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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Dschapei.

Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)

Woche um Woche verging in solcher Weise. Da brachten die ersten Junitage einen anhaltend warmen Regen, der die Fluren im Thale tiefgrüner noch und satter färbte, und der auch die hochgelegensten Bäume der Berge zu sichtlichem Leben weckte.

Eines Freitags nun kehrte Nannei, die am frühen Morgen in Tagelohn gegangen war, lange vor Feierabend nach Hause. Im Hofraume kam ihr das Dschapei entgegen gelaufen und schnupperte an ihrer Tasche, in welcher das Mädchen sonst immer ein Rinkelchen Brod, ein Stückchen Zucker oder ein Bröckchen Viehsalz für den weißwolligen Liebling mit heimgebracht hatte.

„Uijegerl,“ rief Nannei, „mein Gott, Dschapei, heut’ hab’ ich ganz vergessen auf dich – vor lauter Freude“ Dabei faßte sie das Thierchen bei den Vorderfüßen und zog es an ihre Brust empor. „Dschapei – ja denk’ dir nur g’rad – morgen – morgen geht’s dahin – ’nauf auf d’ Alm! Du, da paß auf, da wirst aber spannen[1]! Du, da is schön! Da kannst ’nunter schauen in’s Thal, weitmächtig weit – und in d’ Höh’ an die Felsen! Du – und da giebt’s Hirschein und Gamsein – ja, aber da mußt fein Obacht geben, daß dich kein’s derwischt mit seine spitzigen Hackeln –“

„Nannei!“ scholl aus dem Häuschen die Stimme der alten Baslerin.

„Ja, ja – ich komme schon!“ rief das Mädchen entgegen – und als es hurtig der Thür zuschritt, hüpfte das Dschapei in possierlichen Sprüngen hinter ihm her, just als ob es die Freude der Nannei verstände und theilte.

Drinnen in der Stube wiederholte das Mädchen die heimgebrachte Neuigkeit in etwas kürzeren, fast gedrückten Worten:

„Mutterle – morgen wird auf’trieben. Vierzehn Tag’ bleiben wir – sie meinte sich und die Kühe – „im Wimbachthal auf der Griesalm, und nachher geht’s ’nauf am Trischübl. Ja – morgen in der Früh um fünf Uhr muß ich drunten sein beim Almbauer.“

Ein tiefer, schnaubender Seufzer bildete die ganze Antwort der alten Baslerin.

Auf der Tischplatte war ein kleiner Wasserfleck; da mochte wohl ein Trinkglas gestanden sein; und den erweiterte Nannei mit dem Finger zu einer strahlenden Sonne. Nach einer Weile sagte sie:

„Vierzehn Stück kriege ich mit; die andern achzehn kommen in der nächsten Woche mit der Resei und ihrem Bruder ’nauf in’s Gotzenthal.“

„Viel is – viel – das heißt, für eins allein,“ erwiderte die Alte mit sorglicher Miene. „Aber mein – da is jetzt nix mehr z’machen. Jetzt geh halt – geh; und richt’ Deine sieben Zwetschgen z’samm’, damit doch zeitig schlafen kommst. Der zieht sich schon recht, der Weg.“

„Ah na – es is net so arg – fünf Stund’ – da dermacht man’s leicht.“

Langsam kehrte sich Nannei vom Tische und schritt, von ihrem Dschapei gefolgt, der Kammer zu.

Wieder seufzte die alte Baslerin, tiefer und lauter noch als zuvor, dann schüttelte sie den grauen Kopf und klapperte weiter mit den Nadeln.

In banger Sorge hatte sie all die Wochen her dem Tage entgegengesehen, an welchem Nannei zu Berge ziehen sollte. Doch war die Ursache dieser Sorge nicht der Umstand, daß sie nun für lange Monate ihr Nannei missen, und verlassen und allein in dem stillen Häuschen verbleiben sollte – das mußte so sein, das ging nun einmal nicht anders. Die alte Baslerin war ein kluges, durch ein hartes Leben verstandsam gemachtes Weiberleut; sie wußte sich rasch und schnell mit der Nothwendigkeit abzufinden. Aber – aber –.

Ja – dieses „aber“!

Damals schon, am Ostersonntage, war es noch an’s Licht gekommen, was hinter jener plötzlichen und ungewöhnlich großen Freigiebigkeit des Almbauern eigentlich steckte. Der pure Geiz!

