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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Häuser zählte. Dabei muß es Einen Wunder nehmen, daß die Häuser so unendlich hoch gebaut sind, doch hat das seinen guten Grund in einer andern Landplage Cosenzas: der Malaria, der Fieberluft. Viele Hunderte von Leuten liefen herum, denen nur zu deutlich das Fieber auf dem Nacken saß. Ein schmerzlich düsterer Anblick ist es, diese Menschen zu sehen: sie haben eine lehmgelbe Haut, einen durch Anschwellungen der Milz und der Leber aufgetriebenen Leib, bleiche Schleimhäute, wässeriges Blut, Beine und Füße dick geschwollen.

Frauentypen aus Calabrien.

Calabresische Landleute.

Ursache des Fiebers ist die Lage der Stadt, sind die Flüsse, die sie durchlaufen. Da ist zunächst der Crati. Gesund und frisch, ein schönes Gebirgskind, kommt er von der hohen Sila herab, von dem Berge Macchia Sacra, dem Heiligen Hain, nimmt unterwegs eine Menge Flüßchen und Bäche auf, erreicht aber Cosenza schon trägen Laufes. – Ich mußte lächeln, als man mir sagte, daß ihm die Alten die Eigenschaft beimaßen, die Haare gelb zu färben, denn das könnte, wenn ich das abscheulich semmelblonde, in seinem geröllreichen Bette in trüben Pfützen stagnirende Wasser sah, füglich noch heute geschehen; doch behauptet das Volk, daß er auch Goldsand führe. Der andere Fluß, uns von der Schule her, wo wir das Platensche Gedicht „Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder“ auswendig lernten, bekannt, ist der historische Busento (nicht zu verwechseln mit dem in den Golf von Taranto mündenden Basento). Dieser hat seine Quellen auf dem Berge Santa Lucerna und auf dem Monte Cocuzzo, läuft ebenfalls gegen Cosenza, umgeht den Monte Pancrazio und vereinigt sich in dem Stadtviertel der „Rivocati“ unterhalb des Hügels von San Francesco da Paola mit dem Crati. Hier ist der Ort, der den Geschichtsforscher interessirt, denn hier wurde Alarich, der jugendlich-schöne Gothenkönig, mit all seinen Schätzen begraben, hier hatte man die Sclaven, die am Werke thätig gewesen, ermordet. Cosenza hatte bei Annäherung der kriegerischen Schaaren beschlossen, sich bis auf den letzten Tropfen Blut zu vertheidigen. Mauern und Thore waren befestigt, die Straßen verbarricadirt, die Häuser mit Brennstoff gefüllt worden. Gegen 3000 Bewaffnete waren in der Stadt und Umgegend zusammengeströmt. Alarich aber hatte Eile, nach Sicilien zu kommen, ließ sein Heer um die Hügel herummarschiren, sodaß Cosenza anfangs verschont blieb, fiel aber bei Cosenza dem Fieber zum Opfer. Heute, als ich auf der Brücke stand und auf das trockene Flußbett hinabsah, mußte ich lächeln, wenn ich mir Platen’s hochpoetische Worte ins Gedächtniß rief: „Wälze sie, Busentowelle, wälze sie von Meer zu Meere!“ Armer Alarich, dein Grab ist arg prosaisch!

Reicher und schöner als die Stadt Cosenza ist ihre Umgebung, ist sodann ihre Geschichte. In diese Umgebung zu schauen ist ein herzerfreuender Anblick: quellende grüne Fruchtbarkeit, reges Menschenleben auf allen Höhen. In dem Umkreise von drei, vier Stunden liegen gegen vierzig Städte und Dörfer, und dicht an die Stadt heran drängen sich, alle Höhen bedeckend, die nahe an hundert „Casali“, kleine freundliche, ackerbautreibende Dörfchen, von einem den echten alten Bruttiern entstammenden kräftig-gesunden Menschenschlage bewohnt. Ihre Entstehung verdanken sie der Noth, die Leute gingen aus der Stadt hinauf, da unten nicht mehr gut zu wohnen war. Zu Anfang des zehnten Jahrhunderts nämlich herrschten in Cosenza die Saracenen. Sie schalteten nach Gutdünken, vertheilten das bebaute Land unter ihre Soldaten und Veteranen und zwangen die Cosentiner, das Buschland zu cultiviren und außerdem Baumwolle, Papyrus, Maulbeerbäume und Manna-Eschen auzupflanzen. Die Kirchen wurden in Festungen verwandelt, ein großer Theil der Stadt niedergebrannt, ein großer Theil der Einwohner auch nach Afrika geführt. Wer sich flüchten konnte, ging aufs Gebirg, oder siedelte sich auf den Hängen der umliegenden Höhen an. Diese Einfälle der Saracenen wiederholten sich von Zeit zu Zeit und so blieben schließlich von 120,000 Einwohnern nur 6- oder 7000, welche die Stadt wohl oder übel wieder herstellten. Nicht mehr auf sieben Hügeln lag Cosenza (der Stolz der Cosentiner, die ihre Stadt gern mit Rom vergleichen), sondern drängte sich in wenig Sträßchen auf dem Monte Pancrazio zusammen. Den saracenischen Verwüstungen folgte das schreckliche Erdbeben von 1184, die kaum wieder zum Leben erwachte Stadt wurde ein Trümmerhaufen, unter dem die Hälfte der Einwohner erschlagen lag. Auch der alte Dom St. Pancrazio stürzte zusammen und begrub den Erzbischof mit vielen die Messe celebrirenden Priestern.

Dom in Cosenza.

1185 wurde der erste Stein zu dem neuen Dome gelegt an dem Orte, wo wir ihn heute noch sehen, und zur Weihe dieses neuen Domes, 30. Januar 1222, wurde der deutsche Kaiser Friedrich II. feierlichst eingeladen. Er kam, eingeholt von sämmtlichen Baronen des Val di Crati, das Cratithal herauf und wurde vom Volke mit unendlichem Jubel empfangen. Damals bestätigte der Kaiser alle alten Privilegien der Kirche. Dennoch war ihm Cosenza später durchaus feindlich gesinnt, und als sein aufrührerischer Sohn im Jahre 1242 nahe bei Cosenza in dem Silaflusse Saruto ertrank,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_081.jpg&oldid=- (Version vom 14.6.2023)