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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

türkischen Lagers führte, mit eigner Hand die grüne Hauptfahne Hussein’s eroberte und nach dreistündigem Kampfe das osmanische Heer vernichtete.

Die Erinnerung an diesen Sieg bewirkte es wohl, daß Sobieski am 21. Mai 1674 auf dem Wahlfelde zum König von Polen ausgerufen wurde. Und kaum hatte er den Thron bestiegen, da mußte er bald um Polens Dasein kämpfen, denn Ibrahim Pascha war mit 150,000 Mann vor den Thoren Lembergs erschienen. Da raffte König Johann ein Häuflein seiner erprobten Krieger, das kaum fünftausend Mann stark war, zusammen; mit diesem wagte er den furchtbaren Kampf gegen die dreißigfache Uebermacht und schlug den Feind in wilde Flucht. Und später hielt er mit wenigen Tausenden wochenlang das Heer des Seraskier Ibrahim Scheitan (200,000 Mann) auf und verrichtete Wunder der Tapferkeit.

So gelang es ihm, mit geringen Streitkräften übermächtige Feinde an der Ostgrenze seines Reiches zu bezwingen, und so ging auch der Schrecken seines Namens her vor den Fahnen der polnischen Heere. Aus diesen Gründen war gerade sein Erscheinen vor Wien von großer Wichtigkeit und das ihm anvertraute Commando durchaus gerechtfertigt.

Der diesem königlichen Helden an Verdienst und Würde zunächst stehende ist Herzog Karl V. (IV.)[1] von Lothringen. Das Leben dieses Mannes führt uns in die Intriguen ein, durch welche der französische Hof das Herzogthum Lothringen vom deutschen Reiche losriß.

Karl’s Vater, Franz, war der Bruder jenes Karl IV. (III.), welcher sein ganzes Leben lang mit der französischen List und Herrschsucht um die Selbstständigkeit seines Herzogthums im Kampfe stand. Aus seinem Lande vertrieben, flehte er die Kaiserlichen und Brandenburger an, vereinigt „die Grenzländer des Reiches“ zu schützen. Niemand erhörte ihn, und so ist er 1674 zu Albach bei Bernkastel aus Zorn und Kummer gestorben.

Diesem Oheim Karl’s war nämlich die Tochter seines Oheims Heinrich’s des Zweiten, Nicoläa, zur Gemahlin aufgedrungen worden; die Ehe war unglücklich und blieb kinderlos. Das aber war ja gerade die französische Absicht und eben deshalb war der jüngere Bruder desselben, Franz, zum Cardinal ernannt worden, damit auch er nicht durch Nachkommenschaft gefährlich werde. Die Schwester der Nicoläa, Claudia, sollte einen jüngeren Bruder Ludwig’s des Dreizehnten heirathen und dieser dann der einzige Erbe Lothringens werden. Als Franz von diesem Plane Kunde erhielt, entledigte er sich eiligst des Cardinalshutes und ließ sich mit der ihm längst gewogenen Claudia selbst heimlich vermählen. Das Geheimniß hielt sich nicht lange, und der französische Befehlshaber von Nancy wurde angewiesen, das junge Paar gefangen zu nehmen und zu trennen. Claudia aber schlich sich als Page verkleidet zu ihrem Gemahl, und Beiden gelang es, aus der Stadt und der französischen Gewalt zu entfliehen. „Damals fühlte Lothringen noch ganz deutsch“. Und da der Papst später die romantische Ehe anerkannte, so wurde der Stamm der Lothringer am Leben erhalten, um als Erbe der Habsburger den deutschen Kaiserthron zu besteigen.

Der zweite Sohn aus dieser romantischen Ehe war der Herzog Karl V. (IV.), dessen Kriegsthaten wir im Kampfe vor Wien bewunderten. Er war 1463 in Wien geboren. Sein Oheim Karl hatte ihn zum Nachfolger im Herzogthume bestimmt, mußte ihm aber schleunigst die Reise nach Nancy verbieten, als er von Paris die Kunde erhalten hatte, daß Prinz Karl sich zu einer verletzenden Aeußerung gegen Ludwig den Vierzehnten vergessen habe, die diesem zugetragen worden sei. Karl reiste sofort nach Paris, um sich vor dem König selbst zu rechtfertigen, erhielt aber dort nur den Befehl, Frankreich binnen vierzehn Tagen zu verlassen. Er kehrte nach Wien zurück und zeichnete sich in den damaligen Türkenkriegen aus. Als wieder einmal die polnische Krone feil war, trat er als Bewerber um dieselbe auf, mußte aber dem Johann Sobieski weichen; ihr gemeinsamer Sieg vor Wien machte Beide zu Freunden. Im Jahre 1674 starb sein Oheim und hinterließ ihm das Recht der Erbfolge in Lothringen, jedoch unter der von Ludwig dem Vierzehnten befohlenen Bedingung, daß das Herzogthum nach seinem Tod an Frankreich falle. Als Karl gegen diese, alle Reichs- und Familiengesetze verhöhnende Bedingung protestirte, erhielt er vom Könige die Antwort: Er habe die Herablassung gehabt, Lothringen als eine freie Gabe anzunehmen, und die lothringischen Prinzen reichlich dadurch belohnt, daß er sie für Prinzen von (königlich französischem) Geblüt anerkannt habe.

