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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

dann die Nadel zu finden, wenn der Ort einmal gefunden ist, wo sie verborgen wurde, ist gar nicht schwer.

Es fehlt nicht an Beispielen für einen so stark ausgeprägten Geruchssinn beim Menschen. Eckartshausen berichtet in seiner „Geschichte der Magie“ von einem Manne, der an den Stühlen erkannte, welcher seiner Bekannten auf denselben gesessen, und die Personen nennen konnte, die einen bestimmten Gegenstand berührt hatten, was er durch seinen Geruchssinn entdeckte. Der Dichter Goeking hatte in seiner Jugend das Vermögen, das Begegnen mit einem Bekannten zu ahnen, der gleich darauf erschien, was er ganz auf Rechnung seines feinen Geruchssinnes setzte. Eckermann erzählt, daß er, von einem Spaziergange heimkehrend, etwa zehn Minuten von Weimar den geistigen Eindruck hatte, daß ihm an der nächsten Ecke eine Person begegnen würde, die er seit Jahr und Tag nicht gesehen und an die er sehr lange nicht gedacht. „Es beunruhigte mich zu denken, daß sie mir begegnen könnte, und mein Erstaunen war daher nicht gering, als sie mir bald darauf wirklich entgegentrat.“ Goethe erwiderte auf diese Erzählung: „Das ist sehr merkwürdig und mehr als Zufall. Wir tappen alle in Wundern und Geheimnissen.“ Auf ganz natürliche Art dürfte sich aber die Sache mit dem feinen Geruchssinn Eckermann’s erklären lassen, ohne daß man uns deshalb beschuldigen dürfte, in die Seelenriecherei des Professor Jaeger zu verfallen. Thatsächlich würde jeder Schweißhund in einem Saale einen verborgenen Gegenstand mit Leichtigkeit auffinden; ja, selbst bei gewöhnlichen Stubenhunden ist das Auffinden verlorener Gegenstände keine ungewöhnliche Erscheinung. Die Art nun, wie Cumberland sucht, seine gebückte Haltung, das Niederbeugen seines Kopfes, sein Schnuppern mit der Nase, spricht für die geäußerte Anschauung.

Was nun das Experiment anbelangt, zu errathen, an welche Person Jemand denke, so giebt es in den Angaben Professor Weinlechner’s dafür auch eine Erklärung. Ein Zucken der Hand, ein lebhaftes Schlagen des Pulses können das verrathen. Uebrigens will ich nicht leugnen, daß manche ernste Denker eine gewisse Divinationsgabe bei manchen Menschen zugegeben, ja eine solche bei sich selbst beobachtet haben. Ich will hier unter Anderem auf Schopenhauer hinweisen, welcher („Parerga und Paralipomena“, I.) schreibt:

„Unmittelbare Mittheilung der Gedanken ist so gewiß, daß ich dem, der ein wichtiges und gefährliches Geheimniß zu bewahren hat, anrathe, mit dem, der es nicht wissen darf, über die ganze Angelegenheit nie zu sprechen, weil er während dessen das wahre Sachverhältniß unvermeidlich in Gedanken haben müßte, wodurch dem Anderen plötzlich ein Licht aufgehen kann, indem es eine Mittheilung giebt, vor der weder Verschwiegenheit noch Verstellung schützt.“

Und weiter:

„Meine schöne Wirthin in Mailand, vor langen Jahren, fragte mich in einem sehr animirten Gespräche an der Abendtafel, welches die drei Nummern wären, die sie als Terne in der Lotterie belegt hätte? Ohne mich zu besinnen, nannte ich die erste und die zweite richtig, dann aber, durch ihren Jubel stutzig geworden, gleichsam aufgeweckt und nun reflectirend, die dritte falsch.“

Ferner schreibt Zschokke („Selbstschau“, I.):

