Seite:Die Gartenlaube (1884) 170.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Die alte Baslerin hatte freilich wenig zu erzählen. Ihr war ein Tag vergangen wie der andere, beim Klappern der Stricknadeln, in der Sehnsucht nach ihrem Kinde und in der immer regen Sorge um sein Wohl.

Desto mehr wußte Nannei zu berichten – vor allem die ganze, lange Leidensgeschichte ihres Dschapei. So oft sie dabei auf Festei zu sprechen kam, dessen Namen sie, wie häufig er auch von ihren Lippen klang, immer wieder mit einem neuen lobenden Eigenschaftsworte zu schmücken wußte, nahm das Gesicht der alten Baslerin einen gar gespannten und forschenden Ausdruck an. Wurde Nannei in der Erzählung von ihrer Mutter mit einer Frage unterbrochen, so betraf diese Frage gewiß nicht das Dschapei, sondern stets nur seinen Retter – und so kam es ganz von selbst, daß sich alle Hin- und Widerrede schließlich nur um Festei drehte, daß Nannei alles bis in’s Kleinste berichtete, was sie von ihm und seinem Leben wußte.

„Ja, Mutterle – ich sag’ Dir’s – schau – das war halt doch a Glück, daß ich selbigsmal den Festei ’troffen hab’,“ betheuerte Nannei, während sie das inzwischen zubereitete Mittagsmahl zur Seite ihrer Mutter auf das Bänkchen setzte.

„A Glück?“ that die Baslerin ganz erstaunt. „Ja warum denn a Glück?“

„No – wann der Festei net g’wesen är’, hätt’ ja mein Dschapei, mein arms, ganz elend z’Grund geh’n müssen! G’wiß wahr. Mutterle – das is a so a guter, lieber Mensch – der Festei –“

„Soso – soso –“ murmelte die Mutter kopfnickend vor sich hin.

„Ja – schau – am Abend kommt er wieder. Und g’rad schad’ is, daß Du net bleiben kannst, damit ihn triffst. G’wiß wahr – der thät’ Dir selber g’fallen – der Festei – ja!“

„So? Meinst? Ja, ja – kann sein! Ja – hm –“ Mit gefurchter Stirn und unruhig blinzelnden Augen schaute die alte Baslerin eine Weile auf ihre im Schooß gefalteten Hände nieder, dann fuhr sie plötzlich auf, so polternd und zornig, daß Nannei ordentlich erschrak: „Jetzt red’ net allweil! Da – da setz’ Dich her – und iß!“ Als sie aber gewahrte, wie verblüfft das Mädchen ob dieser heftigen Worte dareinschaute, fügte sie in milderem Tone bei: „Wird ja alles ganz kalt!“

Da setzte sich Nannei lächelnd auf die Bank und leistete dieser Aufforderung wacker Folge.

Bald aber ließ sie den Löffel wieder ruhen, begann des Neuen von Festei zu plaudern, erzählte von dem glücklichen Adlerfange, von dem noch glücklicheren Verkaufe der beiden Vögel und sprang vom Essen hinweg in die Kammer, um der Mutter die kostbare Hutzier zu zeigen, mit der ihr Festei eine so „fürchtige Freud’“ gemacht hatte.

Die alte Baslerin hörte das Alles schweigend an – und immer sorglicher und sorglicher gestaltete sich ihre Miene, welcher Umstand sie aber durchaus nicht hinderte, die Pfanne bis auf das letzte Bröselchen zu leeren.

„Komm’, Nannei – setzen wir uns ’naus auf’s Bankl! Ich muß a bißl Luft schnappen!“ sagte sie, mit dem Rücken der Hand die Lippen wischend und der Thür schon entgegenschreitend.

Es war so schön da draußen. Rings um die Hütte lag der warme Sonnenschein, während das vorspringende Dach auf die Bank seinen behaglich kühlen Schatten warf. Da saßen nun die Beiden. Nannei wies der Mutter die beliebtesten Weideplätze ihrer Pfleglinge und pries die Schönheit ihres Almgebietes.

