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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Im Congoland.

Von Dr. Pechuel-Loesche.
Mit Illustrationen nach Originalaufnahmen Dr. Pechuel-Loesche’s auf Holz gezeichnet von Prof. A. Goering.
4. 0In den Kukibuendi-Bergen.
Stanley’s Weg. – Schwierigkeiten des Gebirges. – Böse Pfade. – Ein Negerdorf. – Grasbrände. – Reiche und öde Landstriche. – Wechselnde Gesinnung der Eingeborenen.

Von Vivi aufwärts bis zur zweiten Station Isangila bildet bei einer Lauflänge von etwa 90 Kilometer der Congo eine Reihe großartiger Stromschnellen.

Die zwischen denselben liegenden ruhigeren Flußpartien sind zwar für den Verkehr von Booten und Dampfern geeignet, doch würde die Verbindung eine äußerst langwierige und kostspielige sein. Die unüberwindlichen Stromstrecken müßten auf höchst beschwerlichen Pfaden am Ufer umgangen, die Güter viele Male aus- und eingeladen, zum Ueberfluß auf allen Abschnitten besondere Fahrzeuge unterhalten werden.

Obwohl nun Stanley bei seinem ersten Vordringen vor vier Jahren, wo immer der Strom sich zugänglich und fahrbar erwies, Dampfer und Boote von den Wagen nahm und zu Wasser vorwärts brachte, hat er doch in richtiger Würdigung der Verhältnisse für die regelmäßige Verbindung zwischen Vivi und Isangila den ununterbrochenen Ueberlandweg vorgezogen.

Freilich ist dieser Weg ein sehr primitiver und entspricht nicht den heimischen Vorstellungen von einer Straße. Er ist nicht befahrbar in unserem Sinne, nicht einmal bequem zu begehen. Kunstlos wie die allenthalben sich durch das Bergland schlängelnden Pfade der Eingeborenen und diesen vorzugsweise folgend, schmiegt er sich den Bodenformen an, führt über Höhen und durch tiefe, steilwandige Schluchten mit ihren Wasserläufen, ohne Umschweife die Hindernisse nehmend, die sich bei der eigenartigen Natur des Berglandes leider nicht umgehen lassen. Wo an geneigten Flächen die mächtigen Rüstwagen mit ihren unbehülflichen Lasten: Fahrzeugen, Dampfkesseln, seitwärts überzufallen drohten, ist das Erdreich etwas abgestochen und zu einer rohen Fahrbahn geebnet worden.

An einer Stelle war man gezwungen, hart über den vorübertosenden Gewässern des Stromes eine vortretende Felsecke des Ngomaberges wegzusprengen und einen Steinwall aufzuschichten. Die Sprengung, die natürlich den Eingeborenen gewaltig imponirte, wurde von Herrn Lieutenant Valcke geleitet; durch sie kam der Name Mbula Matari oder Matadi, „Steinbrecher“, auf, welcher dann auf Stanley übertragen wurde.

So entspricht der Weg nur den allernothwendigsten Anforderungen. Ihn zu einer schnellen und lebhaften Verkehr ermöglichenden Straße umzugestalten, würde einen außer Verhältniß zum Nutzen stehenden Aufwand an Zeit und Capital erfordern.

Unter solchen Umständen begnügt man sich damit, den sehr bedeutenden Güterverkehr in der in Centralafrika seit jeher üblichen Weise zu bewältigen: durch Träger, die durchschnittlich Lasten von 30 Kilo Gewicht auf den Köpfen fortschaffen.

Wenn wieder einmal ein Fahrzeug oder Dampfkessel, überhaupt ein nicht wohl tragbares Stück zu transportiren ist, dann wird abermals ein Rüstwagen in Dienst gestellt. Da Zugthiere weder vorhanden noch verwendbar sind, treten Menschen an ihre Stelle und rollen die schwer beladenen Maschinen langsam vorwärts. An steilen Berglehnen und den Wänden der Schluchten, in den felsigen Betten der Wasserläufe hilft man sich mit Tauen und Winden, mit Aufschichten von Steinen, Knütteln und Holzkloben. Diese an die Juggernaut-Procession[1] erinnernde langwierige und keineswegs gefahrlose, für große Stücke jedoch einzig mögliche Transportweise wird glücklicher Weise nur selten nothwendig.

Zwischen Isangila und der dritten Station, Manyanga, wird die Verbindung wieder zu Wasser aufrecht erhalten, obwohl diese mittlere Strecke des Congo der Befahrung nicht besonders günstig ist. Wir benutzten jedoch nicht diesen Wasserweg, sondern marschirten auf der Nordseite des Flusses in das Gebirge hinein, da es besonders wichtig war, das von de Brazza von Osten nach Westen durchzogene Gebiet, den Verlauf der Thäler und Flüsse zu untersuchen, die Höhen zu messen, um festzustellen, ob das Bergland der Anlegung einer guten Straße günstiger sei. Dieser Theil des Gebirges erwies sich jedoch größtentheils noch unwegsamer und schluchtenreicher als der westliche.