„Es begegnete mir zuweilen beim ersten Zusammentreffen mit einer unbekannten Person, wenn ich schweigend ihre Rede anhörte, daß ihr bisheriges Leben mit vielen kleinen Einzelheiten (Kleidung, Bewegung der handelnden Personen, Zimmer, Geräthe etc.) – oft nur diese oder jene Scene – traumhaft und doch klar an mir vorüberging, ganz unwillkürlich, in wenigen Minuten. Während dem ist mir gewöhnlich, als wäre ich in das Bild des fremden Lebens so völlig versunken, daß ich zuletzt weder das Gesicht des Unbekannten deutlich mehr sehe, noch seine Stimme verständlich höre. Es wandelte mich öfter ein Grauen an, wenn mir die betreffenden Personen dann die Richtigkeit jener Einzelheiten, die ich angab, staunend bestätigten.“

Zschokke erzählt des Weiteren, daß er einem jungen Mann auf diese Weise einmal vorhalten konnte, daß er die Casse seines Principals bestohlen, wobei er das Zimmer, in welchem solches geschah, genau zu beschreiben vermochte. Dieses Durchschauen äußerte sich gewöhnlich nur bei Personen, an welchen Zschokke wenig gelegen war. Die Richtigkeit all dieser Beobachtungen zugegeben, wäre Mr. Cumberland jedenfalls kein neues Weltwunder, geeignet, Sensation hervorzurufen, sondern eine Erscheinung, wie sie bereits sattsam vorgekommen; es giebt eben nichts Neues unter der Sonne.

Es ist übrigens nicht ausgeschlossen, daß Mr. Cumberland sich bei manchen seiner Experimente in einem somnambulen Zustand befindet, in welchen er sich ja durch die Concentrirung aller seiner Gedanken auf einen bestimmten Gegenstand versetzen kann. Die Hypnose ist ein physiologisches Phänomen, das einmal besteht und Gegenstand ernster wissenschaftlicher Erforschung geworden ist. Er kann auch durch einen Magnetiseur in einem Nebensaale, durch seine Frau, die allen seinen Productionen, selbst in der Hofburg, beiwohnt, in einen hypnotischen Zustand versetzt werden. Auf diese Vermuthung führt mich der Umstand, daß er aus zusammengefalteten Zettelchen Namen ablesen kann, indem er die Papiere blos an die Stirne hält, was sonst nur Somnambulen zu Stande bringen. Ohne den wohlfeilen Prophezeiungen solcher den geringsten Glauben zu schenken, ohne ihren hysterischen Visionen Bedeutung zuerkennen zu wollen, muß ich mit Professor Fr. Fischer, der sich in seinem Buche über den Somnambulismus (Basel, 3 Bände) allen somnambulen Erscheinungen gegenüber höchst skeptisch verhält, die beglaubigten Zeugnisse doch beachten, welche über diese Fähigkeit der „Hellseherei“ vorliegen. Man hat Briefe in dreifache, undurchsichtige Umschläge gelegt, hat jeden derselben dreifach versiegelt, und einzelne Somnambulen lasen den Inhalt ab, ohne daß die Couverts verletzt und geöffnet worden wären.

Die Anhänger des thierischen Magnetismus haben eine ganze Bibliothek von Beispielen dieser Art zusammengetragen. Noch bemerkenswerth ist es, daß Cumberland die erwähnten Namen las, wie die Somnambulen die Briefe, nämlich buchstabirend, Buchstaben für Buchstaben, die er dann zu Worten construirte. Auch das „Gedankenlesen“ fände auf diese Weise seine Erklärung. Perty schreibt in seiner „Geschichte der mystischen Erscheinungen der menschlichen Natur“:

„Die hellsehende Person verfolgt mit unendlich feiner Spürkraft den Weg zu Jenem, von welchem man ihr z. B. eine Haarlocke, einen Brief oder einen andern Gegenstand gegeben hat, unbeirrt durch die unzähligen anderen Spuren bei dieser specifisch unterschiedenen beharrend, wobei die dazwischen liegenden Dinge gleichsam verschwinden, wie für den Magnet die indifferenten Körper zwischen ihm und dem Eisen.“

Sind solche Erscheinungen auch nicht unzweifelhaft beglaubigt, so seien sie doch hier angeführt, weil sie eine überraschende Analogie zu dem Verfahren Cumberland’s bieten.

