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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

er strich mit der einen Hand über das Blondhaar der Tochter und drängte sie mit der andern zurück.

„Nachher, nachher, mein Kind, ich habe mich mit – mit diesem Herrn da –“

„Das Fräulein stört uns durchaus nicht, Vetter; ich dächte, wir setzten uns und machten die ganze Angelegenheit so ruhig ab, wie es Männern in Gegenwart von Damen geziemt,“ sagte der Bennewitzer und schob seinen Stuhl an den mit Cigarrenkästen und Zeitungsblättern ganz bedeckten Tisch. „Bitte, Wilhelm,“ fuhr er dann fort, auch Else einen Stuhl hinsetzend, „laß uns die Sache ruhig besprechen. Du weißt, ich bin in keiner unversöhnlichen Stimmung gekommen, und wer von uns Beiden schwerer vom Schicksal getroffen ist, das weißt Du auch.“

Hegebach hatte sich niedergelassen auf eine flehende Geberde von Else. Nun war es einen Augenblick still in dem alten verräucherten Gemache.

„Wir Beide, Wilhelm,“ begann der Bennewitzer auf’s Neue, „können nichts dafür, daß unser Onkel, Gott verzeihe es ihm, sein Testament so und nicht anders verfaßte; es ist einmal nichts mehr daran zu ändern. Deine Ansprüche, das mußtest Du Dir sagen, ehe Du sie erhobst, und Dein Sachwalter hätte es Dir auch sagen müssen, sind – unhaltbar! Ich habe gar nicht das Recht, das ererbte, mir jetzt zugehörige Gut und Vermögen zu theilen, aber ich habe das Recht, Dir den Vorschlag zu machen, den ich vorhin aussprach, und es geschah aus ehrlicher, guter Gesinnung. Nimm ihn an, Wilhelm, diesen Vorschlag, und wenn nicht Deinetwegen, so doch Deiner Tochter wegen.“

„Ich werde ihn nicht annehmen,“ sagte der Major, „und das Weitere – abwarten.“

„Um Gotteswillen, sei doch vernünftig, Wilhelm!“ bat der Bennewitzer, einen Blick auf das junge Mädchen werfend.

„Ich weiß, was ich zu thun habe; ich danke Dir!“

Der alte Mann nahm mit zitternden Händen ein Paket Zeitungen und legte sie auf einen anderen Platz, und klappte den Deckel eines Cigarrenkastens in nervöser Hast auf und zu. Else blickte rathlos von Einem zum Andern.

„Es handelt sich um sehr materielle Dinge, Fräulein von Hegebach,“ wandte sich der Bennewitzer zu dem jungen Mädchen. „Ihr Herr Vater glaubt neuerdings, seitdem mir ein schweres Schicksal beide Söhne und somit die Erben des Familiengutes entriß, Ansprüche auf dieses zu haben. Ich weiß nicht, wie er dazu gekommen ist, diese Ansprüche auf gerichtlichem Wege zu verfolgen, jedenfalls ist er schlecht berathen. Ich kam heute, um den Beginn dieses völlig aussichtslosen Processes zu verhindern, und wollte –“

„Mir ein Pflaster auf den Mund legen!“ fiel der Major heftig ein. „Ich danke noch einmal für Deine Unterstützung, wo ich gutes Recht zu beanspruchen habe.“

Der Bennewitzer erhob sich. „Ich habe es gut gemeint, Wilhelm; es sei ferne von mir, Dir etwas aufdrängen zu wollen; verfolge denn Dein gutes Recht.“

Er nahm den mit einem Trauerflor versehenen Hut vom nächsten Stuhl und reichte dem jungen Mädchen die Hand. „Es würde mich sehr glücklich machen, dürfte ich meine liebliche Nichte unter freundlicheren Verhältnissen wiedersehen. Gott befohlen, Fräulein von Hegebach!“

Im nächsten Moment war die Thür hinter der vornehmen Erscheinung zugefallen.

„Papa!“ sagte das Mädchen traurig, nachdem der alte Mann, als habe er völlig ihre Anwesenheit vergessen, eine Weile in den Schubfächern seines Secretärs zwischen Briefen und Papieren gesucht hatte. „Papa!“

Hegebach fuhr auf und rieb sich die Stirn.

„Papa, ich möchte mir ein bischen mit Dir erzählen.“

Er hielt inne mit Suchen und schaute sie an.

„Papa, ich wollte Dir nur sagen, ich wäre so gern zu Dir gekommen und hätte Dir den Hausstand geführt, Dir Abends etwas vorgelesen und Deine Stube sauber aufgeräumt.“ Es mußte etwas in ihrer Stimme sein, das ihn zwang, sie weiter anzuhören. Er setzte sich in den Stuhl und legte den Kopf in die Hand.

