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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Ich habe sie auch später nie so sehr geliebt, wie sie es verdient, und am ungerechtesten blieb ich gegen die französische Poesie, die mir von Jugend an fatal war.

Daran ist wohl zunächst der vermaledeite Abbé Daunoi Schuld, der im Lyzeum zu Düsseldorf die französische Sprache docirte und mich durchaus zwingen wollte französische Verse zu machen. Wenig fehlte, und er hätte mir nicht bloß die französische, sondern die Poesie überhaupt verleidet.

Der Abbé Daunoi, ein emigrirter Priester, war ein ältliches Männchen mit den beweglichsten Gesichtsmuskeln und mit einer braunen Perüque, die so oft er in Zorn gerieth eine sehr schiefe Stellung annahm.

Er hatte mehre französische Grammatiken sowie auch Chrestomatien, worin Auszüge deutscher und französischer Klassiker, zum Uebersetzen, für seine verschiedenen Klassen geschrieben; für die oberste veröffentlichte er auch eine Art oratoire und eine Art poëtique, zwey Büchlein, wovon das erstere Beredsamkeitsrezepte aus Quintilian enthielt, angewendet auf Beispiele von Predigten Fléchiers, Massillons, Bourdaloues und Bossuets, welche mich nicht allzu sehr langweilten. –

Aber gar das andre Buch, das die Definizionen von der Poesie, l'art de peindre par les images, den faden Abhub der alten Schule von Batteux, auch die französische Prosodie und überhaupt die ganze Metrik der Franzosen enthielt, welch ein schrecklicher Alp!

Ich kenne auch jetzt nichts abgeschmackteres als das metrische System der französischen Poesie, dieser art de peindre par les images, wie die Franzosen dieselbe definiren, welcher verkehrte Begriff vielleicht dazu beiträgt, daß sie immer in die malerische Paraphrase gerathen.

Ihre Metrik hat gewiß Prokrustes erfunden; sie ist eine wahre Zwangsjacke für Gedanken, die bei ihrer Zahmheit gewiß nicht einer solchen bedürfen. Daß die Schönheit eines Gedichtes in der Ueberwindung der metrischen Schwierigkeiten bestehe, ist ein lächerlicher Grundsatz, derselben närrischen Quelle entsprungen. Der französische Hexameter, dieses gereimte Rülpsen, ist mir wahrhaft ein Abscheu. Die Franzosen haben diese widrige Unnatur, die weit sündhafter als die Greuel von Sodom und Gomorrha, immer selbst gefühlt, und ihre guten Schauspieler sind darauf angewiesen, die Verse so saccadirt[1] zu sprechen, als wären sie Prosa – warum aber alsdann die überflüssige Mühe der Versifikazion?

So denk ich jetzt und so fühlt ich schon als Knabe, und man kann sich leicht vorstellen, daß es zwischen mir und der alten braunen Perüque zu offnen Feindseligkeiten kommen mußte, als ich ihm erklärte, wie es mir rein unmöglich sey französische Verse zu machen. Er sprach mir allen Sinn für Poesie ab, und nannte mich einen Barbaren des teutoburger Waldes.

Ich denke noch mit Entsetzen daran, daß ich aus der Chrestomatie des Professors die Anrede des Kaiphas an den Sanhedrin aus den Hexametern der Klopstockschen Messiade in französische Alexandriner übersetzen sollte! Es war ein Raffinement von Grausamkeit. Gott verzeih, ich verwünschte die Welt und die fremden Unterdrücker, die uns ihre Metrik aufbürden wollten, und ich war nahe dran ein Franzosenfresser zu werden.[WS 1]

Ich hätte für Frankreich sterben können, aber französische Verse machen – nimmermehr!

Durch den Rektor und meine Mutter wurde der Zwist beigelegt. Letztere war überhaupt nicht damit zufrieden, daß ich Verse machen lernte und seyen es auch nur französische. Sie hatte nemlich damals die größte Angst, daß ich ein Dichter werden möchte; das wäre das Schlimmste, sagte sie immer, was mir passiren könne.

Die Begriffe, die man damals mit dem Namen Dichter verknüpfte, waren nemlich nicht sehr ehrenhaft, und ein Poet war ein zerlumpter armer Teufel, der für ein paar Thaler ein Gelegenheitsgedicht verfertigt und am Ende im Hospital stirbt.

In uns selbst liegen die Sterne unseres Glücks.

