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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

verweinte Kindergesicht. „Meine Mama!“ sagte sie halblaut; es war ein unbeschreiblich weher Klang in diesen zwei Worten, und sie hockte nieder und schmiegte die Wange an das einfache gußeiserne Kreuz. Und so saß sie, bis die Todtengräberfrau zufällig vorüber kam und ihr freundlich zurief, sie müsse nun gehen, der Kirchhof werde gleich geschlossen.

Sie pflückte eilig noch ein paar Epheublätter, bevor sie das Grab verließ. Und dann stand sie am Fenster in Tante Lott’s traulicher Stube und horchte auf das Jauchzen und Singen der Knechte und Mägde, die in der Gesindestube beim Punsch die Hochzeit ihres Herrn feierten – bis tief in die Nacht hinein.

(Fortsetzung folgt.)




Der Kyffhäuser.

Zerklüftet, wie die Burg da droben,
0Ist auch der Berg, auf dem sie ragt,
In ein gewaltig Bild verwoben
0Erscheinen beide, wenn es tagt.

5
In starren Felsen ruht verschlossen,

0Was sich das Volk erhofft, ersehnt,
Wenn leuchtend Morgenroth ergossen
0Sich um die dunklen Höhen dehnt:

Der Rothbart ist im Berg versunken

10
0Und um ihn her sein ganzes Heer,

Die Rosse stampfen, schnauben Funken,
0Es klirrt im Grunde Schild und Speer.

Zuweilen fährt er auf im Zorne,
0Es drang ein Ruf zu ihm herein,

15
Er greift zum Schwert, langt nach dem Horne,

0Sein rother Bart wirft Feuerschein.

Was war es, was er hörte? Klagen?
0Wer weiß es? Eilig kommt ein Zwerg
Und reckt sich, ihm in’s Ohr zu sagen:

20
0„Die Raben fliegen um den Berg!“ –


Wann wird er kommen, aufzurichten
0Sein mächtig Reich, und allen Streit
Im Land und bei den Völkern schlichten
0Und walten in Gerechtigkeit?

 Hermann Lingg.




Die Tagebücher der Fürstin Metternich.

Von Johannes Scherr.


Gar häufig schon ist die berechtigte Klage lautgeworden, daß es uns Deutschen an jener reichen Memoirenliteratur mangle, deren die Engländer und Franzosen sich rühmen können. Ihre Geschichtschreiber haben denn auch von diesem Vortheil ausgiebigen Gebrauch gemacht und dadurch ihren Werken eine Anschaulichkeit und Belebtheit zu verleihen gewußt, welche deutschen Geschichtebüchern nur allzu lange fehlten. Es ist ja wahr, Memoiren haben es an sich, daß sie subjektiv gefärbt sind und auch nicht wenig Klatsch enthalten. Aber das müßte ein trauriger Historiker sein, wer diesen Klatsch nicht als solchen zu erkennen und zu verwerfen, sowie jene Färbung nicht auf das richtige Maß zurückzuführen verstände. Auf der andern Seite ist jedoch das, was uns Augen- und Ohrenzeugen geschichtlicher Ereignisse, Mitwissende und Mithandelnde von Haupt- und Staatsaktionen von denselben zu berichten wissen, von hohem, mitunter vom höchsten Werth zur richtigen Auffassung und Beurtheilung von historischen Personen und Geschehnissen.

