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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Die Elektricitäts-Ausstellung in Wien ist nicht mit leeren Händen erschienen. Wenn wir von dem in großartigster Weise beliebten „Pratersterne“ aus aus der breiten Reichsstraße nur wenige Minuten in den Prater hineingewandert sind, da treffen wir schon das erste Object, an dem uns die elektrische Kraftübertragung höchst wirksam demonstrirt wird: die elektrische Eisenbahn von Siemens und Halske. In horizontaler Lage und theils in gerader Linie, theils im Bogen, führt diese schmalspurige Bahn anderthalb Kilometer weit bis vor das Nordportal der Rotunde. Pfeilschnell stiegen die beiden schmucken Wagen zwischen den Bäumen und über die Wiesen dahin, mit lautem Jubel von der Jugend begrüßt, die längs des Schienenstranges ein lebendes Spalier bildet.

Die bewegende oder secundäre Maschine, die „Locomotive“ des elektrischen Wagens, ist zwischen den Radachsen desselben verborgen; die stromerzeugende oder primäre Maschine hat in der Westgallerie der Rotunde ihren Platz erhalten; eine mächtige Dampfmaschine verleiht ihr Leben und läßt sie jenen Strom erzeugen, welcher den Schienenstrang durcheilend an jeglicher Stelle, wo der Wagen sich befindet, durch die Radreifen auf der einen Seite zu dem Pole der secundären Maschine gelangt. Von dem zweiten Pole fließt der elektrische Strom durch die Radreifen und den Schienenstrang zurück zu jener Dynamomaschine in der Rotunde, also den Kreislauf schließend, ohne welchen ein Strom nie und nimmer bestehen kann.

Siemens und Halske denken an noch kühnere und großartigere Anwendungen dieser Art der Kraftübertragung: einen Pfeiler des Ausstellungspalastes schmücken nette Skizzen und Pläne, die Entwürfe zu einer „Stadtbahn“ durch Wien. Der Gedanke ist nicht neu: schon vor vielen Jahren hat B. Mendel, dessen Schriften im Lesezimmer der Ausstellung ausliegen, für die elektrischen Hochbahnen in den verkehrsreichsten Theilen der Großstädte manch warmes Wort geschrieben.

Wenn wir den Palast durch das Südportal betreten, wenn wir den reizenden Kaiserpavillon umschreiten und bei dem funkelnden Kupferobelisken uns nach rechts wenden, da treffen wir in der Abtheilung der kaiserlich königlich privilegirten Südbahn-Gesellschaft einen hübschen Wagen, von Holzstangen überragt. Das ist ein Modellwagen der ersten „elektrischen Gebirgseisenbahn“, welche von Mödling aus mit einer Spurweite von einem Meter, mit Steigungen von fünfzehn pro Rille und mit Bogen, deren Halbmesser oft nur dreißig Meter beträgt, durch die enge „Klause“ drei Kilometer weit in das reizende villenreiche Thal der „Brühl“ geführt wird. In anderem Sinne wieder, als bei der keinen Bahn von Siemens, ist hier die Aufgabe gelöst, die mächtige Dampfkraft durch die Vermittlung des elektrischen Stromes an jene stets wechselnde Stelle zu übertragen, wo sie wirksam werden soll. Starke hölzerne Stangen bilden auf der einen Seite der Bahn gleichsam Spalier und tragen zwei Leitungskabel, welche die stromerzeugende Maschine mit den tiefer hängenden, schwachen, nach unten hin geschlitzten Eisenröhren verbinden. In ihnen läuft das kleine, durch eine Hanfschnur mit dem Wagen verbundene „Contactschiff“, von dem ein Metallfaden hinabführt zu der Dynamomaschine zwischen den Radachsen. Das Schiffchen, das so unscheinbar mitläuft, spielt eine gar wichtige Rolle, denn es vermittelt den Uebergang des Stromes aus der Leitung zu der stetig ihren Ort wechselnden Betriebsmaschine, und gestattet ihm auch wieder aus dieser zu seiner Ursprungsquelle zurückzukehren.

Das ist nun Alles recht schön erdacht und gar sinnreich durchgeführt, aber es giebt ein Häkchen dabei, an dem wir nicht achtlos vorübergehen dürfen. Von der Arbeit, die wir nutzbar zu machen gedenken, bringt uns der elektrische Strom nur einen Theil, und zwar einen verhältnißmäßig kleinen Theil, mit dem anderen haben wir gleichsam die Uebertragung der Kraft auf eine so weite Strecke bezahlen müssen. Er hat nämlich dazu gedient, die Leitungsdrähte oder Leitungsschienen und die Eisenmassen der Maschinen zu erwärmen, ist also für den beabsichtigten Zweck verloren gegangen. Diese Verluste erleiden wir bei jeder elektrischen Kraftübertragung; sie wachsen mit der Entfernung der beiden Maschinen, wie der Botenlohn mit der Länge des Weges sich steigert; sie werden sich verringern, wenn einmal die Principien der Kraftübertragung der Construction der Dynamomaschinen in richtiger Weise zu Grunde gelegt werden – aber allzeit wird man darauf bedacht sein müssen, diese Uebertragung der Arbeit nur dort anzuwenden, wo vor dem hohen Vortheile derselben jene Verluste ihre Bedeutung einbüßen. Aber schon heute sehen wir in den Ausstellungshallen eine große Anzahl verschiedenartigster Maschinen, deren Hämmer, Sägen und Bohrer durch elektrischen Strom getrieben werden.

