Seite:Die Gartenlaube (1884) 205.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Sie hatten die Höhe erreicht und schritten der Hütte zu, unter deren Thür Nannei stand, als hätte sie die Beiden erwartet.

Ja, den Iäger hatte sie erwartet – seit Stunden schon – und mit Schmerzen. Er brachte ja Nachricht von Festei.

Stillen, harrenden Blickes schritt sie dem Kommenden langsam entgegen.

„Gut geht’s, Deandl – gut,“ rief ihr derselbe von Weitem schon entgegen. „Er laßt Dich recht schön grüßen – ja – a ganze Menge Sachen hat er mir auftragen – aber – weißt – das is net so g’schwind g’sagt. Jetzt muß ich z’erst ’nauf in’s Jaagerhäusl. Ich sieh’ Dich nachher schon noch, eh’ daß gehst.“

Er nickte einen Gruß und folgte weiter dem Steige. Verwundert sah ihm das Mädchen nach; sie begriff seine letzten Worte nicht. Gehen? Wer ging?

„Jetzt weiß ich net – “ sagte Wabei nun, nachdem sie eine Weile kopfschüttelnd Nannei’s Gesicht betrachtet hatte, „jetzt weiß ich net – bist Du’s – oder bist Du’s net – d’Nannei?“

„Ja, ich bin’s schon.“

„Schau – wann mir g’rad so am Weg begegnet wärst, g’wiß wahr, ich hätt’ Dich nimmer derkennt. Hast allweil so a frisch G’sichtl g’habt – und jetzt bist so blaß und schmal im G’sicht – und so a traurig’s G’schau machst daher – j…a!“

„Wär’ auch kein Wunder!“ seufzte Nannei und blickte mit feuchten Augen dem Thale zu. Dann wieder hob sie den Kopf. „Und Du – gelt – Du bist d’Nadler–Wabei von Unterstein? Han? Was willst denn bei mir heroben?“

„No – jetzt weißt – j…a – da setzen wir uns zuerst schon a bißl nieder – geh – komm’!“ Sie schritt der Holzbank zu und machte sich’s darauf bequem.

Nannei lehnte sich unter die Thür.

„Weißt – gestern is Dein Almbauer zu mir ’kommen,“ erzählte Wabei, „und da hab’ ich ihm zugesagt, daß ich an Deiner Statt daheroben aushelfen will, solange halt d’Almzeit noch dauert. Kannst nachher gleich gehen, wann D’magst, und –“

„Ja – warum denn?“ frug Nannei verwundert. „Is ’leicht der Almbauer nimmer z’frieden mit mir? Und ich mein’ doch –“

„Ah na! Davon is gar kein Rede net. Aber weißt, Dein’ Mutter hat gestern zu ihm g’schickt – es geht halt nimmer allein – weil’s gar kein’ Menschen net hat – j…a – weißt – sie hat’s allweil g’schoben, weil’s dengerst noch gemeint hat, die Sach’ könnt’ sich von selber wieder machen – j…a – und ängstigen hat’s Dich auch net mögen – weißt –“

„Aber Wabei – ich bitt’ Dich nur g’rad,“ so stammelte Nannei in Furcht und Sorge mit zitternden Lippen, „schau – so sag’ doch – was is denn – was is denn? Es wird doch um Gotteswillen mein Mutterl net verkrankt sein?“

„Verkrankt? Ah na! Weißt – a bißl verkühlt hat sie sich halt, selbigsmal, wie’s bei Dir heroben war – drunten am See bei’m Heimfahren – j…a – und da liegt’s halt jetzt! Aber – da brauchst jetzt gar net zu derschrecken. Weißt – die Sach’ is ja net so g’fahrlich. D’Leut’ sagen freilich, daß – daß – und der Dokter weiß auch nix Bessers – aber schau – weißt – mußt halt denken, daß jeder Mensch amal sterben muß – Du, und ich, und a jeds – amal – j…a!“

Eiue Weile noch schaute Nannei mit starren Augen auf den Mund der Sprechenden, als könnte sie den Sinn dieser Worte nicht fassen, dann aber brach es aus ihr hervor, nicht wie Weinen und Schluchzen – es war wie das stockende Röcheln eines Erstickenden.

„Geh, Deandl, geh – thu jetzt doch net gar a so!“ tröstete Wabei, während sie mit beiden Händen Nannei vor sich her in die Hütte schob. „Schau – mußt Dich dengerst a bißl fassen! So ’was kommt über an Jeden! Da schau mich an – mir sind zwei Mütter g’storben, a richtige und a Stiefmutter – und ich hab’s doch verwunden. Drum sei g’scheid! Geh – rühr’ Dich a bißl! Pack Deine Sachen z’samm. Gegen Abend kommt Einer ’rauf, der mein Zeugl[1] bringt, und der kann nachher morgen ’s Deinige mit ’nunter nehmen. Jetzt is drei vorbei – bis um viere kannst am Weg sein, da bist nachher bis siebne drunt’ in Bartlmä und um neune bist daheim – ’leicht – j…a!“

Nannei hatte keine Thräne mehr; ihre Augen waren heiß und trocken. Lautlos ging sie in Kammer und Stube hin und wieder, um in den Korb zu legen, was ihr eigen war.

