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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Gleich ist’s!“ schrieen Andere dagegen – „ganz gleich, auch wenn er ein Städter – er stirbt, wenn er Dir die Ehre nicht wiedergiebt, ja er soll sterben von unseren Händen!“ lärmte Alt und Jung mit wilden, zornblitzenden Augen, „Er muß auf der Stelle der Gemeinde ihr Recht zukommen lassen,“ ließ einer der Stimmführer sich vernehmen. „Ich gehe zu ihm, sofort. Nehmt Eure Messer, Männer! Wer kommt mit?“

„Ich! Ich!“ rief es aus zwanzig Kehlen, und ein Trupp Männer löste sich von dem Haufen und schlug mit schnellen Schritten den Schluchtweg nach Palene ein.

Ditta stieg jetzt von ihrem Maulthier, zog es gleichmüthig in den Stall, wehrte die Mutter ab und ging dann in ihre Kammer. Hier setzte sie sich erschöpft auf den einzigen Stuhl, den diese enthielt, und holte tief Athem.

„Jetzt kann ihn Niemand todtschlagen, wenn er mich heirathet, jetzt zwingen sie ihn ja dazu,“ sagte sie leise zu sich selbst. „und er wird es ihnen nicht verweigern. Er hat mich gern, das weiß ich jetzt, und Pieteranton wird sich hüten, ihn anzugreifen und sich an ihm zu rächen. Er hätte ja die ganze Gemeinde gegen sich, und seine Tage wären gezählt. Hilf, gnädige Mutter Gottes, Schmerzensreiche,“ wandte sie sich dann, die Hände faltend, zu dem Muttergottesbilde über ihrer Bettstätte, „hilf mir armen Mädchen, daß Alles gut geht!“ So betete Ditta lange, lange zur Madonna.

Etwa eine Stunde nach dem eben Geschilderten trat erst ein Mann von der Palenella–Bauernschaft in das Schanklocal Lugeno’s und ließ sich einen Becher Wein geben; wenige Secunden darauf kam ein zweiter, dann ein dritter, und ehe der Barbier es sich versah, war seine Stube voll von finster blickenden Landleuten, die alle Messer in den bunten Leibgürteln stecken hatten.

Herr Lugeno war ein harmloser und ein muthiger Mann, aber jetzt war er doch etwas betreten. Er begriff, daß etwas Ungewöhnliches, Unheimliches im Werke sei, und ihm ward schwül zu Muthe.

„Don Ernano,“ nahm jetzt der Hauptsprecher der Männer das Wort, „Sie haben einer der Unsrigen den Zopf abgeschnitten – haben Sie das, Meister?“

„Ja!“ kam es beklommen von den Lippen des großen blonden Mannes, der keine Ahnung hatte, wo dies hinaus wollte.

„Haben Sie den Zopf?“

„Ich habe ihn,“ war Herrn Lugeno’s Antwort.

„So zeigen Sie ihn uns,“ forderte man mit gedämpfter Stimme.

Der Barbier ging an einen Schrank und nahm den Zopf Ditta’s heraus.

„Da ist er,“ sprach er.

„Sie kennen das Mädchen?“ inquirirte man weiter.

„Ja, es ist Ditta Ceprano, ich kenne sie lange.“

„Gut! Wollen Sie das Mädchen heirathen?“ frug jetzt finster der Sprecher, an den Barbier und Cafetier herantretend.

„Heirathen? Die Ditta Ceprano?“ fuhr Herr Lugeno ganz verblüfft zurück.

„Wollen Sie?“ Und ein Dutzend große Messer flogen unheimlich blinkend aus den bunten Leibbinden, während die Männer im Nu den Eingang versperrt, den höchlichst erschreckten Herrn Lugeno umringt und in eine Ecke gedrängt hatten. „Sagen Sie ja oder nein!“ rief man mit unterdrückten Stimmen.

Herr Lugeno suchte sich zu sammeln und sah von Einem zum Andern. Das war kein Spaß hier, das merkte er wohl. Wie haßerfüllt die Augen der Männer auf ihn gerichtet waren! Wie finster und entschlossen ihre Mienen! Er fühlte, daß er noch nie so nahe dem Tode gewesen, wie in diesem Augenblicke, und sein Athem stockte.

„Aber sagt mir nur -“ begann er.

„Still, Mann!“ zischte ihn jetzt der Sprecher an. „Keine Ausflüchte! Kein überflüssiges Wort! Antwortet mir: wollt Ihr Ditta Ceprano aus Palenella, der ihr den Zopf abgeschnitten, heirathen oder nicht? Erklärt Euch kurz und bündig, jetzt, im Augenblick hier vor uns, daß Ihr das wollt, oder Ihr seid in zwei Minuten, so wahr wir Alle selig werden wollen, ein Mann des Todes!“

In Herrn Lugeno’s Augen leuchtete es freudig auf, er wischte sich aufathmend den Schweiß von der Stirn. Dann sagte er freundlich lächelnd:

„Ja, natürlich will ich das, Männer, von Herzen gern, Männer, wenn sie mich nur will –“

„Sie muß wollen!“ ertönte es jetzt mit dem gleichen unerschütterlichen Ernst von Allen zugleich. „Ihr schwört also, jetzt, hier vor uns, die Ditta zu heirathen, Euch mit ihr von unserem Priester in unserer Kirche trauen zu lassen – sobald Ihr könnt, jedenfalls innerhalb dieses Monats,“ ließ sich der Sprecher weiter vernehmen.