„Und ich hätte Dich so gern gepflegt, Papa, wenn Du Dein Reißen hast, und Du wärst nicht mehr so allein, denn – Tante Ratenow –“ Die klare Mädchenstimme brach plötzlich in Weh und Bangigkeit. „Laß mich bei Dir bleiben, Papa, Du dauerst mich so!“ rief sie, die Arme um den Hals des alten Mannes schlingend. „Du bist immer so allein, Du kannst ja gar nicht einmal froh sein!“

„Nein, Else, das geht nicht,“ erwiderte er, aber er schüttelte die kleinen Mädchenhände nicht ab. „Du hast kein Glück im Leben, armes Kind, daß Du solch einen Bettelmann, wie ich bin, Vater nennst. Es hätte anders sein können! Aber wen das Schicksal einmal auf eine Schindmähre gesetzt, der kommt sein Lebtag nicht wieder auf ein anständiges Pferd. Ich hab’s der Tante Ratenow gesagt, wie viel ich zum Leben habe: zwanzig Thaler monatlich! Das klingt lächerlich, nicht wahr? Das Andere geht von meiner Pension ab für frühere Verpflichtungen, die ich ehrenhalber erfüllen muß und die noch Jahre beanspruchen, ehe sie abgetragen sind.“

„Papa!“ wollte sie einwenden, aber er schnitt ihr das Wort von den Lippen ab.

„Es ist das Beste so, wie Frau von Ratenow mir gestern vorgeschlagen hat. Du übernimmst die Erziehung der kleinen Ratenow’s und erhältst dafür ein anständiges Honorar und bist außerdem dort wie Kind im Hause. Das ist mehr Glück, als es hundert Andere haben in Deiner Lage; und das Weitere – warten wir ab,“ schloß er.

Das junge Mädchen war aufgesprungen und sah aus tief erbleichtem Gesicht den Sprecher an. Aber sie sagte kein Wort. Sie wußte nur das Eine plötzlich, eine goldene, süße, sorglose Mädchenjugend wartete ihrer nicht mehr. Wie in graue Schatten gehüllt, stand plötzlich das liebe alte Haus dort draußen vor ihrem Auge; sie hatte da kein Heimathsrecht mehr, sie sollte sich’s erst erkaufen durch Gegenleistung. Sie war aus der Stellung eines Kindes urplötzlich in die der Dienstbarkeit gerückt! Ja, wie hatte sie auch denken können, daß auf dieser Welt noch Liebes und Gutes umsonst gegeben wird? Sie hatten sich eine Erzieherin ausbilden lassen, das war Alles.

Ein unendlich bitteres Gefühl erfüllte das junge Menschenherz in diesem Augenblick; es war nicht Furcht vor der Arbeit, es war der Schmerz einer großen Enttäuschung.

„Adieu, Papa!“ sagte sie, den Hut aufsetzend, „ich werde Dich besuchen, so oft es mir –.“ Sie stockte; sie hatte in ihrer Bitterkeit sagen wollen: „so oft es meine Herrschaft –“, aber da war ihr Moritz’ gutes Gesicht eingefallen; „so oft es mir erlaubt wird,“ verbesserte sie sich.

Er gab ihr die Hand. „Es wird wohl noch einmal besser, Else; Du bist noch so jung.“

Sie nickte. „Adieu, Papa!“ Dann ging sie. Wie anders war sie gekommen! Sie stand dann mit finsterem Gesichte in der Hausthür; die elegante Equipage, die sie hergebracht, bog eben dort um die Straßenecke; Moritz kam, um sie abzuholen, sie mußte auf ihn warten.

„Wie siehst Du nur aus, Else?“ fragte er, als er herausgesprungen war, um ihr beim Einsteigen zu helfen. „Hat es einen Aerger gegeben, alte Deern?“ Und er faßte nach ihrer Hand.

„Wann wünschest Du, daß ich den Unterricht beginne?“ war die Antwort, als der Wagen mit ihnen fortrollte, „und willst Du nicht meine Zeugnisse erst prüfen?“

Er sah empor. Der Ton der Stimme war so fremd, die Lippen lagen so schmerzlich zusammengepreßt auf einander.

„Den Unterricht?“ fragte er. „Ach so! Mutter wollte Dich, glaube ich, bitten, den Kindern die Anfangsgründe ein wenig beizubringen. Willst Du, Else?“

„Es ist ja abgemacht,“ erwiderte sie; „man hat mich vorher nicht gefragt.“

„Ist Dir von irgend einer Seite weh gethan, Else? Es war Niemandes Absicht, das glaube mir,“ sagte er weich, das blasse Mädchengesicht betrachtend.

Sie sah ihn an mit den in Thränen schimmernden Augen. „Moritz, ich will Alles thun, ich will Tag und Nacht um Deine Kinder sein, aber biete mir kein Geld dafür – ich ertrage es nicht!“ schluchzte sie.

„Aber Else, Else, wie falsch beurtheilst Du das!“ rief er erschreckt. Und da der Wagen in diesem Augenblicke vor dem Portale des Hauses hielt, sagte er: „Ich bitte Dich, geh’ zur Tante Lott, Else; ich habe nur einen Moment bei Mutter zu thun – ich bin gleich oben, um mit Dir zu reden –.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_056.jpg&oldid=- (Version vom 18.7.2020)