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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

unsren Glücksducaten noch!“ rief er. „Das wäre ein schöner Anhenker an Deine Halskette. In der Mitte war das Auge Gottes geprägt, der Name Gottes des Sohnes und die Taube als das Sinnbild des heiligen Geistes, und rings um den Rand stand geschrieben: Hilf du heilige Dreifaltigkeit! Meine Eltern haben ihn gehütet wie ihren Augapfel; er war ihr einziger Schatz. Nur einmal in der Theuerung, da wir am Verhungern waren, hat mein Vater ein Stückchen mit seinem Schusterkneift herausgeschlagen und Brod dafür gekauft; aber meine Mutter war besorgt, daß keines der frommen Worte verloren ging. Die Jahreszahl mußte daran.“

„Die frommen Worte haben sich nicht bewährt,“ meinte Frau Henningin grämlich. „Da Dein Vater die goldene Münze gegen den Marodeschen Soldaten vertheidigte, der bei Euch eindrang, hat ihn der Mordgeselle erschlagen; den Glücksducaten aber hat er an die goldne Kette gehangen, die er um seinen Hals trug, und ist damit abgezogen.“

Ein Ausdruck von Zorn und Trauer verbreitete sich über Hermann’s Züge.

„Was wärmt Ihr die alten Historien auf?“ meinte Herr Henning ungeduldig. „Macht, daß Ihr fortkommt!“

Johanne bot den Eltern die Hand zum Abschiede.

„Verstauche Dich zum mindesten artiglich, so der Nicolaus Dich zum Tanze aufzieht, daß er sieht, Du hast Lebensart gelernt,“ sagte die Mutter mit verdrießlich hängender Unterlippe.

Auch der Papiermüller war ärgerlich ob ihrer Widersetzlichkeit gewesen. Aber da er sie so schön, keck und selbstbewußt dahin schreiten sah, mit dem Rockschweife wippend gleich einer Bachstelze, verflog ihm der Unmuth.

„Sie ist die schönste Jungfer in unserer guten Stadt, die doch so viele hübsche Mädchen hat, als sprängen sie wirklich aus dem Jungfernbrunnen im Jonasthale hervor,“ sprach er stolz.

„Aber es ist ein Kreuz und Leiden, daß sie einen solchen Starrkopf hat,“ nörgelte Frau Henningin.

„Der wird sich schon beugen,“ nickte der alte Großvater. „Ist’s nicht im Glück, ist’s im Leid, das den stärksten Willen zermürbt. Denn das Leid hat ewige Kräfte, unsere Kraft aber ist endlich.“

(Fortsetzung folgt.)




Die Pürschfahrt.

Unter den verschiedenen Jagdmethoden, welche auf unser Roth- oder Edelwild Anwendung finden, ist – nächst dem bekannten „Pürschgange“ – ohne Frage das Anfahren oder Pürschfahren als die interessanteste zu bezeichnen. Der Jäger hat hierbei Gelegenheit, in kurzer Zeit einen verhältnißmäßig großen Walddistrict zu durchforschen und unter dem fortwährenden raschen Wechsel der landschaftlichen Scenerie das Treiben des Wildes in den frühen Morgen- und späten Abendstunden mit Muße beobachten zu können.

Mit den schärfsten Gesichts- und Gehörswerkzeugen ausgerüstet und mit einem Geruchssinne (Nase, Witterung) begabt, für dessen wunderbare Feinheit den Menschen geradezu das Verständniß fehlt, besitzt unser Rothwild auch noch die Fähigkeit, den Menschen, selbst im ruhigen Stande, weit rascher erkennen und von anderen Gegenständen sicherer unterscheiden zu können, als andere Wildarten – den schlauen Fuchs nicht ausgenommen. In Revieren, wo dem Wilde stark nachgestellt wird, hält es daher oft sehr schwer, demselben auf anderem Wege als durch das ziemlich reizlose Treibjagen Abbruch zu thun. Andererseits nimmt das Rothwild bei anhaltender Schonung einen gewissen Grad von Dreistigkeit an und pflegt namentlich von den im Walde beschäftigten Arbeitern, Holzsammlern, Rinderhirten etc. wenig Notiz zu nehmen.

Gegen Fuhrwerke und selbst gegen Reiter bezeigt das Wild überhaupt weit weniger Mißtrauen als gegen Fußgänger, und es mag diese Eigenthümlichkeit wohl darin beruhen, daß das Wild eine gewisse Zuneigung für die ihm bekannten Erscheinungen der Reit- und Zugthiere und deren starke Ausdünstung (Witterung) hat. Auf diesem Verhalten des Wildes basirt vorzugsweise die Anwendung des Pürschwagens, der sich in Hinsicht auf Form und Bespannung nicht allzuweit von den landesüblichen Fuhrwerken entfernen darf. – Von Wichtigkeit ist die Anwendung möglichst niedriger Räder, welche dem Jäger das rasche und geräuschlose Besteigen und Verlassen des Wagens gestatten. Am Hintertheil des meist sechs- bis achtsitzigen, unverdeckten Fuhrwerkes ist ein geräumiges, starkes Packbrett (Schottkelle) angebracht, welches zur Aufnahme und zum Transport des erlegten Wildes dient. – Das Anfahren ist durchaus nicht Jedermanns Sache und kann nur durch eine revierkundige und mit Stand, Wechseln und Gewohnheiten des Wildes bekannte Persönlichkeit ausgeübt werden.