Mehrere Tage lang waren wir auf den Pfaden der Eingeborenen kreuz und quer marschirt, über öde, grasbewachsene Höhen, durch enge, mit Buschwald ausgekleidete Wasserrinnen, als wir endlich an einer nördlichen Biegung den Congo erreichten. Seine an tausend Meter breite glitzernde Fluth wälzte sich wie überall zwischen steil abfallenden waldlosen Bergen. An ihrem Fuße standen vereinzelt lockere Gruppen und Streifen von Bäumen.

Es war im August, der Zeit der größten Trockenheit und des niedrigsten Wasserstandes. Der Congo hatte sich aus seinem Ueberschwemmungsbette zurückgezogen. Weithin an den Ufern dehnten sich helle Sandbänke zwischen dunklen, zernagten Schieferklippen, und langgestreckte Felsriegel traten hier und dort gegen die Mitte des Flusses vor. Stromabwärts in blauer Ferne war das steile, vom Südufer scharf ausspringende Vorland zu erkennen, auf welchem in unvergleichlich schöner und günstiger Lage die englische Baptisten-Mission Baynesville errichtet wurde. Die Besitzer dieses Vorlandes vermögen die mittlere schiffbare Strecke des Congo vollkommen zu beherrschen und jedem Verkehre zu verschließen. Es ist auch ein historischer Platz: denn bis zu jener Stelle vermochte der von Isangila an auf dem Südufer vordringende Tuckey vor nun siebenundsechszig Jahren den Lauf des so lange räthselhaft gebliebenen Stromes zu entschleiern.

Im Nordosten überragten das eintönige Gebirgsland ungewöhnlich hohe Bergketten, die am besten die Kukibuendi-Berge zu benennen sind. Ein mühsamer Marsch durch den nachgiebigen Ufersand und quer über seltsam zernagte Schieferwälle (siehe Abbildung Seite 792) fand ein plötzliches Ende an mächtigen Schieferplatten, die glatt aufstrebend oder chaotisch durch einander geworfen den Uferweg weithin vollkommen absperrten.

Wir arbeiteten uns durch krauses Gebüsch am Uferhange hinauf und folgten einem Fischerpfade, der in weitem Bogen über Grasgelände wieder zum Congo führte. Hier begann nun eine Kletterpartie über Schieferfelsen, die uns in steter Angst um unsere Träger und ihre Lasten erhielt. Unter uns wogten die dunklen Fluthen des Congo. Auf schmalen Absätzen an glatten Wänden hin, zwischen mächtigen Platten und palissadengleich aufgerichteten scharfkantigen Pfeilern hindurch, über wüste Trümmerhaufen suchte ein Jeder seinen Weg, so gut es eben ging. Die sich einklammernden Hände fühlten schmerzlich die Gluth des schwarzblauen, vom Sonnenbrande übermäßig erhitzten Gesteins.

Endlich gelangten wir zum Wasserspiegel hinab. Wir standen an einem tiefen Einschnitte des Congo, in dessen äußersten Zipfel ein Flüßchen mündete. Mitten davor lag ein Eiland, das im Kleinen dieselbe Formation zeigte wie die Felsenmassen, über welche wir herabgestiegen waren. Wir nannten das wunderliche, bei Hochwasser überfluthete Gebilde die Palissadeninsel (siehe Abbildung auf Seite 796). Das Flüßchen, der Ntendesi, erwies sich als tief und reißend; es konnte weder durchwatet noch durchschwommen werden. Während wir unter den wenigen vorhandenen Bäumen nach denen suchten, die, richtig gefällt, als eine Nothbrücke dienen sollten, kamen etliche eingeborene Fischer zwischen den Felsnadeln hervor. Nach den unvermeidlichen, Geduld wie Humor gleich erschöpfenden Verhandlungen willigten sie ein, uns überzusetzen. Zu je Zweien auf den Boden niederhockend, wurden wir unter sich immer wiederholenden Erörterungen in ein paar winzigen, übermäßig zum Umschlagen geneigten Canoes zum andern Ufer befördert. Ich mit meinem Diener als der Erste, Herr Teusz mit dem seinen als der Letzte.

Die Fährleute wiesen uns nach dem nächsten Berghange, wo ein Pfad emporführen sollte. Der Aufforderung, uns zu geleiten, setzten sie die oft zu hörende Entschuldigung entgegen, daß da oben böse Menschen wohnten.


  1. Juggernaut (Dschagarnaut) ist der Haupttempel des gleichnamigen Gottes in Ostindien. Im Juni oder Juli jeden Jahres findet hier das Tirunal, d. h. Wagenfest, statt, welches zehn Tage dauert. Das Götzenbild wird bei dieser Feier auf einen ungeheuer hohen und starken Wagen gesetzt, der, oft mit mehreren tausend Menschen bespannt, im tiefen Sand circa ein Kilometer weit fortgezogen wird.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_794.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2024)