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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Nun ging es von Rüdesheim bergauf, sechszehn Pferde mußten vor die Wagen gespannt werden. Das geschah am 7. Juli und am 28. desselben stand die Figur fertig aus der Höhe des Niederwaldes. Die kühnsten Hoffnungen gingen glücklich in Erfüllung, denn weit und breit ist die herrliche Figur zu sehen, und vom Rhein aus kann man das vollendete Ebenmaß der Gestalt bewundern.

Es seien uns noch einige Worte über die Größenverhältnisse der Figur erlaubt.

Ihr kleiner Finger kann gerade von zwei Händen eines Erwachsenen umspannt werden, ihr Daumennagel ist neun Zentimeter breit und elf Centimeter hoch. Durch ihr Armgelenk kann ein Mann bequem schlüpfen, und im Innern ihres Unterkörpers bis zur Brusthöhe könnten zehn Paare tanzen. Das gewaltige Schwert wiegt fünf bis sechs Centner und ist acht Meter lang. Nach seiner Fertigstellung überragte es die gewaltige Einfahrt des Münchener Gießhauses. Der untere Theil der Figur wiegt hundertsiebzig bis hundertachtzig Centner, der Oberkörper etwa hundertdreißig und der Kopf zwanzig bis vierundzwanzig Centner.

Die Bildsäule der Germania auf dem Niederwalddenkmal.
Modellirt von Professor J. Schilling.

Das untere Stück der Germania wurde, nachdem es in der Nacht des 9. Juli 11 Uhr 30 Minuten an der Geisenheimer Chaussee bei Fackelschein ausgeladen und auf einem mit zehn Pferden bespannten Wagen auf den Denkmalsplatz geschafft worden, am Montag, 16. Juli, aufgezogen. Vorher aber wurde die Tragfähigkeit des Gerüstes und der Seile durch eine Last von zweihundertfünfzig Centner Eisenbahnschienen erprobt. Das von Holzmann in Frankfurt erbaute Gerüst, hat sich als sehr praktisch bewährt, und waren die Befürchtungen des Publicums unbegründet. Die Gußtheile wurden mittelst zweier Maschinen, die je durch fünf Mann bedient wurden (also durch Händekraft), emporgewunden, und befanden sich die Maschinen nicht etwa oben auf dem Gerüste, sondern auf der Erde. Die Seile liefen über Rollen. Innerhalb dreieinhalb Stunden war der untere, schwerste Theil bis an den Ort seiner Bestimmung gelangt. Am 28. Juli, Vormittags, wurde der Kopf emporgewunden, und nun begann der kritischeste Augenblick der ganzen Arbeiten: die Befestigung des Kopfes auf den Rumpf. Diese Arbeiten mußten im Innern der Figur vollzogen werden, und das Anziehen, Abschlagen und Vernieten der zweiundvierzig Schrauben, mit denen der Kopf befestigt wurde, leitete Herr von Miller persönlich. Drei Planken waren im Oberkörper der Figur so befestigt worden, daß drei Arbeiter darauf fußen konnten. Die Leitern, die früher im Rumpfe der Figur gestanden, hatten schon vor dem Aufsetzen des Kopfes entfernt werden müssen. So befanden sich die Arbeiter in einem weiten Raum, unter ihnen gähnte ein finsterer Abgrund, aus dem fortwährend die Ausdünstungen der riesigen Cementmassen emporstiegen, mit denen der untere Theil der Figur angefüllt und so mit dem Postamente unlöslich verbunden worden war. Kein Luftzug war in dem durch einige Lampen schwach erhellten Raume, glühende Hitze ringsum. Wäre einer der Arbeiter von einer Ohnmachtsanwandlung befallen worden und hinabgestürzt, so war alle Möglichkeit dahin, seine Rettung zu bewirken, da Leitern und Stricke dem Unglücklichen nicht hätten zugängig gemacht werden können. Aber nach fünfviertelstündiger Arbeit war das Werk vollendet, die Arbeiter, die wahrhaft den Tod vor Augen gearbeitet, nahmen ihren Ausgang durch die Armöffnung, welche bald darauf durch die Hand und Krone geschlossen wurde. Kein Unfall hat sich bei Aufrichtung dieses schwierigsten Teiles des Nationaldenkmals ereignet, ein günstiger Stern hat über der ganzen Arbeit gewaltet; im vollen Vertrauen auf ihre Führer konnten die Werkleute ihre schwierige Aufgabe glücklich lösen.

„Meine Empfindungen,“ sagte Herr von Miller nach seinem Niederstieg vom Gerüste zu unserm Gewährsmanne, „kann ich Ihnen nicht ausdrücken, nicht schildern; mit einem Dankgebete verließen wir die schwindelnde Höhe, dankend dafür, daß wir das Werk ohne Unfall, so glücklich beenden durften.“

Aber als die unerschrockenen Arbeiter noch oben auf dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 553. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_553.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2023)