Wabei kramte inzwischen alle Neuigkeiten des ganzen Berchtesgadnerthales aus, wobei sie allen verfänglicheren Nachrichten den klugen Beisatz gab: „so sagen d’Leut’,“ oder „so heißt’s, aber ich glaub’s net!“

Nannei achtete dieses Geschwätzes nicht; nur einmal horchte sie auf, als Wabei vom alten Wofei erzählte:

„J…a, ah – Du – das is an andere G’schicht’ mit dem! Den haben vor a Wochen a drei die Funtenseer Schafhüter am kleinen Hirsch droben g’funden; ’s ganze G’wand hat er abg’rissen g’habt – und g’rad verschunden war er und umundum blutig – und halb derhungert! No – da is er halt nachher ’nuntergeschafft worden – j…a – mein – und jetzt is er ganz verruckt und überg’schnappt – was sich der für Sachen einbildt, g’rad grausen möcht’s Ei’m dran! Und die ganzen Nächt’ schreit er, als ob er am Spieß stecken thät. J…a – morgen, da wird er jetzt nachher forttranspadiert – weißt – in a Narrenhaus!“ –

Nannei war wegbereit. Sie ging dem Rauhenkopfe zu und suchte ihr Dschapei, das sie mit hinunternehmen wollte.

Als sie in Begleitung desselben wieder in die Hütte zurückkehrte, fand sie den Jäger in der Stube. Der erzählte ihr nun, was Festei ihm aufgetragen habe: es waren Grüße – Grüße – und wieder Grüße, vermischt mit Bedenken und Sorgen um Nannei’s Wohl.

„Gelt – wann wieder zu ihm kommst –“ sagte das Mädchen, kaum eines klaren Wortes mächtig, „so richt’ ihm halt aus – daß ich schon zu unserem Herrgott beten will – damit – weißt – und gelt – sagst es ihm – von mei’m Mutterl – gelt!“ –

Nun sie dahin schritt, kamen ihr doch die Thränen in die Augen. Zwischen niederen Büschen sah sie die Scheckin stehen, die ihr mit gestrecktem Kopfe entgegenbrüllte. Sie trat auf das Thier zu und schlang ihre Arme um seinen Hals:

„O mein – Scheckin, Du gute Du – gelt – b’hüt Dich Gott und – und sag’s auch zu die andern – ja – ja – b’hüt Dich Gott! – Komm, Dschapei – komm – jetzt müssen wir uns tummeln – weißt – ’s Mutterl – o du mein lieber Herrgott, lieber Herrgott, lieber Herrgott – schau –“

Sie fing zu laufen an – und lief, bis ihr der Athem ausging. Da mußte sie eine Weile stehen bleiben – es war auch das Dschapei um eine gute Strecke zurückgeblieben.

Wieder folgte sie, bald laufend, bald erhitzt und müde dahinschreitend, dem Steige. Manchmal wandte sie das Gesicht und schaute der Almhütte zu – da schoß ihr dann Alles durch den Kopf, was sie da oben erlebt hatte – all das Liebe – all das Entsetzliche! Und nun kam das über sie, das!

„Lieb’s Herrgottle, was hab’ ich Dir denn ’than, daß Du –“

Nun fing sie laut zu weinen an – und lief – und lief –

Als sie die Unterlahneralm erreichte, vermißte sie plötzlich ihr Dschapei.

Sie rief und rief – doch erfolglos.

Eine Strecke rannte sie zurück am Steige und rief und weinte, und weinte und rief – doch erfolglos.

Die quälende Sorge um die kranke Mutter verbot ihr ein weiteres Zurückgehen und weiteres Suchen – Nannei hoffte, daß ihr Dschapei wohl den Weg nach der Alm wieder finden würde – und da war es ja dann auch gut aufgehoben.

Sie selbst kam jetzt nur um so rascher vom Flecke.

Und dennoch langte sie drunten am See viel später an, als sie gehofft hatte.

Da war vor Stunden schon der letzte Nachen abgefahren. Doch stellte ihr der Förster, da sie ihm unter Thränen von der traurigen Ursache ihrer Heimkehr sprach, einen seiner eigenen Kähne zur Verfügung und gab ihr auch seinen Fischer mit.

  1. Eigenthum, Kleider und Geschirr.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_205.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2022)