Denn es ist ein großer Irrthum zunftzöpfiger Pedanterei, zu wähnen, daß der wahre Gehalt der Geschichte einzig und allein in den amtlichen Aktenstücken zu suchen wäre, wie die Archive sie aufbewahren. Der anerkannt größte Diplomat unseres Jahrhunderts hat diesen Irrthum achselzuckend gekennzeichnet. Am 22. Februar 1871 sagte er im Hause der Frau Jessé in Versailles zu seiner Tischgenossenschaft: „Die amtlichen Depeschen und Berichte sind, auch wo sie einmal was enthalten, solchen, welche die Personen und Verhältnisse nicht kennen, nicht verständlich. Die Hauptsache liegt immer in Privatbriefen und konfidentiellen Mittheilungen, auch mündlichen, was alles nicht zu den Akten kommt.“ Gerade solcher „Privatbriefe“ und „konfidentieller Mittheilungen“ bietet sich uns in guten Memoirenbüchern und authentischen Briefesammlungen eine Fülle und damit ein Material, welches, mit der erforderlichen Kritik behandelt, für die Geschichtschreibung ungemein förderlich sein kann und muß. Der mäßig große Band z. B., welchen die Erinnerungen der Gräfin S. M. von Voß über ihre nenuundsechzigjahrelangen Erlebnisse am preußischen Hofe füllen, ist von unendlich größerem historischen Werth als viele dickleibige und gelehrte Geschichtebücher, welche dieselbe Zeit behandeln. Was kommt denn eigentlich in die „Blau-, Gelb-, Roth- und Grünbücher“, sowie überhaupt in die Staatsakten? Nur das, was man hineinthun will. Und wie kommt es hinein? So, wie man es angesehen wissen will. Ueber die entscheidenden Momente im Leben der Völker und Staaten werden entweder nur höchst selten oder gar nie Protokolle aufgenommen und Akten geführt. Sind, um nur ein schlagendes Beispiel anzuführen – sind etwa die Vorgänge, wodurch Napoleon der Dritte am Abend vom 13. Juli 1870 in seinem Kabinett in St. Cloud sich zum Kriege bestimmen ließ, protokollirt worden? Kam das, was zu jener Stunde zwischen dem Kaiser, seiner Frau, dem Duc de Grammont und dem Cavaliere Nigra vorging, zu den Akten? Bewahre! Und doch war es eine schicksalschwere weltgeschichtliche Stunde, über deren Einzelheiten eben nur die vier betheiligten Personen „konfidentiellen“ Aufschluß geben konnten, wenn sie wollten. Möglich, daß es eine oder die andere gewollt hat oder will. Aber dann werden wir diesen Aufschluß in keinem Archiv, sondern nur in einer Korrespondenz oder in einem Memoirenbuch finden. Bloß in den Aufzeichnungen von Zeitgenossen, brieflichen oder memorabilischen, sind die Reflexe des intimem, intimeren und intimsten Lebens, Webens und Strebens einer Zeit voll und ganz zu treffen. Nur hier fühlen wir den Pulsschlag der socialen und politischen Geschichte einer Epoche deutlich. Oeffentliche Akten, Protokolle, Urkunden, Staatsschriften und Depeschen sind gut dazu, das Skelett der Geschichte herzustellen, aber einen Körper von Fleisch und Blut, Farbe, Leben, Ausdruck und Bewegung erhält sie erst durch die Ausnützung von Briefwechseln und Denkwürdigkeiten.

Es ist daher ein Glück zu nennen, daß in unserem Jahrhundert die deutsche Memoirenliteratur an Umfang, Gehalt und Vielseitigkeit bedeutend zugenommen hat. Staatsmänner, Generale, Künstler, Gelehrte und Geschäftsmänner, sowie Frauen verschiedener Lebensstellungen haben ihre Erinnerungen und Erfahrungen aufgezeichnet und veröffentlicht oder veröffentlichen lassen. Wie sehr das unserer Geschichtschreibung bereits zu gut gekommen, lehrt eine Vergleichung derselben, wie sie heute ist, mit jener, wie sie vor fünfzig Jahren war. Sie hat, in allen ihren besseren Hervorbringungen, wie an Vertiefung der Auffassung, so auch an Reichthum der Anschauung, an Bestimmtheit der Zeichnung und Frische des Kolorits in erfreulicher Weise zugenommen. Je vielfacher

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_024.jpg&oldid=- (Version vom 1.5.2021)