Seite:Die Gartenlaube (1883) 622.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

140 Meter Länge unter dem Glacis vorgreifend, liegen die Galerien des Vertheidigers, vielfach verzweigt und jede directe Verbindung mit der Außenwelt verbietend. Hier an der Spitze der den Katakomben gleichenden Minengänge sitzen die Pionniere bei dürftig leuchtenden Sicherheitslampen und lauschen auf die Arbeiten des Angreifers, um aus den erhörten Geräuschen und deren Richtung die Absichten des unsichtbaren Gegners zu ergründen und denselben entgegenzutreten. Welch ein aufregender, ermüdender, die geistigen und körperlichen Kräfte völlig in Anspruch nehmender Dienst!

Wie schrecklich aber ist der Ernstfall, wenn der Tod durch eine feindliche Sprengung, durch das hierdurch herbeigeführte Zusammenbrechen der Minengänge, durch das Gift der Pulvergase in jeder Minute droht! Am fürchterlichsten aber ist ein lebend Begrabenwerden, wenn hinter dem Mineur durch einen Schuß des Gegners die Gallerie zusammenstürzt. Das „Wieder vor“ geht dann nur durch die Leichen der Cameraden.

Beharrlichkeit führt aber endlich zum heiß ersehnten Ziel. Von den verschiedensten Punkten aus ist festgestellt worden, daß der Angreifer dem Vertheidigungssystem bis auf einige Meter nahe gekommen ist. Schleunig wird eine Ladung von vier bis sechs Centner Pulver in die Gallerie gebracht und hinter derselben eine lange Verdämmung angelegt, das heißt Klobenholz und Rasen dahinter gepackt, um zu verhüten, daß sich die Wirkung des Sprengstoffes auch auf die eigenen Minengänge äußere. Acht Stunden harter Arbeit, zu welcher vierzig und mehr Pionniere erforderlich gewesen, haben endlich den Minenquetschofen fertig stellen lassen.

Die Zündung und deren Wirkung belohnt die aufgewandte Mühe reichlich. Die Erde in den Trichtern hebt sich in die Höhe, aufsteigender Qualm, vielleicht ein leiser Knall lassen erkennen, daß die Arbeiten des Angriffsmineurs zerstört worden sind. Das Spiel wiederholt sich noch öfter, und der Vertheidiger schwelgt in dem Gefühl, seinem Feind dauernden Schaden zufügen zu können.

Endlich findet aber auch dieses Treiben seine Grenzen. Das Minensystem der Festung füllt sich schließlich voller Pulverdampf, und der Aufenthalt in den Minengängen ist nur noch mit Lebensgefahr verknüpft. Was hilft es aber, der zähe Widerstand soll und darf nicht erlahmen. Vorwärts, heißt es, niemals zurück! Stundenlanges, durch mächtiges Gebläse erzeugtes Ventiliren hat endlich die Luft so weit gereinigt, daß es möglich wird, die Gallerien wieder zu betreten. Aus Vorsicht werden jedoch zuerst einzelne mit einem Athmungsapparat – wie solche in der Hygiene-Ausstellung zu sehen sind – ausgerüstete Leute in die Gänge des Minensystems geschickt, welche ein Thier, vielleicht ein Täubchen, mit hineinnehmen und dies einige Zeit darin stehen lasten. Wird das Thier später noch lebend herausgebracht, so ist die Luft auch für den Menschen rein und unschädlich, andernfalls muß noch weiter ventilirt werden.

Haben nun auch die Arbeiten in den Gallerien wieder aufgenommen werden können, so kommen dennoch sehr häufig Erkrankungsfälle bei den Mannschaften vor, welche sich als sogenannte Minenkrankheit äußern, das heißt als eine Krankheit, welche sich als Blutvergiftung durch Einathmen von mit Pulverdampf geschwängerter Luft bezeichnen läßt. – Selbst die kräftigsten Körper erliegen diesem heimtückischen Feinde. Ein plötzliches Erlahmen aller Lebensgeister, welches mit Krampferscheinungen wechselt, Athemnoth sind die Kennzeichen der Minenkrankheit. Wehe dem Mineur, der, erkrankt, nicht schnell genug aus der Gallerie entfernt werden kann; in derartigen Fällen hat der Tod schon öfter sein Opfer zu finden gewußt. Ueberall Gefahren mit sich führend, kommt daher ein Friedensminenkrieg von allen militärischen Kriegsspielen der Wirklichkeit am nächsten.

