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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

gekommen war. Ihr Hauptresultat war bekanntlich die Entdeckung des „Königreiches Congo“.

Heute, wo die Congofrage so lebhaft die Gemüther beschäftigt, wo an die Erschließung dieses großen Gebietes so vielfache Hoffnungen geknüpft werden, können wir auch annähernd den vierhundertjährigen Gedenktag der Entdeckung dieses Landes feiern.

In einem ausführlichen Bericht dieser Reise heißt es: „Nachdem Diogo Cão das Capo de Lopo Gonsalvez und desgleichen das Capo de Catherina, das letzte Land, das zu den Zeiten des Königs Don Alfonso entdeckt worden, umschifft, gelangte er an einen ansehnlichen Fluß, an dessen Mündung er auf der Südseite die erste steinerne Säule[1] aufrichtete, als wodurch er von der ganzen Küste, die er hinter sich gelassen, im Namen des Königs Besitz nahm. Wegen dieser Säule, die vom heiligen Georg genannt wurde, weil der König diesen Heiligen in besonderer Verehrung hielt, wurde dieser Fluß lange Zeit do Padrão genannt; aber jetzt heißt man ihn Congo, weil er ein Königreich, welches diesen Namen führt, und welches Diogo Cão auf dieser Reise entdeckte, durchströmt, obwohl der Fluß bei den Eingeborenen eigentlich Zaïre heißt (nach Mittheilungen unseres geschätzten Mitarbeiters, des Herrn Dr. Pechuel-Loesche lautet der richtige Name in der Congosprache „Nsadi“, „großes Wasser“). Derselbe ist durch seine Wassermasse bemerklicher und ansehnlicher als durch seinen Namen, denn zur Zeit, wo in jenen Landen Winter ist, fällt er mit solcher Macht in das Meer, daß man noch 20 Meilen von der Küste seine süßen Wasser findet.“

Die Besitzergreifung von Congo war nicht nur nominell, sondern hatte sogar die scheinbare Einführung der christlichen Religion in jenen Ländern zur Folge. Die Eingeborenen, von welchen der Bericht meldet, daß sie alle „sehr schwarz mit krausem Haar“ waren, wurden zu Tausenden auf einmal getauft. Es gab wohl Hunderte von christlichen Kirchen am Congo, aber sie sind sämmtlich verschwunden, nur hier und dort findet man noch heute spärliche Ruinen der ehemaligen Gotteshäuser.

Nach dieser denkwürdigen Reise wohnte unser Martin Behaim auf der Insel Fayal, und hier soll er Columbus die „Nachricht von Fichtenstämmen, Leichnamen und selbst Canots, die mit Häuten bedeckt und mit Menschen von einem gänzlich unbekannten Stamme besetzt gewesen und von Winden und Meeresströmungen an die Küsten von Fayal, Graciosa und Flores verschlagen worden“, mitgetheilt haben. Man hat wohl versucht, Behaim als den eigentlichen Entdecker Amerikas, als denjenigen, der Columbus auf den richtigen Weg gewiesen, hinzustellen. Auch hat man ihn lange Zeit für den Entdecker der Magellan’schen Straße gehalten, aber neuere Forschungen haben das Irrthümliche dieser Behauptungen dargethan. Trotzdem bleibt ihm der Ruf eines ausgezeichneten Geographen erhalten, hat ihn doch der Geschichtsschreiber Herrera „Cosmografo de gran opinion“ genannt. Er starb in Lissabon im Jahre 1506 oder 1507.

Der Erdglobus, den er während seines Aufenthalts in Nürnberg im Jahre 1492 dargestellt, ist ein äußerst werthvolles Denkmal für die Geschichte der geographischen Anschauungen jener so tief bewegten Periode der großen Entdeckungen. Er ist aus Pappe gefertigt, die über eine hölzerne Kugel gespannt ist, und sein Durchmesser mißt 54 Centimeter. Ueber die Pappe ist noch eine Gypskruste gelegt und diese wieder mit Pergament überzogen. Das Meer ist auf demselben ultramarinblau, die Länder braun und grün, die schneebedeckten Gipfel der Berge weiß, die Schrift mit Gold und Silber, sowie mit rothen, weißen und gelben Farben aufgetragen. Der ganze „Erdapffel“ ist mit zahlreichen Erläuterungen beschrieben, die auf unserer Abbildung[2] im Auszuge mitgetheilt werden.