„Du, Mutterle,“ hatte Nannei gesagt, als sie den Korb mit dem heimgebrachten Ostersegen auf den Tisch niederstellte, „jetzt hat g’rad der Almbauer so mit mir g’redt. Weißt – er hat g’meint, droben im Gries und am Trischübl, da wär’ halt gar so a leichts Hüten, weil doch ’s Vieh net weit auskann, von wegen die Wänd’ – es is ja die ganz’ Almgegend umundum eing’schlossen – ja – und da hat er g’meint, es thät’s am End’ auch, wann er mich allein ’naufschicket – ohne Hüterdirn. Zwanzig Mark thät’ er mir noch auf mein’ Lohn zulegen – hat er g’sagt – und da könnt’ er noch ’was dabei dersparen, und ich käm’ auch besser weg. G’rad a bißl mehr Arbeit hätt’ ich – a bißl halt – aber ich bin ja jung und stark und hab’ an guten Willen!“

Da hatte die Alte gepoltert und gezankt: „Nix da – nix – da wird nix draus! Das wär’ mir ’s Wahre! Du – und allein – und – und – nix da! Gleich packst mir jetzt die ganze Wirthschaft wieder z’samm’ – die lumpigen fünf Mark und die altbackenen Wecken und den schmeckenden Schunken und Dein bockbeinigs Lampl – und Alles tragst mir wieder ’nunter zu dem Siebeng’scheiden – und sagst ihm, er soll seine Pfifferling behalten – und sagst ihm, daß Du ohne Hüterdirn net almen gehst – nie – gar nie net! Das is nix – das taugt nix – Du kannst es net dermachen – Du bist z’jung und z’schwach – viel, viel, viel z’schwach – und – und –“

„Ja – das wird sich aber jetzt hart machen, Mutterle,“ hatte Nannei verlegen erwidert, „ich – ich hab’ halt an den schönen Verdienst denkt – und da – da hab’ ich ihm halt zug’sagt – auf Handschlag und Angeld.“

Bei diesen Worten hatte sie aus der Tasche einen Preußenthaler hervorgeholt und ihn auf zitternder Hand der Mutter entgegengehalten.

„Jesses na – jetzt is schön – jetzt is schön!“ hatte da die Alte laut aufgeschrieen, den Thaler gepackt und auf den Tisch geworfen, daß er klingend hoch aufsprang. „Ja, was hast denn jetzt da g’macht – ja, wie hast Dir denn so ’was unterstehen können! Bin ich denn nimmer Deine Mutter? Bin denn ich gar nix mehr? Net amal fragen thut man mich mehr – bei so ’was – na – na – so ’was, so ’was!“ Und mit beiden Händen war sie sich in die grauen Haare gefahren, ganz verzweifelt.

„Mein Gott, Mutterle, mein Gott,“ hatte Nannei da gejammert, die hellen Thränen im Auge, „schau – wenn ich mir hätt’ denken können, daß – Du – mein Gott – ja, g’wiß hätt’ ich net zug’sagt. Aber geh – sei nur g’rad wieder gut – schau, gleich lauf’ ich ’nunter zum Almbauer und –“

„Es hilft Dir nix – es hilft Dir nix! Der weiß schon, was er thut. Angeld is Angeld.“

„Aber so sag mir nur g’rad, warum ’s Dir denn gar so unrecht is, daß ich allein da ’nauf geh?“

„Weil Du’s net dermachen kannst, die Arbeit – und – und – Du bist z’jung und z’schwach.“

„Ah na, Mutterle! Ich verstehe mich auf’s Halten von die Küh und auf’s Milchen und Kaasen besser schier als eine, die droben alt worden is am Berg.“

„Und nachher so allein da droben – weiß Gott, was Ei’m da passiren und zustoßen kann!“

„Geh, wer wird denn gleich an so ’was denken! Da droben is mir unser Herrgott näher als da herunten, und mein liebs Vaterl selig is mir auch net weit – die Zwei mit einander werden mich schon b’hüten und schützen.“

„Ich will’s hoffen – ja, hoffen!“ hatte die alte Baslerin geseufzt, und hatte damit die Sache beruhen lassen, weil sie nicht mehr zu ändern war.

Aber die Sorge, die in ihr wach geworden, nagte all die Tage her an ihrem Innern, und um so unermüdlicher, als sie von dem, was eigentlich ihre Sorge war, nicht sprechen konnte. Sie durfte davon nicht zu Nannei reden, um ihres Kindes Herz und Gedanken nicht gerade auf das zu leiten, was sie von ihm ferne wissen wollte. Das war so eine eigene Sache! Sie kannte das; sie hatte das an sich selbst erfahren; sie war ja auch da droben gewesen – ganz allein, und –

  1. Verwundert, verblüfft sein.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_063.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2020)