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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Papa, ist Dir nicht wohl?“ fragte Else.

„O ja, Kind! Nur das Athmen, der Husten – jetzt ist es schon viel besser, Du magst die Fenster wieder schließen; ich kann keine Aufregung mehr vertragen, und der Tag heute –“ Er reichte ihr die Hand hin, und einen Augenblick hielt er mit festem Drucke die schmale Hand in der seinen.

„Zieh’ nur die Gardine auch zusammen, die Sonne scheint so stechend herein, Else; und dann – vielleicht macht es Dir eine Freude; das Kästchen dort hat Deine Mutter immer auf dem Nähtische gehabt, und da hat sie alle die kleinen Jäckchen und Mützchen drin liegen, die sie für Dich nähte. Ich hab’s immer aufgehoben, Else – nimm es mit. Siehst Du, es war so nett, wenn sie davor saß; es war doch eine Lichtzeit in meinem Leben – das kommt Alles wieder an solchem Tage! Einmal, da war sie ausgegangen, um Weihnacht war es, und da sagte sie nachher, als sie wieder am Nähtische saß, und ihre braunen Augen sahen mich so lustig an: ‚Hegebach, ich habe so ein prächtiges Schaukelpferdchen gesehen beim Sattler Lehmann –‘ Ja, Else, wenn ich Dir hätt’ ein Schaukelpferd kaufen dürfen, dann wäre Alles anders!“

Das Mädchen senkte den Kopf. Immer das alte Lied!

„Und dann, Kind“ – er schob ihr das Mahagonikästchen hin mit dem einfachen Neusilberschilde oben und dem Namenszuge der todten Mutter, „dann – – ich habe die Klage gegen den Bennewitzer zurückgenommen.“

„Papa!“ Es klang wie ein Schreckensruf.

„Ja, Kind. Soll ich denn nicht? Du hast mir ja oft gesagt, ich hätte kein Recht dazu.“

„Ja, Papa, verzeihe mir –“ sie sprach es fast hoffnungslos.

„Und nun will er sich versöhnen mit mir, Else; es sollte eine Ueberraschung für Dich sein, Kind, sie wollen mich heute mit dem Wagen hinaus holen lassen, wir sollen dort zusammen essen, bei der Ratenow nämlich; aber ich, ich weiß nicht, Else, ob es geht; ich kann Aufregungen nicht mehr vertragen und, siehst Du, es ist so eine alte Antipathie, es ist gar nicht so leicht; ich weiß wohl, daß ich es Deinetwegen thun muß, aber –“

„Papa! Um Gotteswillen nicht meinetwegen!“ bat das Mädchen, erbleicht bis in die Lippen. „Wer sagte Dir das?“

„Die Ratenow, Kind, und sie hat Recht, ja sie hat Recht!“

Else sprang vom Stuhl empor, sie versuchte zu sprechen.

„Sei nicht böse, Else, daß ich es verrathen habe, ich bin doch auch wieder so froh. Siehst Du, Kind, es ist ein schreckliches Gefühl für einen Vater, der sein Kind zurücklassen soll in der Welt, ohne Alles und Jedes.“

„Lieber, lieber Papa!“ Ihr blasses Gesicht bog sich zu ihm herunter, „ich fürchte mich nicht, gewiß nicht, und Du lebst noch und Du wirst noch lange leben, und ich darf bei Dir bleiben, Papa. Ich kam mit dieser Bitte hierher, Papa.“

„Mach’ mich nicht weich, Else! Mich hat das Alles so mitgenommen und die Siethmann ist so unfreundlich und so laut, ich –“

Er stöhnte plötzlich auf und griff nach der Brust. „Diese dummen Beängstigungen – es ist ja gut, daß Alles so kommt – für Dich, Else! Du weißt gar nicht, wie es einsam und kalt und fürchterlich im Leben sein kann, sonst wärst Du nicht so muthig. Dir hängt der Himmel noch voll lauter Rosen.“

Sie schwieg wie erstarrt; sie wußte nur, daß sie nun Keinen mehr hatte, der sie verstand. In diesem Augenblicke stürzte die Siethmann in höchster Aufregung herein. Die Gnädige von der Burg und der Bennewitzer Herr kämen die Treppe herauf!

Also doch! Der alte Mann in seinem Stuhl wechselte jäh die Farbe. „Geh in’s Nebenzimmer, Else, Du brauchst nicht zu sehen, wie –“

Sie ging durch die schmale Tapetenthür in das Zimmer der Mutter und stand plötzlich der Frau von Ratenow gegenüber.

„Wir sind hierher gekommen, Else – zu Hause haben jetzt die Wände Ohren, die Lili ist überall und nirgends, und sie braucht nicht Alles zu hören. Ich weiß nicht, wie dieser Irrwisch dazu kommt, um Hegebach so herumzuscherwenzeln, es ist ja wohl Mode jetzt, den Männern die Cour zu machen.“ Und sie setzte sich in ihrem schweren schwarzseidenen Mantel auf den Stuhl am Fenster und löste sich die Hutbänder.

„Gott bewahre, ich glaube, die Siethmann hat eingeheizt!“ fügte sie dann hinzu.