Für das strebsame und gewerbfleißige Nürnberg ward dieser „Erdapffel“ noch von einer besondern Bedeutung, denn nach diesem Muster wurden später ähnliche Globen angefertigt, und lange blühte in Behaim’s Vaterstadt die Zunft der „Globenmacher“ und „Kartenzeichner“.St. v. J.     

  1. Die Schiffscapitaine der Portugiesen errichteten anfangs in den neu entdeckten Ländern hölzerne Kreuze als Zeichen der Besitzergreifung jener Gebiete im Namen ihrer Herrscher. König Johann II. befahl, anstatt dieser Kreuze steinerne Säulen von der Höhe von zwei Mannslängen mit dem königlichen Wappenschild und entsprechenden Inschriften zu errichten. Die erste dieser Säulen wurde von Diogo Cão vor gerade 400 Jahren am Congo aufgestellt. – Eine ausführliche Beschreibung dieser Reise, sowie des Behaim’schen Globus findet der Leser in dem allgemein verständlich geschriebenen und interessanten Werke: „J. Löwenberg’s Geschichte der geographischen Entdeckungsreisen“. Otto Spamer, Leipzig. 1881.
  2. Eine treue Copie der ersten Tafel aus dem Werke „Historische Nachricht von den Nürnbergischen Mathematicis und Künstlern“. Von Johann Gabriel Doppelmayr. Nürnberg. In Verlegung Peter Conrad Monaths. 1730.

Heinrich Heine’s Memoiren über seine Jugendzeit.

Herausgegeben von Eduard Engel.

Nachdruck verboten. Uebersetzungsrecht vorbehalten. 

IV.

Wie dem auch sey, dieser Großoheim und die Familientraditionen über ihn haben die Einbildungskraft des Knaben außerordentlich beschäftigt. Alles, was man von ihm erzählte, machte einen unauslöschlichen Eindruck auf mein junges Gemüth, und ich versenkte mich so tief in seine Irrfahrten und Schicksale, meine jugendliche Phantasie beschäftigte sich Tag und Nacht so mit ihm, daß ich mich ganz in ihn hineinlebte und daß mich manchmal am hellen, lichten Tage ein unheimliches Gefühl ergriff und es mir vorkam, als sey ich selbst mein seliger Großoheim und als lebte ich nur eine Fortsetzung des Lebens jenes längst Verstorbenen!

In der Nacht spiegelte sich dasselbe retrospektiv zurück in meine Träume. Mein Leben glich damals einem großen Journal, wo die obere Abtheilung die Gegenwart, den Tag mit seinen Tagesberichten und Tagesdebatten enthielt, während in der unteren Abtheilung die poetische Vergangenheit in fortlaufenden Nachtträumen wie eine Reihenfolge von Romanfeuilletons sich phantastisch kund gab.

In diesen Träumen identifizirte ich mich gänzlich mit meinem Großohm und mit Grauen fühlte ich zugleich, daß ich ein anderer war und einer anderen Zeit angehörte. Da gab es Örtlichkeiten, die ich nie vorher gesehen, da gab es Verhältnisse und Zustände, wovon ich früher keine Ahnung hatte, und doch wandelte ich dort mit sicherm Fuß und sicherm Verhalten.

Da begegneten mir Menschen in brennend bunten, sonderbaren, wildfremden Trachten und mit abentheuerlich wüsten Physiognomien, die mir alte Liebe oder verjährten Haß einflößten, und denen ich dennoch wie alten Bekannten die Hände drückte – ihre fremdklingende, nie gehörte Sprache verstand ich, zu meiner Verwunderung antwortete ich ihnen sogar in derselben Sprache, während ich mit einer Heftigkeit gestikulirte, die mir nie eigen war, und während ich sogar Dinge sagte, wovon ich früher keine Ahnung hatte und die mit meiner gewöhnlichen Denkweise widerwärtig kontrastirten.

Dieser wunderliche Zustand des Traumlebens dauerte wohl ein Jahr, und obgleich ich wieder ganz zur Einheit des Selbstbewußtseyns kam, blieben doch geheime Spuren in meiner Seele. Manche Idiosynkrasie[1], manche fatale Sympathie und Antipathie, die vielleicht im Widerspruch mit meinem eigentlichen Naturell, ja sogar manche Handlungen, die im Widerspruch mit meiner Denkweise sind, erkläre ich mir als Nachwirkungen aus jener Traumzeit, wo ich mein eigener Großoheim war.

Sie hat mein späteres Dichten und Trachten bestimmt. Wenn


  1. Sinnes- oder Empfindungseigenheit.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_179.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2024)