Seite:Die Gartenlaube (1884) 103.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Memoiren vorhanden sind, so wäre aus inneren wie äußeren Gründen folgendes als Endresultat der Memoiren-Streitfrage hiermit festzustellen:

1. Heinrich Heine hat wahrscheinlich seinem Bruder Gustav ein erstes Memoiren-Manuscript in den Jahren 1850 ober 1851 verpfändet, welches, so sagt Herr Gustav Heine, in seinem (rechtlich anfechtbaren) Besitz in Wien sich befindet und nie veröffentlicht werden soll.

2. Heinrich Heine hat bis an seinen im Februar 1856 erfolgten Tod an einem zweiten Memoirenwerk gearbeitet, demjenigen, welches jetzt in der „Gartenlaube“ erscheinen wird. – Zu den irrthümlichen Angaben über den Umfang dieses Manuscriptes ist Alfred Meißner, wie mir Herr Henri Julia versichert, einfach dadurch veranlaßt worden, daß Heinrich Heine das Manuscript in demselben Wandschrank aufbewahrt habe, in welchem alte, längst gedruckte Manuscripte früherer Werke lagen, und daß Meißner das Convolut von gleichfarbigen Papieren, auf welche Heine mit der Bezeichnung: „Meine Memoiren“ gedeutet, für ein und dasselbe Manuscript gehalten. Diese sehr glaubhafte Erklärung scheint mir den Widerspruch zwischen Alfred Meißner’s Angaben und dem mir wirklich vorliegenden Manuscript auf’s einfachste zu lösen.

Eine dritte Möglichkeit läßt der Wortlaut der Einleitungsepistel unserer Memoiren zu. Ohne der Veröffentlichung derselben vorgreifen zu wollen, darf ich schon jetzt, unter treuer Auslegung der Wortfassung Heine’s, sagen, daß er über seine ersten Memoiren meldet, er habe die eine Hälfte aus Familienrücksichten und religiösen Scrupeln vernichtet, die andere Hälfte werde er möglicher Weise auch noch dem Feuer überliefern, und gerade diese neubegonnenen Memoiren sollen die „schöne Nacktheit seiner Seele“ offenbaren.

Und während er sich, gleichfalls in der Einleitungsepistel, gegen jede Veröffentlichung von Papieren gegen seinen Willen sehr energisch ausspricht, sie als eine „Felonie“ brandmarkt, will er diese neuen Memoiren gerade von jenem allgemeinen Noli me tangere ausnehmen. – Da er überdies bezüglich der ersten Memoiren sehr deutlich von „Freunden“ spricht, in deren Hut er sie gegeben, und mit keinem Worte seines Bruders Gustav Erwähnung thut, so ergiebt sich als sehr beachtenswerte Möglichkeit Folgendes:

In keinem Falle hat Herr Gustav Heine „die“ Memoiren, wie er behauptet hat, sondern er hat nur ein größeres Fragment der ersten Memoiren, während das, was jetzt die „Gartenlaube“ veröffentlichen wird, Alles ist, was von den neuen Memoiren überhaupt je existirt hat. Ob Heinrich Heine jenes Autodafé, welches er dem übrig gebliebenen Theile der ersten Memoiren androht, wirklich vollzogen hat, ist eine offene Frage. Wenn ja, so besitzt Herr Gustav Heine vielleicht irgend welche schätzbaren Papiere, aber keine Memoiren. Herrn Gustav Heine’s Glaubwürdigkeit in geziemenden Ehren – aber Heinrich Heine wird sich in der feierlichen Eingangsstelle seiner Memoiren gewißlich keiner Unwahrheit schuldig gemacht haben. –

Hat aber Heinrich Heine jenes Fragment der ersten Memoiren nicht verbrannt, sondern seinem Bruder Gustav aus Geldnot verpfändet, so war Herr Gustav Heine moralisch schon längst verpflichtet, – über die juristische Seite der Frage erlaube ich als Nichtjurist mir kein Urtheil – das Pfandobject gegen Wiedererstattung des Pfanddarlehns an die rechtmäßige Universalerbin Heine’s, das ist Mathilde Heine, herauszugeben. Wollte Heinrich Heine aber nur das Manuscript vor unbefugter Veröffentlichung nach seinem Tode bewahren, so gab es andere Mittel, als es der Obhut seines Bruders Gustav anzuvertrauen, dem er ja, nach seinem eigenen Geständniß, nicht die Geheimnisse seiner Katze anvertraut hätte. Auch hat, wie eben erwähnt, Heinrich Heine nicht seinen Bruder, sondern Freunde mit der Hut seines Memoirenfragments betrauen wollen! Und nun mache man sich selbst klar, welche Wahrscheinlichkeit dafür existirt, daß die Memoiren sich in Herrn Gustav Heines Besitz befinden können!

