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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Wimper, aber ihre großen dunklen Augen wandten sich zu mir, eine Welt voll Weh lag in diesem Blicke. Und diese Augen über dem schmerzverzogenen Munde, diese fragenden vorwurfsvollen – Else hatte sie, als ich heute eintrat bei ihr. Und ich – ich kann nicht anders, ich muß es aussprechen, es ist mehr darin, als die Trauer um den verlorenen Vater.“

„Hegebach!“ klang es im Tone des tiefsten Vorwurfes. Es war ein unglaublich unheimliches Gefühl, das die stattliche Frau bei seinen Worten überkam. Sie schüttelte den Kopf und sah ihr vis-à-vis wie prüfend an, aber sie wußte nicht, was sie darauf erwidern sollte. Sie nahm in ihrer Verlegenheit die Kaffeekanne und schenkte ihre Tasse voll bis zum Rande; sie stand auf, präsentirte ihrem Gaste eine Cigarre, und dabei fragte sie: „Wo kann sie sein, die Else? – Wollen wir einen Gang machen durch den Garten?“

Sie wanderten in den Wegen umher, aber Else erblickten sie nicht. Frieda und Lili kamen mit den Kindern vom Spazierenfahren zurück; sie sahen es über die Mauer hinweg, und sie sahen auch Moritz fortreiten; er grüßte zu ihnen hinüber und rief, daß er nach den Saatäckern wolle.

„Ich begreife nicht, wo Else sein mag; sie ist ein wunderliches Mädchen.“ Und „Else! Else!“ scholl die kräftige Frauenstimme über den Garten hin.

Es blieb still.

„Ich bitte, liebste Frau von Ratenow, lassen Sie meine Braut; sie wird nicht aufgelegt sein zum Sprechen, ich kann es ihr nachfühlen.“

Sie gingen schweigend weiter. Hier und da blieb er stehen und sah auf die knospenden Sträucher und nannte die botanischen Namen. Die erregte Frau an seiner Seite antwortete nicht darauf.

„Ich möchte mich heute frühzeitig verabschieden.“ Der Bennewitzer war stehen geblieben und zog die Uhr. „Ich bitte, grüßen Sie Else herzlich von mir.“

„Ich werde sie suchen lassen, lieber Hegebach.“

„Nein, ich muß sehr bitten – vielleicht weint sie sich aus; stören Sie sie nicht, gnädige Frau, ich komme morgen wieder, nie soll man eine Stimmung erzwingen wollen.“

Er beauftragte den Gärtnerburschen, der vorüberging, das Anspannen seines Wagens zu bestellen, rauchte ruhig weiter und fragte nach ein paar weitab liegenden Sachen.

„Apropos, lieber Hegebach!“ unterbrach die alte Dame, „was sagten Sie doch, wie heißt der Goldschmied in Berlin, bei dem Sie die Verlobungsringe bestellten?“

„Haller und Compagnie,“ erwiderte er, „sie werden vor acht Tagen nicht fertig sein.“

„Natürlich nicht,“ erklärte sie, „weil in solchen Geschäften sich Alles häuft. Der Thomas hier am Markte hätte sie auch geliefert, und ebenso gut und rascher. Aber darin sind Sie wie alle Anderen, Hegebach.“

Er lächelte, aber er antwortete nicht.

„Ich glaube, der Wagen fuhr schon vor,“ sagte er dann, „gestatten Sie, daß ich mich empfehle; auf Wiedersehen morgen, gnädige Frau, und grüßen Sie meine kleine traurige Else.“

Er küßte ihr die Hand, stieg elastisch die Stufen zur Terrasse empor und verschwand im Innern des Hauses. Nach einer Weile rollte sein Wagen eilig über den gepflasterten Hof.

„Natürlich! Er hat es übel genommen,“ sagte Frau von Ratenow, die noch immer am Fuße der Verandatreppe stand; „es ist ja aber auch ein unverantwortliches Benehmen von dem Kinde. Herr Gott, was hat man für Aerger mit dem jungen Volk – sie sollte meines Vaters Tochter gewesen sein!“ Und sie wandte wieder um und ging mit sehr erregten Mienen und großen Schritten in den Gartenwegen umher. Gut – heute wollte sie nichts mehr sagen, aber morgen – es war ja doch unerhört unschicklich, so davon zu laufen, und es war sogar gefährlich.

„Und was sollte zum Beispiel das heißen von dem Bennewitzer, diese Geschichte von den Augen? Daß er in seinem Alter dem Kinde noch in die Augen gafft wie ein Fähnrich, das hätte er auch just nicht nöthig; es stand ihm verzweifelt schlecht, dieses Weichherzige, Schmachtende, er war früher nicht so.“ Und sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn und stand nach ein paar Minuten plötzlich wie ein düsteres Gespenst im Milchkeller, so daß die Mamsell fast in die Kniee sank vor Schreck; sie hatte überall die Gnädige vermuthet, nur nicht hier just, sie trank doch da oben mit den Brautleuten Kaffee?