„Und schau, Mutterle,“ sagte sie schließlich, „da droben, da steht ’s Jaagerhäusl. Da haust jetzt der Festei – ja.“

„Soso – der Festei – soso!“ raunte die Alte und lockte mit schnippenden Fingern das Dschapei zu sich heran, das sich soeben aus dem Schatten eines mächtigen Steinblocks erhob. Mit schläfrigen Augen kam das Thier einhergetrippelt und legte den Köpf in den Schooß der alten Frau. „Und – ja – was ich fragen will –“ sagte diese, dem Dschapei mit rührigen Fingern die beiden Ohren krauend, „gelt – er is die Zeit her wohl recht oft zu Dir in d’Hütten ’kommen – der Festei?“

„No freilich! Weißt – er hat ja an jedem Morgen und Abend nachschauen müssen, wie’s mei’m Dschapei geht!“

„Soso! Ja, ja! Aber jetzt – jetzt is ja Dein Lamperl g’sund?“

„Mein – das macht nix! Er kommt deswegen doch! Und g’wiß – ich bin recht froh drum. Weißt – man hat doch an Ansprach’. Und mit’m Festei is gar a guts Reden.“

„No – Du mußt’s ja wissen. Aber – sag’ – von ’was redts denn nachher allweil, wann er so da is am Abend?“

„Du mein Gott – da geht’s uns gar net aus! Er verzählt von sei’m Dienst und von seiner Jagd – und ich von meiner Almerei – und von Dir, Mutterle, mein, von Dir reden wir so viel! Ja – und jetzt hat er sein’ Cithern heroben, da spielt er fast an jedem Abend. Weißt – gar arg gut spielen thut er net, aber man hört’s doch gern – weißt – so viel G’müth hat er halt in sei’m G’spiel.“

„No ja – Cithern – mein – das is ja recht a schöns Instrament – aber –“ und mit einem ängstlich forschenden Blicke hing die alte Baslerin am Gesichte ihres Kindes, „sag’ – wie redt er denn so von Dir – han? Gelt, er sagt Dir ’leicht recht oft, daß Du a gar a liebs und a saubers Deandl bist – und - und – daß D’ihm recht g’fallen thust – han?“

„Ah na!“ betheuerte Nannei allen Ernstes. „So ’was hat er noch nie net g’sagt. An so ’was denkt er gar net – der Festei! Ah na – der net! Aber weißt – da hat mich Einer ang’sprochen – selbigsmal, wie ich auf’trieben hab’. Das is Dir so a kecker Mensch g’wesen! Ja – der!“ Und in wortreichem Geplauder erzählte Nannei ihrer Mutter von den beiden Begegnungen mit Korbini.

„So an unverschämter Kerl – so an unverschämter!“ brauste die alte Baslerin auf. „No also – schau – und da soll ich mich net sorgen, daß Du so allein daheroben bist – ohne Schutz und Hülf’ –“

„Aber Mutterle – is ja der Festei da!“

Dieser Einwurf brachte die alte Frau ganz aus der Fassung. Heftige Worte schienen ihr auf der Zunge zu liegen – und ein paar Mal auch öffnete sie die Lippen wie zu ungestümer Rede – dann aber schüttelte sie seufzend den grauen Kopf und rückte näher zu dem Mädchen heran.

„Schau, Nannei – Du hast Deine achtzehn Jahr’, bist also doch schon im Alter, daß man von so ’was zu Dir reden kann –“ sagte sie mit einer zwar milden, doch eindringlichen Stimme. „Da hast es jetzt schon g’sehen – an dem von Saalfelden – wie so a Bursch diemal is zu ei’m Deandl. Und so wie der is, so sind die Meisten heutigen Tags. Aber ich weiß – Du bist a bravs, a richtigs Deandl – so ’was verschlagt net bei Dir! Und das sind auch noch lang net die G’fahrlichsten, die gleich so grob dreingreifen. Aber schau – so Einer – weißt – der allweil so gut und heilig daherredt, als ob er keiner Fliegen an der Wand ’was anhaben könnt’, und der –“

„Du, Mutterle,“ warf Nannei mit stockenden Worten ein, „Du – Du meinst doch net den Festei?“

„Ah na –“ hastete die alte Baslerin, während ein dunkles Roth ihre faltigen Wangen überzog. „An den denk’ ich ja gar net! Der – mein – der! Der will Dir nix! Aber weißt – ich mein’ halt – wenn so Einer – so Einer, wie ich g’rad g’sagt hab’ – wenn der halt z’samm’trifft mit so ei’m jungen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_170.jpg&oldid=- (Version vom 2.11.2022)