Dies Alles kann uns nicht zurückschrecken. Uebung muß den Meister machen. Die Friedensübungen sind die Vorbereitungen für den Krieg; je ernster und nachdrücklicher dieselben gehandhabt werden, desto mehr werden sie in ihren Folgen nutzbringend für den Ernstfall werden. – Die Vorsehung verhüte, daß jemals vor einer deutschen Festung ein Minenkrieg geführt werden muß; sollte es dennoch einmal dazu kommen, so werden sich auch die Mineure finden, die diesen Krieg bis auf das Messer durchzufechten verstehen werden.

Dies Wort ist für den Kampf unter der Erde keine leere Phrase; kann es doch nur zu leicht vorkommen, daß eine feindliche Gallerie auf einen der Minengänge der Festung trifft, und daß sich dann die Mineure Aug’ in Aug’ gegenüberstehen, um mit dem Dolch, dem Revolver in der Hand den Weg in die Festung zu erzwingen oder, wie Löwen, den eigenen Bau zu vertheidigen.

Trotzdem es nun auch während der Graudenzer Belagerungsübung viele minenkranke Mineure unter der Festungsbesatzung gab, hielten die in ihrem Fache wohl ausgebildeten Pionniere dennoch lange Zeit Stand. Zwölf Mal und öfter wurden die Angriffstrichter eingeworfen, und die daselbst vorgetriebenen Gallerien zerstört, ehe es dem Angreifer gelang, einen weiteren, den dritten, Trichter zu sprengen, und acht Tage mußten vergehen, ehe der Belagerer zum Sprengen seiner zweiten Trichterreihe schreiten konnte.

Während dieser Zeit war aber auch der Sappeur nicht unthätig gewesen. Derselbe hatte nicht nur seine Laufgräben aus dem Schlachtminenlogement vorzutreiben verstanden, sondern dieselben auch längs der Glaciskante anzulegen gewußt. Von hier aus wurde denn schließlich der Grabenniedergang hergestellt und am Sonnabend den 1. September Mittags die Contre-Escarpe[1] mittelst Schießwolle eingeworfen.

So war der Weg in die Festung geöffnet, welchen der Angreifer am Morgen des 8. September dazu benutzte, die Wälle im Sturm zu nehmen und sich aus denselben festzusetzen.

Mit diesem Gewaltact endete die Belagerungsübung. Möge der freundliche Leser aus der kurzen Schilderung derselben ein Bild gewonnen haben, wie sich der Dienst der Pionniere vor und in einer belagerten Festung gestaltet.

F.




„Sie geht zur Bühne“.

Ein zeitgemäßer Warnungsruf.00Von Paul von Schönthan.

Es hat einmal eine Zeit gegegen, da begrub man die Komödianten außerhalb der Kirchhofsmauer, man unterschied nicht zwischen den Helden der Bretter und den Jahrmarktsgauklern, und vorsichtige Hausmütter holten die Trockenwäsche aus dem Garten, wenn sich die Kunde verbreitete, daß Schauspieler im Anzug seien.

Diese Vorurtheile sind überwunden. Die „Komödianten“ werden geadelt, hohe Orden schmücken ihre Brust, die Aristokratie zieht sie in ihre geselligen Kreise; Fürsten, Herzöge, Prinzen wählen ihre Lebensgefährtinnen hinter den Coulissen, und als es vor einiger Zeit ein im Umgang mit Bühnenkünstlern wohlerfahrener Pariser Journalist wagte, den Schauspieler in eine sociale Ausnahmestellung zurückzuweisen, nahmen sich auch die Unbeteiligten der „Geschmähten“ an, und ein Pariser Schauspieler „forderte“ den Verfasser jenes Artikels nach ritterlicher Sitte. –

Der Schauspieler gilt heute – wenn er sonst die Formen eines erzogenen und anständigen Menschen besitzt ebenso viel wie irgend ein anderer Künstler, auch in kleinbürgerlichen Vorurtheilen erzogene Leute söhnen sich mit dem Begriff „Schauspieler“ aus, und da die amüsanten, gesellschaftlich gewandten Leute bei der Bühne nicht selten sind, findet man heutzutage in allen Gesellschaften Bühnenangehörige.

In Folge dieser veränderten Auffassung hat der Entschluß eines jungen Mannes, sich der Bühne zu widmen, aufgehört, die übrige Familie mit Kummer und Verzweiflung zu erfüllen. Unsere jungen Kunstcandidaten verlassen das Elternhaus nicht mehr „bei Nacht und Nebel“, wie es zwei Drittel unserer genialen Schauspieler zu ihrer Zeit gethan haben: da auch in mittleren Städten schon Theaterschulen bestehen, ist der einzuschlagende Weg vorgezeichnet, und die angehenden Künstler ersparen sich sogar die „Schmiere“.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 622. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_622.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)
  1. Ecarpe heißt die von dem Feinde gesehene Wand des Festungsgrabens, Contre-Escarpe die ihr gegenüberliegende Grabenwand.