Wenn sie aber dennoch in seinen Händen sind, – warum wendet er dann nicht das einfachste Mittel an, um alle Einreden mit einem Schlage aus der Welt zu schaffen? Warum zeigt er nicht einigen wenigen einwandfreien Zeugen die Memoiren, die er in Verwahrung hält?! Nicht um sie zu lesen, – ein flüchtiger Blick, die Prüfung während weniger Minuten würde genügen, und all das gehässige Gerede, welches jetzt auf Heine’s Familie wegen der Memoiren fällt und gewiß ihr mehr geschadet hat, als alle Anzüglichkeiten in den Memoiren selbst, die von der Familie Heine so sehr gefürchtet und verheimlicht werden, müßte sofort verstummen.

*  *  *

Das Werk, welches die „Gartenlaube“ veröffentlichen wird, umfaßt sonach nicht die Memoiren Henrich Heine’s, sondern nur: Memoiren Heinrich Heine’s, und zwar dasjenige Manuscript, welches der Dichter in den letzten zwei Jahren seines Lebens abgefaßt hat, nachdem er sich wahrscheinlich hatte überzeugen müssen, daß sein Herr Bruder das ihm lediglich als Unterpfand anvertraute Werk nicht wieder herausgeben wolle. Mit großer Sicherheit ist der Beginn der Abfassung unseres Manuscripts in den Anfang des Jahres 1854 zu setzen. Heine selbst fürchtete, daß kleinlicher Familiendünkel oder andere, nicht viel schönere Motive ihn durch die Vernichtung seiner Memoiren oder durch deren Verheimlichung nach dem Tode mundtodt machen würden. Wie berechtigt diese Furcht gewesen, zeigt Herrn Gustav Heine’s Verhalten. In diesem Sinne lese man die furchtbaren Verse in den „Lazarusgedichten“:

„Wenn ich sterbe wird die Zunge
Ausgeschnitten meiner Leiche,
Denn sie fürchten, redend käm’ ich
Wieder aus dem Schattenreiche!

Stumm verfaulen wird der Todte
In der Gruft, und nie verrathen
Werd’ ich die an mir verübten
Lächerlichen Frevelthaten!“

Diesem Zungenabschneiden nach dem Tode wollte der Lebende vorbeugen: so schrieb er zum zweiten Male seine Memoiren, unter den entsetzlichsten Schmerzen der ihn immer fester in ihre Pranken fassenden Todeskrankheit, aber mit derselben peinlichen Gewissenhaftigkeit des Stils, welche alle seine Prosaschriften auszeichnet. Ein Heroismus war es, – ich gebrauche Heine’s eigenes Wort – ein fast beendetes, seinem Besitz entrissenes Werk zum zweiten Male zu beginnen. Fertig gebracht haben die müde Hand und das halberblindete Auge sie nicht mehr; was in den folgenden Nummern erscheinen wird, ist ein Fragment geblieben.

Daß es sich in den von mir zu veröffentlichenden Memoiren wirklich um eine Neubearbeitung der Heine’schen Denkwürdigkeiten handelt, dafür zum Zeugniß stehe hier ein Stück aus einem Brief an Campe vom 7. März 1854[1]:

„Es ist wahrhaft betrübend, daß diese zerstückelnden Arbeiten mir zu einer Zeit auf den Hals kamen, wo ich mit meiner Memoirenschreibung so hübsch im Zuge war. Herr Trittau wird Ihnen gewiß die Mittheilung gemacht haben, daß ich mich mit Heroismus einer ganz neuen Abfassung meiner ‚Memoiren‘ unterziehe, und ich hoffe, daß dieses die Krone meiner Schriften sein wird. Aber Heroismus war es, statt zu flicken, gleich wieder Neues zu weben, und ich hoffe, wenn ich ohne Störung bleibe, schon in diesem Jahre eine große Portion fertig zu machen und unverzüglich zu publiciren. Da ich jetzt weiß, was ich nicht sagen darf, so schreibe ich mit großer Sicherheit, und Nichts hindert mich mehr, das Geschriebene schon bei Lebzeiten vom Stapel laufen zu lassen.“

Hiermit erledigt sich der Einwand, es möchte die Veröffentlichung dieser Memoiren etwa gegen Heine’s Absichten verstoßen. Die „Gartenlaube“ handelt durchaus in Heine’s Sinne, indem sie endlich den Schleier von dem lange vergrabenen Schatze hebt.

Obige Briefstelle ist in demselben Jahre geschrieben, in welchem Alfred Meißner „drei Bände Memoiren“ gesehen haben will! Bei der außerordentlichen Mühe, welche Heine das eigene Schreiben um jene Zeit machte – und seine Memoiren hat er durchweg eigenhändig geschrieben –, ist nicht anzunehmen, daß das Manuscript, welches die „Gartenlaube“ nunmehr abdrucken wird, jemals umfangreicher gewesen, als es mir jetzt vorliegt, – bis auf eine Lücke, welche am betreffenden Ort erklärt werden soll.

*  *  *

Die Leser, denen die „Gartenlaube“ die folgenden Memoiren zugänglich gemacht hat, habe ich schließlich zu bitten, sich keinen höher gespannten Erwartungen bezüglich des Umfangs wie des Inhalts hinzugeben, als die Ungunst der Umstände: der späte

  1. „Sämmtliche Werke.“ Band 22, S. 351.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_103.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2024)