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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

dieser Bedrängniß fand mein Vater ein beschwichtigendes Auskunftsmittel. Er opferte nur die Form, das schwarze Säckchen, den Beutel; die langen Haarlocken jedoch selbst trug er seitdem wie ein breitgeflochtenes Chignon mit kleinen Kämmchen auf dem Haupte befestigt. Diese Haarflechte war bey der Weichheit der Haare und wegen des Puders fast gar nicht bemerkbar, und so war mein Vater doch im Grunde kein Abtrünniger des alten Haarbeutelthums, und er hatte nur, wie so mancher Krypto-Orthodoxe dem grausamen Zeitgeiste sich äußerlich gefügt.

Die rothe Uniform, worin mein Vater auf dem erwähnten Portrait abkonterfeyt ist, deutet auf hannöversche Dienstverhältnisse. Mein Vater trug sie etwa in seinem achtzehnten Jahr, als er sich im Gefolge des Prinzen Ernst von Cumberland befand zu Anfang der französischen Revolution und den Feldzug in Flandern und Brabant mitmachte, ich glaube in der Eigenschaft eines Proviantmeisters oder Kommissarius, oder wie es die Franzosen nennen: eines officier de bouche; die Preußen nennen es einen „Mehlwurm“.

Das eigentliche Amt des blutjungen Menschen war aber das eines Günstlings des Prinzen, eines Brummels[1] au petit pied und ohne gesteifte Cravatte, und er theilte auch am Ende das Schicksal solcher Spielzeuge der Fürstengunst. Mein Vater blieb zwar zeitlebens fest überzeugt, daß der Prinz, welcher später König von Hanover ward, ihn nie vergessen habe, doch wußte er sich nicht zu erklären, warum der Prinz niemals nach ihm schickte, niemals sich nach ihm erkundigen ließ, da er doch nicht wissen konnte, ob sein ehemaliger Günstling in Verhältnissen lebte, wo er etwa seiner vielleicht bedürftig seyn möchte.

Aus jener Feldzugsperiode stammen manche bedenkliche Liebhabereien meines Vaters, die ihm meine Mutter nur allmählig abgewöhnen konnte. Z. B. er ließ sich gern zu hohem Spiel verleiten, beschützte die dramatische Kunst oder vielmehr ihre Priesterinnen, und gar Pferde und Hunde waren seine Passion. Bey seiner Ankunft in Düsseldorf, wo er sich aus Liebe für meine Mutter als Kaufmann etablirte, hatte er zwölf der schönsten Gäule mitgebracht. Er entäußerte sich aber derselben auf ausdrücklichen Wunsche seiner jungen Gattin, die ihm vorstellte, daß dieses vierfüßige Capital zu viel Hafer fresse und gar nichts eintrage.

Schwerer ward es meiner Mutter, auch den Stallmeister zu entfernen, einen vierschrötigen Flegel, der beständig mit irgend einem aufgegabelten Lump im Stalle lag und Karten spielte. Er ging endlich von selbst in Begleitung einer goldenen Repetiruhr meines Vaters und einiger anderer Kleinodien von Werth.

Nachdem meine Mutter den Taugenichts los war, gab sie auch den Jagdhunden meines Vaters ihre Entlassung, mit Ausnahme eines einzigen, welcher Joly hieß, aber erzhäßlich war. Er fand Gnade in ihren Augen, weil er eben gar nichts von einem Jagdhund an sich hatte und ein bürgerlich treuer und tugendhafter Haushund werden konnte. Er bewohnte im leeren Stalle die alte Kalesche meines Vaters, und wenn dieser hier mit ihm zusammentraf, warfen sie sich wechselseitig bedeutende Blicke zu. Ja, Joly, seufzte dann mein Vater, und Joly wedelte wehmüthig mit dem Schwanze.

Ich glaube der Hund war ein Heuchler, und einst in übler Laune, als sein Liebling über einen Fußtritt allzu jämmerlich wimmerte, gestand mein Vater, daß die Kanaille sich verstellte. Am Ende ward Joly sehr räudig und da er eine wandelnde Kaserne von Flöhen geworden, mußte er ersäuft werden, was mein Vater ohne Einspruch geschehen ließ. – Die Menschen sakrifiziren ihre vierfüßigen Günstlinge mit derselben Indifferenz, wie die Fürsten die zweyfüßigen.