„Na, fallen Sie lieber gar in Ohnmacht,“ sagte sie mit ihrer lauten Stimme, „’s ist Mode jetzt.“ Und sie ging von Schüssel zu Schüssel und guckte in alle Butterfässer. Sie war ganz schlechter Laune geworden, die Gnädige. Sie konnte nicht einmal stricken, wie sonst; sie sah immer das blasse Gesicht des Mädchens und hörte den Bennewitzer von ihren Augen faseln. Es ging auch nicht anders, sie mußte es ihr sagen, in aller Güte. Aber sagen mußte sie es!

Sie erhob sich schon, um hinaufzugehen, da kam Moritz und setzte sich so recht breit in den Stuhl seines seligen Vaters, ihrem Platze gegenüber, und er hatte allerhand Angelegenheiten, sie mußten erst abgesprochen werden. Seine Frage: „Ist Hegebach schon fort?“ beantwortete sie mit einem kurzen: „Wie Du siehst!“ und er sprach dann eilig weiter von Esparsette und anderen Futterkräutern – sie konnte ihm doch nicht sagen, wie sich das Mädchen benommen.

„Wo ist Else?“ fragte er wieder dazwischen.

„Vermuthlich oben. Aber wie kommst Du denn dazu, die Sultana von dem jungen Roßarzte behandeln zu lassen? Ich sah ihn da vorhin aus dem Stalle treten.“

„Ich wollte meinen Liebling nicht länger warten lassen, und der Kreisthierarzt ist krank.“

„So, so!“ sagte sie, aber sie dachte schon an etwas ganz Anderes. Und dann kamen die jungen Damen mit den Kindern; Lili war so lustig und die Kleinen waren so drollig; es war ein Lachen und Kichern und Jubeln in dem dämmerigen Zimmer. Als sie endlich „Gute Nacht!“ sagten, die Kleinen, war es schon spät, und auf den Dächern des Hofes lag blendend weiß der Mondenschein.

„Speisest Du mit drüben?“ fragte Moritz, „und kommt Else herunter?“

„Ich danke,“ erwiderte sie, „die Sophie mag für uns Beide hier serviren, die Else ist doch noch nicht in der Verfassung – weißt Du.“

„Dann gute Nacht, Mutter!“

Die alte Dame erhob sich eilig von ihrem Sitze, sie mußte mit Else reden. Rasch stieg sie die Treppen empor und klinkte die Thür zu des Mädchens Zimmer auf; es war ganz erfüllt mit blendend weißem Lichte, die Fenster standen weit geöffnet, und mit den Mondesstrahlen hatte sich der süße Veilchenduft hinein geschmeichelt. Es war still innen, nichts regte sich.

„Else?“ fragte sie leise und sah prüfend im Zimmer umher. Da lag das Mädchen auf dem Bette; die alte Dame schritt hinüber und beugte sich über sie. Wahrhaftig, sie schlief, sie schlief! Und in der Hand hielt sie einen kleinen verwelkten Veilchenstrauß fest an die Brust gedrückt. Am Fußende des Bettes aber stand geöffnet die alte Truhe, und halb herausgezogen hing da ein zerknittertes weißes Kleid mit rosa Schleifen.

Sie kannte das Kleid, und sie kannte den Veilchenstrauß, und sie sah das Mädchen vor sich, wie sie es an jenem Abende gesehen mit den seligen glücklichen Kinderaugen. Regungslos stand sie, es war ihr plötzlich wunderbar zu Muthe, der alten Dame; so wie sie es seit lange, lange nicht mehr gekannt; – machte es der Veilchenduft und die Nachtigall, die draußen sang in langgezogenen süßen Tönen? Wie auf Elfenschuhen schlich sie hinaus und den Corridor hinunter, und dann stand sie in ihrem finsteren Zimmer und hatte die Hand an die Stirn gelegt, eine lange Weile.

„Unsinn!“ sagte sie endlich leise und ging zu dem Tischchen, wo die Schwefelhölzer standen. Und „Unsinn!“ wiederholte sie noch einmal laut, und, risch! sprühte eine helle Flamme auf unter ihren Fingern. „Morgen früh sage ich ihr es aber, und das ordentlich!“




In aller Morgenfrühe war ein Regen gefallen und trübe Wolken verhüllten die aufgehende Sonne, aber grün war es darnach geworden, und wie grün!

Im Seitengebäude waren die Mägde schon wach, die Knechte des Hofes begannen zu futtern, im Herrenhause aber herrschte noch Todtenstille; nur den Corridor entlang kam ein leiser schwebender Schritt und die Treppen ging er hinunter; durch den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_190.jpg&oldid=- (Version vom 17.11.2020)