Milchcur.
Nach dem Oelgemälde von Fanny Levy in Königsberg.


„‚Wir müssen uns trennen,‘ schrieb sie, ‚trennen für immer. Ich hatte gehofft, jene grausigen Mahnworte, die mich in der Villa zu Tibur entsetzten, seien der Ausfluß eines verborgenen Grolls, der sich versöhnen lasse – oder was ich sonst mir im gequälten Herzen zurecht legte. Jetzt aber weiß ich, daß die Götter selbst uns mit vernichtendem Fluche den Weg verlegen. Zweimal war ich bei Olbasanus: vorgestern um die Stunde der Hauptmahlzeit und gestern bei Beginn der ersten Nachtwache. Dieser Mann – daran zweifle nicht! – steht im Verkehr mit den Göttern, Dämonen und Abgeschiedenen; ihm ist Gewalt gegeben über alle Reiche der Geister! Mit diesen Ohren hab’ ich’s gehört, mit diesen Augen hab’ ich’s geschen! Als ich nach mannigfachen Beweisen seiner Allmacht noch zweifelte – ach, nur zweifelte, weil ich zu verzweifeln mich scheute – da ist auf den Wink des Entsetzlichen die Todesgöttin Hekate selber mir im Gewölke des nächtlichen Himmels erschienen und hat mir die furchtbaren Worte, die ich auf dem Blatte des Amun gelesen, mit einer Stimme, die dem Brausen des Sturmes glich, wiederholt. Wir müssen uns trennen, Lucius, nicht um meinetwillen, denn ach, wie gerne wollt ich den Fluch der Blindheit ertragen, wenn ich in Dir ein höheres und reineres Licht gewänne; aber um Deinetwillen, dem Hekate, die Grausenhafte, den Tod verheißt, und aus Liebe zu dem theuren Vater, dessen Seele mit Umnachtung bedroht ist. Lebe wohl, theurer Lucius! Möchtest Du leichter vergessen lernen als ich!‘“

„Das waren die Worte, die sich mir unauslöschlich und qualvoll wie mit glühendem Griffel in’s Herz gruben. Von Gaipor, meinem Sclaven, erfuhr ich nun, daß Olbasanus in der That bei vielen Tausenden für den mächtigsten Beschwörer gilt unter allen Chaldäern der Siebenhügelstadt. Gaipor selber, eh’ ich ihn kaufte, hatte den Zauberer im Auftrag seiner Gebieterin, einer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_245.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2023)