Aus der Feldlagerperiode meines Vaters stammte auch wohl seine grenzenlose Vorliebe für den Soldatenstand oder vielmehr für das Soldatenspiel, die Lust an jenem lustigen, müßigen Leben, wo Goldflitter und Scharlachlappen die innere Leere verhüllen und die berauschte Eitelkeit sich als Muth gebehrden kann.

In seiner junkerlichen Umgebung gab es weder militärischen Ernst noch wahre Ruhmsucht; von Heroismus konnte gar nicht die Rede sein. Als die Hauptsache erschien ihm die Wachtparade, das klirrende Wehrgehenke, die straffanliegende Uniform, so kleidsam für schöne Männer.

Wie glücklich war daher mein Vater als zu Düsseldorf die Bürgergarden errichtet wurden und er als Offizir derselben die schöne dunkelblaue mit himmelblauen Sammetaufschlägen versehene Uniform tragen und an der Spitze seiner Colonnen unserem Hause vorbeydefiliren konnte. Vor meiner Mutter, welche erröthend am Fenster stand, salutirte er dann mit allerliebster Courtoisie; der Federbusch auf seinem dreyeckigen Hute flatterte da so stolz und im Sonnenlicht blitzten freudig die Epauletten.

Noch glücklicher war mein Vater in jener Zeit, wenn die Reihe an ihn kam, als kommandirender Offizier die Hauptwache zu beziehen und für die Sicherheit der Stadt zu sorgen. An solchen Tagen floß auf der Hauptwache eitel Rüdesheimer und Aßmannshäuser von den vortrefflichsten Jahrgängen, alles auf Rechnung des kommandirenden Offiziers, dessen Freygebigkeit seine Bürgergardisten, seine Creti und Pleti, nicht genug zu rühmen wußten.

Auch genoß mein Vater unter ihnen eine Popularität, die gewiß so groß war, wie die Begeisterung, womit die alte Garde den Kaiser Napoleon umjubelte. Dieser freylich verstand seine Leute in anderer Weise zu berauschen. Den Garden meines Vaters fehlte es nicht an einer gewissen Tapferkeit, zumal wo es galt, eine Batterie von Weinflaschen, deren Schlünde vom größten Caliber, zu erstürmen. Aber ihr Heldenmuth war doch von einer anderen Sorte als die, welche wir bey der alten Kaisergarde fanden. Letztere starb und übergab sich nicht, während die Gardisten meines Vaters immer am Leben blieben und sich oft übergaben.

Was die Sicherheit der Stadt Düsseldorf betrifft, so mag es sehr bedenklich damit ausgesehen haben in den Nächten, wo mein Vater auf der Hauptwache kommandirte. Er trug zwar Sorge, Patrouillen auszuschicken, die singend und klirrend in verschiedenen Richtungen die Stadt durchstreiften. Es geschah einst, daß zwey solcher Patrouillen sich begegneten und in der Dunkelheit die Einen die Andern als Trunkenbolde und Ruhestörer arretiren wollten. Zum Glück sind meine Landsleute ein harmlos fröhliches Völkchen, sie sind im Rausche gutmüthig, „ils ont le vin bon“ und es geschah ihnen kein Malheur; sie übergaben sich wechselseitig.

Eine grenzenlose Lebenslust war ein Hauptzug im Charakter meines Vaters, er war genußsüchtig, frohsinnig, rosenlaunig. In seinem Gemüthe war beständig Kirmeß, und wenn auch manchmal die Tanzmusik nicht sehr rauschend, so wurden doch immer die Violinen gestimmt. Immer himmelblaue Heiterkeit und Fanfaren des Leichtsinns. Eine Sorglosigkeit, die des vorigen Tages vergaß und nie an den kommenden Morgen denken wollte.

Dieses Naturell stand im wunderlichsten Widerspruch mit der Gravität, die über sein strengruhiges Antlitz verbreitet war und sich in der Haltung und jeder Bewegung des Körpers kundgab. Wer ihn nicht kannte und zum ersten mahle diese ernsthafte, gepuderte Gestalt und diese wichtige Miene sah, hätte

  1. Brummel ist der Name eines Modelöwen zur Zeit des Prinzregenten von England, des nachmaligen Königs Georg IV.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_195.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2024)