Herzog Karl schien dieses „Geblüt“ nicht so hoch anzuschlagen, er blieb lieber kaiserlicher General, vermählte sich mit der Schwester des Kaisers, der verwittweten Königin Eleonora von Polen, und ward Vater von vier Söhnen, deren ältester, Leopold, im Frieden von Ryswick Lothringen zurückerhielt, während der zweite, Karl Leopold, Kurfürst von Trier wurde. Seine fernere Feldherrnlaufbahn, die ausgefüllt ist mit Kämpfen gegen die Türken und Franzosen, können wir hier nicht verfolgen. Sie sind unvergängliches Eigenthum der Geschichte. Herzog Karl starb 1690; man sagt, er sei durch seinen Kammerdiener mittelst einer vergifteten Perrücke getödtet worden,

Von dem Kurfürsten Johann Georg dem Dritten von Sachsen, dem vom Kaiser Leopold auch mit Undank belohnten dritten Feldherrn vor Wien, können wir hier nur erwähnen, daß leider sein Kriegsheldenthum kein Glück für sein Land war. Aber sein patriotischer Sinn, der ihm gegen beide Reichsfeinde, Türken und Franzosen, das Schwert in die Hand drückte, verdient dankbare Anerkennung. Wären alle übrigen deutschen Fürsten Seinesgleichen an Vaterlandsehrgefühl gewesen, so würde die Schmach am Rhein nicht so hoch gestiegen, würde die Verwüstung der Pfalz nicht möglich geworden sein. Er starb, als Führer einer Rheinarmee, von der im Heere ausgebrochenen Seuche ergriffen, am 12. September 1691 in Tübingen.

Der dritte der auf unserer Illustration Dargestellten steht mit Recht im Bilde an der Spitze derselben: Ernst Rüdiger, Graf von Starhemberg, der Held und Mann, welcher den Triumph der Uebrigen durch die Erhaltung Wiens erst recht erhöht hat. Graf Ernst Rüdiger war zu Graz in Steiermark 1635 geboren, Sohn des damaligen Statthalters von Niederösterreich. Er trat in früher Jugend unter die Fahne und fand in Montecuculi seinen Lehrmeister, und zwar in einer Schule, welcher die Praxis nicht fehlte, denn die Kämpfe zwischen Türken und Ungarn waren sein Lehrfeld, aber zugleich seine Ehrenstaffel, auf welcher er in seinem fünfundvierzigsten Jahre die Stufe des Feldzeugmeisters erreicht hatte. Sein Sieg über Tököly in Mähren, 1680, veranlaßte den Kaiser, ihm beim Anzug der Türken 1683 die Vertheidigung Wiens anzuvertrauen.

Wie er dieses Vertrauen gerechtfertigt, ist in dem vorliegenden Artikel dargetan, und gegen ihn war der Kaiser gerecht, indem er ihm einen kostbaren Ring und 100,000 Thaler spendete, ihm ferner den Feldmarschallstab, die Würde eines Staats- und Conferenzministers und endlich das Recht verlieh, fortan den Stephansthurm in seinem Wappen zu führen. Die Stadt Wien erklärte das gräflich Starhembergische Haus auf der Wieden für abgabenfrei, der Papst beehrte ihn mit einem Breve, der König von Spanien mit dem Orden des goldenen Vließes.

Im Verein mit dem König von Polen setzte er den Krieg gegen die Türken und Ungarn fort, ward aber vor Ofen so schwer verwundet, daß er den Heerbefehl aufgeben mußte. Er kehrte nach Wien zurück und widmete sich fortan als Hofkriegsraths Präsident mit Vorliebe der besseren Organisation des Heeres, wozu er an dem Herzog Karl von Lothringen und dem Prinzen Eugen von Savoyen treue und gediegene Helfer fand. Er starb am 4. Januar 1701.

Als Nachtrag und Abschluß unseres Artikels möge man noch das Folgende gelten lassen. In ganz Europa fand der Sieg über die Türken freudigen Wiederhall, die Türken aber fühlten, daß von diesem Tage an ihr Halbmond im Abnehmen begriffen war. Bezeichnend für sie ist, daß Kara Mustapha den unschuldigen greisen Ibrahim Pascha erdrosseln ließ und selbst wieder auf Befehl des Sultans in Belgrad erdrosselt wurde. Die Verfolgung der fliehenden Türken aber wurde binnen wenigen Jahren zur Rückeroberung von ganz Ungarn aus den Händen der Asiaten und zum Wiedergewinn des Landes für Europa. Tököly, der im türkischen Heerlager blieb, starb als Vasall des Sultans in Kleinasien.




  1. Diese doppelte Bezifferung der Lothringer Herzöge des Namens Karl rührt daher, daß der Sohn des Königs Ludwig IV. von Frankreich, welcher, 953 geboren, von Kaiser Otto II. mit dem Herzogthume Niederlothringen belehnt worden war, als Karl I. mitgezählt wird. Er starb 993. Von der zweiten Lothringer Herzogsreihe wird dann Karl, der Sohn des Herzogs Johann I., als Karl II. (I.) bezeichnet.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_600.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)