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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Jetzt kommt er – es is ja ’s Blut schon da – ’s Blut – gelt – ich hab’s ja g’sagt – ich find’ ihn schon – ich kenn’ ja ’s Platzl – ja, ja – wo bist denn? han? – Bist denn gar so weit drunten – so viel Steiner – so viel – und so viel Blut –“

Länger konnte Festei den grausen Anblick nicht ertragen. Er beugte sich über den Steinwall, riß den Alten am Arme in die Höhe und rief ihm in’s Ohr:

„Geh – hör’ doch auf! Was machst denn da? Zerreißt Dir ja Deine ganzen Händ’!“

„Laß mich aus – Jesus Maria – laß mich aus,“ kreischte Wofei, „jetzt muß er ja kommen –“

Rasch legte Festei Büchse und Bergstock bei Seite, nahm auch die zweite Hand zu Hülfe, und so zog er den Alten mit einem kräftigen Ruck aus der Grube.

Wofei zeigte wohl den Willen, sich zu wehren, doch fehlte ihm die Kraft – und wie er nun, von Festei’s Arm gestützt, an der Felswand lehnte, mit starren Augen, mit lautlos sich bewegenden Lippen, mit zerrissenem Gewande und blutüberströmten Knieen, bebend am ganzen Leibe, da überkam den Jäger ein tiefes Erbarmen mit diesem Menschen, in dessen schaudervollem Gebahren er nichts anderes zu sehen glaubte, als den aberwitzigen Ausfluß eines gestörten Geistes.

Er hob den Hut des Alten von der Erde und drückte ihn über Wofei’s Stirne.

„Komm’ – geh weiter, Alter,“ sagte er mit gutherzig mahnenden Worten, „komm’ – jetzt führ’ ich Dich –“

„Führen?“ unterbrach ihn Wofei mit ängstlichem Gestammel, „Führen willst mich – soso – so einer bist Du – weißt, Dich kenn’ ich schon – ich weiß schon, wohin – ah na - nur net so g’schwind – drum sag’ ich Dir’s – laß mich aus – laß mich aus!“

Von Wort zu Wort hatte sich Wofei’s Stimme zu wildem, drohendem Geschrei gesteigert und mit dem Aufgebot all seiner Kraft versuchte er den Arm aus Festei’s Händen los zu winden.

„Du dummer Kerl – was hast denn?“ rief der Jäger und faßte den Alten nur so fester, um ihn vor einem Sturz in die Grube zu bewahren.

„Laß mich aus – ich sag’ Dir’s im Guten –“ heulte der Irre. „Weißt – Dich kenn’ ich schon – gelt – einführen[1] willst mich – aber weißt – da bin ich auch noch da – lieber stirb ich – als so a Schand’ – im Guten sag’ ich’s – laß mich aus – oder – oder –“

Da fühlte Festei an seiner rechten Schulter den brennenden Schmerz eines Bisses – und unter einem leisen Wehruf ließ er die Arme des Alten fahren, der mit johlendem Gelächter über das rasselnde Geröll dem Thal entgegenstürmte.

Mit der Hand die schmerzende Schulter reibend, schaute der Jäger kopfschüttelnd dem Flüchtigen nach, welcher, den Hut in den Nacken pressend, immer wieder im Laufe unter kreischenden Worten das Antlitz wandte:

„Hast es jetzt g’sehen – Du – ich bin net der – der sich fangen laßt – weißt – mit mir is net zum spaßen – ja – frag’ nur den Andern – er liegt ja droben bei Dir – hahaha! – da hat er g’schaut – wie ’s ihn ’nunter g’rissen hat – über d’ Wand – haha! – der schlagt mich nimmer – der net – so geh – so fang’ mich doch – was macht’s denn – kann’s ja keiner sagen – d’ Steiner sind’s ja gewesen – d’ Steiner.“

Wohl war der Alte den Augen des Jägers schon entschwunden, doch immer noch klang der Hall seiner schrillenden Worte vom Thal einher, und unheimlich widertönte sein wildes Gelächter zwischen den ragenden Felsen, bis es endlich in der tieferen Ferne verstummte.

„Der is verruckt! Der is ganz verruckt! Der arme Kerl!“ murmelte Festei mit bedauerlicher Miene vor sich hin; dann griff er nach Bergstock und Büchse und stieg, dem Fuße der Felswand folgend, langsam der Höhe zu.

Das war ein mühsamer Weg, den er gehen mußte, bis er den Hundstodgipfel erreichte – und doch, als er da oben sich niedersetzte auf den gar säuberlich behauenen Landesgrenzstein, da fühlte er kaum die Stirn ein wenig warm. Festei war gewohnt, solche Wege zu gehen; er ging sie ja täglich – und der eben zurückgelegte war ihm dazu noch recht kurz geworden unter den steten Gedanken an den alten Wofei.

Nach kurzer Rast erhob er sich wieder und wanderte sicheren, furchtlosen Fußes über den schmalen, zu beiden Seiten steil abfallenden Grat dahin.

Als er den Sattel erreichte, der die Rothleitenschneid von dem Hundstod scheidet, wandte er sich niederwärts und umkreiste, auf dem brüchigen Felsenhange tiefer und tiefer steigend, die Hundstodgrube in der Richtung des Rothleitengrabens.

Plötzlich verhielt er den Schritt – aus dem Griesthal herauf war der Hall und Widerhall eines Schusses an sein Ohr gedrungen.

Das wird der Jagdgehülfe vom Wimbachschloß gewesen sein, der wird wohl einen Rehbock geschossen haben! dachte sich Festei – und wie er es dachte, hörte er zu seinen Häupten in der Wand die Steine rappeln. Er schaute zur Höhe und sah auf einer vorspringenden Platte eine Gemsgaise stehen, die trotz der Sommerhaare ordentlich grau war vor lauter Alter.

Festei riß die Büchse zur Wange, im Auffahren den Hahn des Kugellaufes spannend, und zielte lange – es galt ja nun, einen tödtlichen Schuß zu thun, da ihm bei einem nur verwundenden Schusse der Hund gemangelt hätte, den er heute im Jägerhäuschen zurückgelassen hatte, um dem übermüdeten Thiere einmal einen ordentlichen Rasttag zu gönnen.

Nun krachte die Büchse – grollend rollte das Echo in dem weiten Felsenkessel hin und wider – das Thier da oben schlug die Vorderläufe in die Luft, stürzte und kollerte leblos vor die Füße des Jägers.

Obgleich nun Festei an dem glücklichen Schusse seine rechte Freude hatte, so wär’ es ihm doch wieder lieber gewesen, wenn ihm der Zufall „die alte Großmutter da“ zu anderer Zeit in den Weg geführt hätte. Da er seine Jagdbeute wegen der heißen Jahreszeit noch heute hinunterliefern mußte in das Wimbachschloß, so sah er sich durch diesen Umstand der Freude beraubt, den Abend in Nannei’s Gesellschaft zu verbringen. Und er hätte sich gerade heute so sehr darnach gesehnt, die Stunden der Dämmerzeit an der Seite des geliebten Mädchens zu verplaudern!

Jetzt war die Sache freilich nicht mehr zu ändern – und so lud er das Thier, nachdem er es aufgebrochen, seufzend hinter die Schultern.

Den Umweg jedoch über Nannei’s Hütte wollte sich Festei nicht gereuen lassen.

  1. In das Gefängniß bringen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_187.jpg&oldid=- (Version vom 2.11.2022)