Ja, es war eine Luft zum Ersticken hier, das meinte auch das blasse, mühsam athmende Mädchen dort. Von nebenan klang die sonore Stimme des Bennewitzer so versöhnend, so mild, und die alte Dame hier spielte so gelassen auf der Fensterbank mit der großen wohlgepflegten Hand. Es lag ein Ausdruck hoher Befriedigung auf ihrem Gesichte.

„Guck’, Else,“ sagte sie, „in dieser Sopha-Ecke lagst Du vor neunzehn Jahren und schriest ganz erbärmlich. Ja, wenn man Alles vorher wissen könnte, ich hätte Dich nicht so schweren Herzens in die Arme genommen.“

„Was meinst Du, Tante?“

„Ja, meine Deern, es ist wunderlich in der Welt, der liebe Gott hat so seine Wege im Zickzack, es kommt Alles wieder in’s Gleiche. Was ich meine? Ei, geh doch, Else, Du bist kein Mädchen von gewöhnlichem Schlage, die bis zuletzt zimperlich thut; ich weiß es, daß diese Deine Frage eine unberechtigte ist, weil Du Dir die Antwort im Stillen ganz haarklein selbst geben kannst. Und wenn Du dies mit Deinem klaren Menschenverstand thust, so mußt Du sagen: ‚Gott sei Dank, daß es soweit ist! Die alte Tante Ratenow war zwar immer recht gut mit mir, aber es ist doch noch etwas Anderes, sein eigner Herr zu sein, es war doch eben immer nur ein Sich Schicken und Fügen in allerhand Launen, ein Nothbehelf; und mein alter Vater, der soll nun auch noch ein paar frohe sorgenfreie Tage haben!‘ Nicht wahr, Du altes Gör?“

„Tante, ich bitte Dich!“ stöhnte das junge Mädchen.

„Und sieh mal, Kind, er ist so gut, er ist so kindergut, er ist wirklich ein reizender Mensch! Ich will Dir gestehen, Else, wie ich es hörte – Du warst noch in der Pension damals – daß er seine Söhne verloren, da dachte ich so – heirathen wird er wieder, und dann dachte ich, das wäre doch ein Fingerzeig vom lieben Gott, wenn Du ihm gefallen solltest, Else. Ich hab’s dann so kommen sehen, so nach und nach, mit herzlicher Freude, und – na, jetzt ist er drinnen, Else, und fragt bei Deinem Vater an. Komm mal her, altes Gör, so ganz nahe heran; meinst Du, ich hätte den Trödel mit Deinem hübschen kleinen Lieutenant nicht bemerkt? I, Else, da wär’ ich ja nicht auch jung gewesen! Lieutenants, Kindchen, die sind recht nett zum Tanzen für Euch Mädels – zum Heirathen aber gehört mehr als ein paar blitzende Augen und blanke Epaulettes! Else! Wie kann man nur so verstarrt aussehen! Else – aber Else!“

Das Mädchen war niedergesunken, und hob die gefalteten Hände zu ihr empor.

„Tante, Tante, hab’ Erbarmen!“ schluchzte sie mit thränenlosen Augen, „ich will Alles thun, ich will – ich will – ich kann nicht!“

„Grundgütiger Himmel!“ Sie faßte das Mädchen um die Taille und hob sie empor. „Else, nimm Dich zusammen! Es steht mehr auf dem Spiele als eine Mädchenlaune; hüte Dich vor: ‚Ich kann nicht!‘ mein Kind. Es giebt ernste, schwer ernste Dinge in der Welt, die man nicht ansehen soll durch ein gefärbtes Glas; eines langen, langen Lebens Wohlfahrt schließen sie ein. Es soll kein Sprung sein in ein Rosenbeet, es soll ein ernster Schritt sein, gethan mit ehrlichem Willen, mit redlichem Herzen. – Mir, mein Kind, mir wäre es gut ergangen, hätte ich nicht einen so vernünftigen Vater gehabt. Meinst Du, ich hätte mir gerad dell Friedrich Ratenow ausgesucht? Nein, Else. Ueber beide Ohren war ich verliebt in einen ganz, ganz armen Schlucker von Candidaten, der meine Brüder zu dressiren hatte. Ich war ein keckes Ding und sagte es meinem Vater, als der Ratenow um mich angehalten. Jesus, Kind, da hättest Du sehen sollen! Ehe ich mich umblickte, war der Candidat aus dem Hause, und ich hatte Ratenow’s Ring am Finger. Ich hab’s nie bereut. Und was willst Du? Jeder Prinzessin geht das so! Nein, nein, Else, jetzt bist Du vernünftig!“

Sie strich über den blonden Kopf, der so still an ihrer Brust lag. „Nicht wahr, Du bist vernünftig?“

„Nicht jetzt, Tante! Gieb mir Frist, ich bitte Dich!“ flehte das zitternde Mädchen. „Ich muß erst ruhiger werden – Du mußt mir dies Eine zugestehen, Du mußt!“

Sie sprach das Letzte förmlich leidenschaftlich. Die alte Dame sah es ein, sie konnte das erregte Mädchen nicht weiter bedrängen.

„Ich will Dir etwas sagen, Kind, mach’ einen Spaziergang, es ist noch Zeit vor Tische.“ Sie ging hinüber und holte des Mädchens Hütchen und Mantel. „So, mein Deern, und Gott befohlen!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_142.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2020)