Meine Mutter aber hatte große hochfliegende Dinge mit mir im Sinn, und alle ihre Erziehungspläne zielten darauf hin. Sie spielte die Hauptrolle in meiner Entwicklungsgeschichte, sie machte die Programme aller meiner Studien, und schon vor meiner Geburt begannen ihre Erziehungspläne. Ich folgte gehorsam ihren ausgesprochenen Wünschen, jedoch gestehe ich, daß sie Schuld war an der Unfruchtbarkeit meiner meisten Versuche und Bestrebungen in bürgerlichen Stellen, da dieselben niemals meinem Naturell entsprachen.

Zuerst war es die Pracht des Kaiserreichs, die meine Mutter blendete, und da die Tochter eines Eisenfabrikanten unserer Gegend, die mit meiner Mutter sehr befreundet war, eine Herzogin geworden[WS 2] und ihr gemeldet hatte, daß ihr Mann sehr viele Schlachten gewonnen und bald auch zum König avanziren würde, – ach da träumte meine Mutter für mich die goldensten Epauletten oder die brodirsten Ehrenchargen am Hofe des Kaisers, dessen Dienst sie mich ganz zu widmen beabsichtigte.

Deshalb mußte ich jetzt vorzugsweise diejenigen Studien treiben, die einer solchen Laufbahn förderlich, und obgleich im Lyceum schon hinlänglich für mathematische Wissenschaften gesorgt war, und ich bei dem liebenswürdigen Professor Brewer vollauf mit Geometrie, Statik, Hydrostatik, Hydraulik und so weiter gefüttert ward und in Logarithmen und Algebra schwamm, so mußte ich doch noch Privatunterricht in dergleichen Disziplinen nehmen, die mich in Stande setzen sollten, ein großer Strategetiker oder nöthigenfalls der Administrator von eroberten Provinzen zu werden.

Mit dem Fall des Kaiserreichs mußte auch meine Mutter der prachtvollen Laufbahn, die sie für mich geträumt, entsagen; die dahin zielenden Studien nahmen ein Ende und sonderbar! sie ließen auch keine Spur in meinem Geiste zurück, so sehr waren sie demselben fremd. Es war nur eine mechanische Errungenschaft, die ich von mir warf als unnützen Plunder.

Meine Mutter begann jetzt in anderer Richtung eine glänzende Zukunft für mich zu träumen.

Das Rothschildsche Haus, mit dessen Chef mein Vater vertraut war, hatte zu jener Zeit seinen fabelhaften Flor bereits begonnen; auch andere Fürsten der Bank und der Industrie hatten in unserer Nähe sich erhoben und meine Mutter behauptete, es habe jetzt die Stunde geschlagen, wo ein bedeutender Kopf im merkantilischen Fache das Ungeheurlichste erreichen und sich zum höchsten Gipfel der Macht emporschwingen könne. Sie beschloß daher jetzt, daß ich eine Geldmacht werden sollte, und jetzt mußte ich fremde Sprachen, besonders Englisch, Geographie, Buchhalten, kurz alle auf den Land- und Seehandel und Gewerbskunde bezügliche Wissenschaften studiren.

Um etwas vom Wechselgeschäft und von Kolonialwaaren kennen zu lernen, mußte ich später das Komptoir eines Banquiers meines Vaters und die Gewölbe eines großen Spezereyhändlers besuchen; erstere Besuche dauerten höchstens drei Wochen, letztere vier Wochen, doch ich lernte bei dieser Gelegenheit, wie man einen Wechsel ausstellt und wie Muskatnüsse aussehen.

Ein berühmter Kaufmann, bei welchem ich ein apprenti millionnaire[2] werden wollte, meinte, ich hätte kein Talent zum

  1. zerhackt; abgerissen.
  2. Millionärlehrling.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. [Die beiden Sätze im Manuskript:] Es war ein Raffinement von Grausamkeit, die alle Passionsqualen des Messias selbst übersteigt und die selbst dieser nicht ruhig erduldet hätte. Gott verzeih ich verwünschte Gott und die Welt und die fremden Unterdrücker, die uns ihre Metrik aufbürden wollten und ich war nahe dran ein Franzosenfresser zu werden.
  2. [Siehe dazu Die Gartenlaube (1884), S. 156:] Zur Erläuterung einer Stelle in „Heinrich Heine’s Memoiren über seine Jugendzeit“ (Nr. 7, Seite 115) wird uns aus Magdeburg geschrieben: „Es wird gewiß die Leser der ‚Gartenlaube‘ interessiren, wenn ich die Bemerkung mache, daß ‚die Tochter eines Eisenfabrikanten unserer Gegend, die eine Herzogin geworden war‘, von der Heine in seinen von Ihnen jetzt veröffentlichten Memoiren spricht, die Gemahlin des Marschalls Soult, Herzogs von Dalmatien, eine geborene Berg aus Solingen (bei Düsseldorf) war.“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_115.jpg&oldid=- (Version vom 4.3.2024)