Leider ist die Elektricität in all den einzelnen Fällen ein kostspieliger Geselle, der nicht so viel nützt, als er verzehrt, und den Jeder darum gern weiter schickt. Der Schlosser, dessen Maschine ein kleiner Motor betreiben soll, stellt sich eine Gaskraftmaschine in seine Werkstätte, läßt den schmucken, prächtig arbeitenden Motor mittelst Wellen- und Riemenübertragung seine Werkzeuge bewegen und weist dem theueren „Kraftvermittler“ die Thür. Aber man muß bedenken, daß alle diese Maschinen hier nur als Proben und Beispiele für die Lösung des großen Räthsels der Kraftübertragung ausgestellt sind.

„Seht ihr“ – so wollen sie uns lehren – „der elektrische Strom kann mechanische Arbeit in einfacher Weise übertragen. Denk euch alle diese einzelnen Maschinen, wie sie hier im weiten Palaste der Rotunde verstreut sind und von denen jegliche zu ihrer Bewegung einer anderen Arbeitsgröße bedarf, denkt sie euch an den verschiedenen Punkten einer Stadt – und denkt euch nun draußen vor ihren Thoren einen mächtigen elektrodynamischen Motor, betrieben von einer gewaltigen Dampfmaschine oder einer nicht minder kräftigen Turbine – wie anders wird nun plötzlich das Bild! Der elektrische Strom, welchen jene entsendet, er theile sich in viele Arme; in die Werkstätte eines Mechanikers führe der eine, in die Dachstube einer armen Näherin der andere; hier verzweige der Strom sich in den Arbeitssälen einer großen Buchdruckerei, dort trete er in die Kammer eines Galvanoplastikers; der schlichte Tischler gebrauche einen Theil seiner Kraft und einen anderen wieder verwerte der Spengler – ist der elektrische Strom nun auch noch ein unnützer Geselle, ein überflüssiger Vermittler?“

Nein, wahrhaftig nicht! Nun wird er ein mächtiger Bundesgenosse des Kleingewerbes, der Kleinindustrie. Die Dampfmaschine hat ihre Allgewalt einst dem „Capitale“ geliehen und das Sprüchwort Lügen gestraft: es habe das Handwerk einen goldenen Boden. Die Gaskraftmaschine ist dem Handwerk zuerst wieder hülfreich beigesprungen, sie hat sich seinen Bedürfnissen angepaßt, aber noch immer nicht in jenem Maße, wie es erforderlich war. Nun aber ist es möglich, eine bedeutende Arbeitsgröße billig zu gewinnen, sie auf weite Entfernungen zu übertragen und in fast beliebig kleine Arbeitsmengen, je nach dem Bedürfnisse des Einzelnen, zu vertheilen.

Wir sagen, es ist möglich, auf solche Weise dem Kleingewerbe mechanische Arbeitskräfte zu bieten, nicht weil die Aufgabe schon vollkommen gelöst ist, sondern weil wir der Ueberzeugung sind, daß die Elektrotechniker auch die Schwierigkeiten dieses Problems besiegen werden. Und diese Schwierigkeiten sind bedeutender, als man auf den ersten Augenblick anzunehmen geneigt ist. Jede der secundären Dynamomaschinen muß eine bestimmte Arbeit leisten, keine von ihnen darf die andere in ihrer Thätigkeit beirren. Wenn die Nähterin oben in ihrem Stübchen ihre Maschine rasten läßt, darf es der Mechaniker in dem Gange seiner Maschine nicht fühlen; und wenn dem Tischler die Abendglocken zur Nahe läuten, dürfen die Druckpressen einer Zeitung sich darob nicht in ihrer Bewegung beeinflussen lassen. Es ist dieselbe Aufgabe, welche Edison in so genialer Weise bei der Beleuchtung eines ganzen Stadtteiles durch Glühlampen gelöst hat; denn auch hier mußte man beliebig viele Lampen verlöschen können, ohne daß die Leuchtkraft der anderen hierdurch verändert wurde.

Auf der elektrischen Ausstellung zu Paris vor zwei Jahren hat der französische Ingenieur Marcel Deprez nach einem sinnreichen Systeme der Stromverteilung siebenundzwanzig verschiedene Maschinen durch eine primäre Maschine in Thätigkeit setzen lassen; jede unabhängig von der anderen, wie die einzelnen Industriellen einer Stadt selbst. Noch ist die Discussion über dieses System nicht geschlossen, noch stoßen die Beweise der Gelehrten auf dem weiten Kampfplatze der Wissenschaft hart auf einander und führen Colonnen von Formeln einen ernsten Waffentanz, und schon erscheint inmitten der elektrischen Wunder der Rotunde ein neues System der Stromvertheilung. Der Civilingenieur Gravier aus Warschau hat in der Westgallerie zwei dynamo-elektrische Maschinen aufgestellt. Ihre Ströme sendet er nach allen Theilen des Ausstellungspalastes; er speist mit ihnen 24 Bogenlichtlampen, er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_698.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2024)