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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Cosenza und das Busentothal.

Im Herzen Calabriens.

Landschaftliche Studie von Woldemar Kaden.0 Mit Illustrationen von Paul Müller.


Die schöne grüne Basilicata mit ihren Eichenwäldern, rauschenden Bächen, freundlichen Ortschaften inmitten grünender Felder lag bereits hinter mir; einige Stunden noch und ich befand mich auf calabrischem Gebiete. Die mondhelle warme Sommernacht lud zur Fortsetzung der Reise ein.

Schweigsam ritten wir durch eine baumlose Wüstenei von Hügeln, Bergen, Schluchten und Thälern, dann über breite Hochebenen hin, die sich unter dem unbestimmten Lichte des Mondes in’s Unendliche zu dehnen schienen. Aus weiter Ferne, bald aus dem Thal, bald von der Höhe schimmerten einzelne Lichter, glänzte ein Hirtenfeuer; ganz in silbernen Duft gehüllt, von zarten Nebelwölkchen umflogen, stieg vor uns in stiller Majestät der gewaltige Monte Pollino empor, das Haupt der ersten Gruppe des calabrischen Apennins, gekrönt von einem Kranz hellleuchtender Sterne.

Keiner lebenden Person waren wir bisher begegnet, da, mitten in der Einsamkeit, stießen wir auf einen Trupp von etwa zehn Männern; sie hatten am Wegrande gesessen und standen bei unserer Annäherung auf. Räuber? ... Das helle Licht des süditalischen Mondes glänzte auf den Aexten, die sie im Gürtel, und auf den Läufen der Flinten, die sie über den Schultern trugen, und ließ ihre Gesichtszüge auf’s Deutlichste erkennen: braune, verwetterte, bartumbuschte Gesichter mit pechschwarzen Augen; den verwilderten Haarwald krönte, ich sah ihn hier zum ersten Mal, der bekannte famose Spitzhut, der Brigantenhut, wie wir ihn aus „Fra Diavolo“ kennen. Schwarze Sammetbänder, die über die schmale Krämpe in einem dicken Wust auf die linke Schulter herabfallen, zieren in hundert Windungen seinen kecken Kegel. Räuber? Nein, es waren friedliche gutmüthige Holzhacker, die aus Calabrien zur Arbeit herüberkamen. Sie boten uns freundlich eine felicissima und santa notte, bettelten schüchtern um eine Cigarre und setzten ihren Weg fort.

Aber die Säulen, die rechts und links am Weg stehen, um deren Bedeutung ich meinen Gefährten fragte, trugen durch lange Jahrzehnte Capitäle aus Räuberköpfen zur Abschreckung und unzählige Schädel sollen an ihrem Fuße eingescharrt liegen. Unsere nächtliche Unterhaltung drehte sich nun um den Brigantaggio, wie es sich gehört beim Eintritt in Calabrien, seine alte eigentliche Heimath, und der dämmernde Morgen ließ das Gruseln nicht gar zu arg werden. Bald auch wurde es lebendiger auf der Straße. Wir geriethen in eine Heerde von Büffeln hinein, deren Hirten die Ungebändigten mit dicken Keulen in Ordnung hielten. Es waren echte verwilderte Räubergestalten, und Trotz und Kühnheit sprachen aus ihren Zügen.

So wilde Gesichter diese Männer zeigten, ein um so freundlicheres zeigte uns die Landschaft, eine Campagna, wie sie reicher und heerlicher nicht gedacht werden kann.

Aber nur kurze Zeit dauerte diese grüne Pracht; sie verschwand hinter uns und verging wie eine Fata Morgana: die Küste that sich auf. So erreichten wir Oria, einst Sybaris genannt. Ja, Sybaris! Dieser Boden hier trug einst die mächtige Stadt, welche 100,000 Streiter ausrüstete, welche vier Nachbarvölker unterworfen hatte und von fünfundzwanzig tributaren Städten umgeben war. Alle Bedingungen für eine Welthauptstadt des Alterthums, hier waren sie erfüllt: mehrere Quadratmeilen fruchtbarster Ebene, im Norden der Apennin, im Süden die reichbewaldete, dem Schiffsbau dienende Sila, im Westen das schöne Plateau von Thurii, im Osten das an’s Mutterland anknüpfende Jonische Meer ....

Und heute? Die Ebene vor uns ist ein fieberathmendes Sumpfland, vollständig unbewohnt, nur Büffeln, Wölfen, Füchsen, Enten und anderem Wassergevögel zur Heimath dienend, höchstens von Jägern und verwilderten Hirten durchschweift.

Straße in Cosenza.

Im Alterthume ernährte dieser Boden eine Million Menschen und Sybaris bedeutet Ueberfluß. Wer kennt nicht die Schilderungen jener üppigen Feste, die hier abgehalten wurden, da der Sybarit Smyndirides mit tausend Dienern, vielen Fischern, Vogelstellern und Köchen nach Sikyon reiste und Alles in Wohlgeruch schwamm?

Mit Sybaris ging das auf den calabrischen Küsten angesiedelte Großgriechenland unter, der zarte und verzärtelte Grieche vermochte den Völkerstürmen nicht zu trotzen, dazu bedurfte es zäherer Naturen, brauchte es Menschen, die aus dem festen Holze der Berge geschnitzt waren. Der Grieche verschwand, die Ureinwohner des Landes, die Bruttier blieben, sie sind die Bewohner des heutigen Calabriens.

Wir stehen an den Ufern des Crati, der hier zwischen der Punta del Triente und dem Cap Roseto in’s Jonische Meer tritt. Er kommt weit her, aus dem Herzen Calabriens, vom Silawalde herab an Cosenza vorüber und bildet das verrufene Val di Crati, das Cratithal, das wir durchwandern, um nach der Hauptstadt des Landes, Cosenza, zu gelangen.

Der Crati ist heute ein recht freudeloser Fluß, und das Thal, das er durchschleicht, ist traurig und öde. Ein dichter Schilfwald, in welchem der Büffel wohnt, füllt es in der Mitte, träge läuft der Fluß an diesem dahin. Sein Wasser wird immer trüber, je mehr es der Mündung naht, und ist so dick, daß immer eine runzelige, metallisch gefärbte Haut, die sich in dicken Falten zusammenschiebt, darauf schwimmt. Immer mehr in die Breite geht er, fast jedes Jahr wechselt er sein Bett, und an der Mündung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_079.jpg&oldid=- (Version vom 14.6.2023)