Beim Erblicken des Wildes sucht man – ohne die Gangart der Pferde oder Richtung des Fuhrwerkes plötzlich zu verändern – nach und nach unter Wind zu kommen und sich dem Wilde in einer schrägen Linie oder nach Umständen in weitem, allmählich verengtem Bogen auf Schußweite zu nähern. Betheiligen sich mehrere Schützen an der Pürschfahrt, so empfiehlt sich das unbemerkte Aussteigen derselben während des Anfahrens, sodaß schließlich nur noch ein Schütze im Wagen verbleibt, während die Uebrigen in geeigneten Entfernungen hinter Bäumen oder Büschen gedeckt stehen. Wird das Wild flüchtig, bevor der Wagen noch in Schußweite herangekommen, oder wird dasselbe vom Wagen aus fehlgeschossen, so haben die auf den Wechseln anstehenden Schützen dann meistens Gelegenheit, zu Schuß zu kommen.

In dieser Weise haben die beiden Jäger unseres Bildes (Seite 745) bereits in früher Morgenstunde einen schreienden Brunfthirsch erlegt. Er stürzte im Feuern, ward dann sofort „aufgebrochen“ und aufgeladen. Langsam und fast geräuschlos bewegt sich dann unser Fuhrwerk auf dem weichen, mit Sand und tiefem Tangel bedeckten Fahrwege weiter – da ertönt hinter uns aus dem Hochwalde nochmals der kurz abgebrochene „trenzende“ Laut eines Hirsches, und gleich darauf eilt ein starkes Rudel Wild schräg über die grüne thaubedeckte Blöße. Unser Pürschwagen hat inzwischen bereits Halt gemacht, der eine Jäger liegt im Anschlage auf den soeben herantrabenden Hirsch. Beim Erblicken unseres Fuhrwerkes macht das Rudel einen Augenblick neugierig Halt – da kracht der Schuß, man hört den Schlag der Kugel, sieht den getroffenen Hirsch eine gewaltige Lançade machen und dann mühsam dem im Dunkel des Waldes verschwindenden Wilde folgen. Noch eine ganze Weile hören wir das dumpfe Gepolter des flüchtig durch den Hochwald gehenden Rudels, dann wird allmählich alles still.

Nun wird zunächst die Stelle aufgesucht, und mit einem grünen Zweige bezeichnet (verbrochen), wo der Hirsch im Augenblicke des Schusses gestanden, man sucht und findet die durch den Körper des Hirsches gedrungene Kugel im nächsten Buchenstamm in guter Richtung – links und rechts neben der Fährte zeigen sich bald starke Tropfen hellrothen, schäumenden Schweißes – jedenfalls ein Lungenschuß – der Hirsch ist inzwischen wohl längst verendet. Aber wo ist er?

Nun kommt der treue Begleiter des Hochwildjägers alter Schule an die Reihe: Sellmann, der edle Schweißhund! – der bei uns zu Lande nicht „unter der Achse des Wagens“ läuft, wie ein Metzgerhund unter dem Karren – sondern seinen Platz allezeit im Wagen neben seinem Herrn hat. Unbeweglich wie eine Bildsäule ist er mit scharfem Blicke allen Vorgängen bis zum Schusse gefolgt – nun weiß er, um was es sich handelt, und ist ganz Feuer und Leben. – Am Riemen zur Fährte gelegt, schießt er blitzschnell dahin – die schnobernde Nase tief am Boden – „So recht! verwundt Hirsch! vorhin mein Mann!“ lautet der Zuspruch des Jägers, und weiter und weiter waldein geht die Reise bis hinunter zum Wasserlauf im kühlen Grunde, wo im moosüberwachsenen Steingeröll, vom hohen Riedgrase halb verdeckt, sich zuerst die Krone einer hohen Geweihstange, dann der breite rothe Rücken (Ziemer) des bereits verendeten Hirsches zeigt. – Zwölf Enden ungerade und noch gut bei Leibe für die späte Jahreszeit. Der glückliche Schütze bricht mit geübter Hand zunächst die übliche Trophäe: Haken (Eckzähne) aus, sie werden einen Augenblick ob ihrer Stärke und dunklen Färbung bewundert und wandern dann, vorsichtig in ein Stück Papier gewickelt, in die Westentasche des Jägers. Dann folgt das übliche Aufbrechen des Hirsches – inzwischen ist der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 744. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_744.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2024)