„Ich schwöre das bei meinem Seelenheil!“ sagte der Blonde eifrig.

„So ist es gut,“ meinte darauf der Anführer der Bauern. „Ihr habt klug daran gethan, Meister, denn wahrlich, lebend hättet Ihr Eure Butike sonst nicht verlassen!“ Darauf steckten die Männer ihre Messer ein, bestellten ein paar Liter Wein, tranken dem noch immer überraschten Herrn Lugeno Jeder einzeln zu, verließen mit höflichem Gruß den Laden und gingen in ihr Dorf zurück.

Sie kamen noch bei guter Zeit an und begaben sich sofort in das Haus der Mutter Ceprano. Die Alte weinte und klagte noch immer über den Schuft, den Lump, den Räuber, der das gethan. Ditta aber saß ganz zufrieden am Tisch und ließ sich die Abend-Polenta schmecken.

„Wir bringen gute Nachricht, Ditta!“ riefen ein Dutzend Stimmen ihr zu. „Er will, er hat’s geschworen bei seinem Seelenheil, er will Dich zur Frau nehmen, in diesem Monat noch, Mädchen. Sei froh, Du bist dann wieder geehrt, wie wir Alle. Er ist ein kluger, ein angesehener Mann, er ist so gut wie Jeder in unserer Gemeinde, Ditta.“

„Ich bin es zufrieden,“ erwiderte darauf Ditta. „Ich danke Euch, Freunde, Ihr habt brav für mich gehandelt, ich werden es Euch gedenken.“ Und der Schimmer glücklichster Freude verklärte des Mädchens Gesicht.

Es ging an diesem Abend in dem stillen Dorfe geräuschvoller und erregter zu als seit langem; die Einwohner feierten ihr Auftreten wie einen gewaltigen Sieg und scherzten und lärmten bis tief in die Nacht hinein. Sie hatten keine Ahnung davon, daß eine kluge Evastochter sie überlistet und mit ihren eigenen Waffen geschlagen hatte, um sich vor den Nachstellungen eines verhaßten Freiers zu retten und den Mann, welchen sie liebte, ohne Gefahr für diesen selbst heirathen zu können.

Die Einwohner Palenellas gingen schließlich vergnügt zur Ruhe, und Ditta schlief so glückselig und ruhig ein, wie noch nie in ihrem Leben.

Am nächsten Morgen ganz früh finden wir sie schon wieder unterwegs nach Palene, und bald war sie vor dem Laden Lugeno’s. Der Besitzer des Geschäfts stand in der finsteren Küche am Herde und kochte Kaffee. Er hörte die Eintretende nicht.

„Don Ernano,“ sprach ihn Ditta mit weicher, demüthiger, bittender Stimme an. „Verzeihen Sie mir?“

Herr Lugeno kehrte sich wie vom Blitze getroffen um.

„Ditta! Ditta!“ rief er aus; „aber sagen Sie mir nur um Himmels willen, liebes Mädchen, was dies alles bedeutet? Ist es wahr? Muß ich Sie wirklich heirathen –?“

„Ist Ihnen das so schrecklich, Signore? Ich glaubte – ich dachte –“ sprach mit klagendem Tone, zitternd und nach Athem ringend, Ditta.

„Ach, das ist es ja nicht, Fräulein, ich bin ja überglücklich, daß ich eine so liebe, schöne, brave Frau bekommen soll,“ tröstete Herr Lugeno mit herzlichster Stimme. „Weinen Sie doch nicht, liebstes Mädchen, das Glück ist mir ja wie ein Platzregen vom Himmel gefallen. Ich wünsche mir keine andere Frau, wie Sie, mein Fräulein, aber ich weiß ja gar nicht, wie mir geschehen, begreife nicht, warum denn, wie so denn das alles gekommen? Ich bin ja zu einem Glücke, an das ich nicht zu denken wagte, mit zwanzig Messern gezwungen worden. Weßhalb denn dies, Fräuleinchen, und warum haben Sie sich denn den Zopf von mir abschneiden lassen?“

Ditta hatte bei den liebevollen Worten des Barbiers schnell ihre Thränen getrocknet; sie sah ganz glückstrahlend zu dem großen blonden Mann auf.

„Ich will Ihnen alles ausführlich erzählen, Herr Lugeno,“ versetzte sie darauf. „Ich habe so handeln müssen, um Sie vor der Rache eines beleidigten, abgewiesenen, bösen Freiers zu retten. Jetzt stehen Sie unter dem Schutze des ganzen Dorfes, und er wird sich wohl hüten, Ihnen zu nahe zu kommen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_030.jpg&oldid=- (Version vom 25.5.2020)