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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Jäger auf, der sich mit beiden Armen durch die dichten Zweige einen Weg in’s Freie bahnte.

Sein Erscheinen mochte dem Dschapei wieder Vertrauen einflößen. Es trippelte neugierig um ein paar kurze Schritte näher und kaute an den Gräsern weiter, die es noch im Maule hielt.

Das war auch eine vertrauenerweckende Erscheinung, die schlanke, nicht übergroße Gestalt dieses jungen Jägers, der kaum das fünfundzwanzigste Jahr überschritten haben konnte. Seine kurze Lederhose war nicht allzu schwarz mehr, und die graue Joppe zeigte sich an vielen Stellen mit geringer Kunst, doch mit großem Aufwande von schwarzem Zwirne geflickt und gestopft. Um die Schultern, daran die gelbliche Färbung der Joppe verrieth, daß dem Jäger so manch eine gewichtige Waidmannslast schon tüchtig warm gemacht hatte, hing ihm die spiegelblanke Büchse und das Fernrohr in einem plumpen, abgegriffenen Lederfutterale. Der schüchterne Flaum eines blonden Bartes verschleierte nur leicht den oberen Hals und das Kinn. Das wenig gebräunte Gesicht war von feinen, fast frauenhaften Zügen und wurde durch die drei lichten Pockennarben auf der rechten Wange durchaus nicht verunziert. Auf der Oberlippe des weichen Mundes deutete nur ein weißer Schimmer den werdenden Schnurrbart an, und unter hellglänzenden Wimpern hervor schauten zwei große, wasserblaue Augen mit sanftem Ernste in die Welt.

Während der Jäger einen langen, forschenden Blick über den Weg dahin gleiten ließ, schob er sich über dem leicht gekräuselten Blondhaare den von den Zweigen verrückten Hut zurecht, über dessen schmalen Rand ein Gemsbart nickte, dem Regen und Sonne schon den schwarzen Glanz in ein fahles Braun verwandelt hatten.

Nun kehrten seine Blicke zurück und blieben an dem Dschapei haften. Wie er sich dann dem Thiere mit lockenden Händen näherte, glaubte auch der Teckel zur Eröffnung einer Freundschaft in seiner Art ermächtigt zu sein und eilte mit fröhlichem Gebell und spielenden Sprüngen auf das Dschapei zu. Dieses aber, das bei seinen früheren Hundebekanntschaften gar schlimme Erfahrungen gemacht hatte, mißverstand die freundliche Absicht und suchte mit ängstlichem Schmählen das Weite. Mit verblüfften Augen schaute ihm der Teckel nach, und da es um die Wegecke verschwand, wandte er langsam, wie zu stummer Frage, den Kopf nach seinem Herrn empor.

Der jedoch achtete des Hundes nicht; er blickte dem tieferen Wege zu, über welchen Wofei stöhnend und ächzend den räderkreischenden Karren einherzog.

„Grüß’ Gott!“

In diesem Gruße fand Wofei hinlängliche Veranlassung, die Karrendeichsel sinken zu lassen und seine Schnapsflasche aus der Joppe zu ziehen.

Plötzlich raschelte das Laub im Dickicht – das Dschapei machte einen langen Seitensprung. (S. 86.)

„Geht’s nach der Griesalm – han?“

Wofei nickte nur und bohrte den Flaschenmund durch eine winzige Lücke des struppigen Bartes. Als er nach langem, glucksendem Zuge die dürre Hand wieder sinken ließ, frug der Jäger:

„Han – Du? Wer is denn das junge Deandl da vorn?“

„D’ Sennerin.“

„Jetzt das hätt’ ich mir selber denken können.“

„No – warum fragst nachher?“ knurrte Wofei, indeß er mit einem Uebermaß von Sorgsamkeit die Flasche verkorkte und wieder verwahrte. „Gelt – g’fallt’s Dir – gelt?“ stieß er dann unter einem blöden, wiehernden Gelächter hervor. „G’fallt mir auch – aber da is gar – aus und gar! Kennst an Stein? – weißt es – keiner bleibt, keiner will bleiben – alle ’nunter – alle ’nunter – alle, alle, alle –“

Wofei reckte den zitternden Kopf auf einem mageren Halse aus den Schultern und lauschte gegen die Erde.

„Jetzt is schön! Du hast ja in aller Früh schon z’viel!“

„Jesus, Mar’ und Josef!“ stöhnte Wofei; dann hob er mit einem jähen Ruck den Kopf und starrte mit rollenden Augen rings um sich her, bis seine wirren Blicke an dem Jäger haften blieben.

„Was hast denn, Alter?“

„Nix hab ich – nix – nix! Jesses, jesses, jesses – jesses na!“

In die wankenden Kniee sinkend, tastete Wofei nach der Karrendeichsel, schob ihre Handhabe hinter den Rücken, zog an und schleppte keuchend das ächzende Gefährte seines Weges dahin.

Kopfschüttelnd blickte ihm der Jäger nach, bis die vorspringenden Büsche den Alten verdeckten.

Nun winkte er den Teckel hinter seine Füße, verließ den Weg über das rechts liegende Gehänge, übersprang mit Hülfe des langen Bergstockes den rauschenden Wimbach und schritt durch das schmale Thal dem lichten Waldgelände zu, das sich in leichter Hebung hinan zieht bis zum Fuße der steil aufragenden Stanglahner-Wände.

Hier angelangt, ließ sich der Jäger im Schatten einer moosbehangenen Fichte nieder. Von hier aus konnte er das Thal übersehen bis zu jener Stelle, an welcher der Almenweg quer hinwegführt über das von den gewaltigen Schneewasserstürzen des Frühjahrs breit angeschwemmte Kiesgeröll.

Achtsam lehnte er die Büchse an den Stamm der Fichte, und während der Teckel an einer alten Wildpretfährte, die hart an der Wand über den Sand führte, hin- und widerwindete, richtete der Jäger sein Fernrohr nach jener offenen Wegstelle, welche die Almfahrenden mit jedem Augenblicke passiren mußten.

Nun kamen sie – zuerst der Bauer mit dem weißen Spitz, dann die Kühe, einzeln und paarweise, dann – ein leiser Ruf des Zornes klang von den Lippen des Jägers – er gewahrte durch das Glas, wie der Bursche da vorne den Arm der jungen Dirne faßte, wie er sein Gesicht ihrer Wange oder ihrem Ohre näherte, und wie das Mädchen mit beiden Fäusten den Frechen von ihrer Seite stieß.

„Wart’ nur – Hallunk’ Du,“ murmelte der Jäger, indeß er das Fernrohr sinken ließ, „wir Zwei kommen dengerst noch z’samm’!“ Und regungslos über das weite sonnige Thal hinweg starrend, sprach er flüsternd vor sich hin: „So a jungs Deandl! Und so bildsauber –“.

Da wurde plötzlich aus den Lüften über ihm ein hastig sausender Flügelschlag vernehmbar, und ein mächtiger Schatten huschte über den Moosgrund. Wohl hatte der junge Jäger mit Blitzesschnelle die Büchse an den Backen gerissen – und doch zu spät. Da sein Auge den königlichen Vogel ersah, war dieser lange schon aus dem Bereiche der Kugel und schwebte dahin durch die Länge des Thales, kleiner und kleiner werdend für die ihm folgenden Blicke, bis er nach einer Weile in weiter Ferne hinter dem wild zerrissenen Grate der Palfenhörner als ein winziger Punkt dem Auge des Jägers entschwand.

(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_087.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2022)