Ist nun Mr. Cumberland ein „Gedankenleser“? Oder ein Gedanken-Divinator? Oder ein Hellseher? Nachdem es feststeht, daß wir es hier mit einer Person von ganz besonderer, ja krankhafter Sensibilität zu thun haben, ist keine der drei Möglichkeiten ausgeschlossen, doch erklärt sich alles, wie wir ausgeführt haben, so ziemlich auf ganz natürliche Weise. Seine Erscheinung hat nichts Wunderbares, nichts Niedagewesenes an sich. Es ist physiologisch möglich, Gedanken zu lesen, wie er sie „liest“ – mit den Fingerspitzen, mit der Nase. Und so wollen wir uns auch an diese Deutung seiner Kunstfertigkeit halten, obgleich es auch vor ihm Menschen gegeben hat, welche die Gedanken Anderer zu errathen wußten, obgleich einzelne somnambulische Erscheinungen wirklich beobachtet wurden, wenn auch ihre Verallgemeinerung ungerechtfertigt erscheint. Es dürfte dem Herrn im Grunde wohl gleichgültig sein, wie man ihn classificirt. Die Hauptsache ist, daß seine „Séancen“ bei hohen Entréepreisen gut besucht seien, und dieses Ziel hat er, in Wien wenigstens, vollständig erreicht. Es werden sonst die Leute nicht so gut bezahlt, welche Uhren aus den Taschen und Gedanken aus dem Kopfe Anderer stehlen, wie dies Mr. Cumberland unter dem lauten Beifall der staunenden Menge öffentlich producirt.Hugo Klein.     


Blätter und Blüthen.

Erzählungen von Ludwig Ganghofer. Unsere Leser, welche der soeben in der „Gartenlaube“ beendigten Erzählung „Dschapei“ mit stets steigendem Interesse folgten und sich von der echt volksthümlichen Darstellungsweise, der Naturwahrheit der geschilderten Gestalten und Scenen, den einfachen, aber echt menschlichen und darum ergreifenden Conflicten angezogen fühlten, werden es uns Dank wissen, wenn wir sie auf zwei vor kurzer Zeit erschienene Bände des rasch berühmt gewordenen jugendlichen Erzählers hinweisen. „Der Jäger von Fall“ nennt sich der eine, und „Bergluft, Hochlandsgeschichten“ – der andere, welcher eine Sammlung kleinerer Erzählungen, darunter auch den in dramatischer Bearbeitung auf die Bühne übergegangenen „Herrgottsschnitzer von Ammergau“ enthält. Reine, frische Bergluft ist es in der That, welche aus all diesen trefflichen, bald heiteren, bald tragischen Lebens- und Sittengemälden dem Leser entgegenweht. „Ludwig Ganghofer“ – wir entnehmen dies einer eingehenden Würdigung, welche Franz Muncker dem Dichter in der „Allgemeinen Zeitung“ angedeihen läßt – „pflegt regelmäßig einen Theil des Jahres im baierischen Hochlande, und zwar im innigsten Verkehre mit dessen Bewohnern, zu verbringen. Er kennt Land und Leute gründlich, nicht nur ihre einfache, treffende und oft humoristische Redeweise, sondern auch den Umkreis ihrer Anschauungen, ihre Art zu denken und zu empfinden. Nirgends eine falsche Sentimentalität, nirgends eine Situation, die dem Wesen des Gebirgsvolks widerspricht. Wohl aber manchmal eine und die andere Scene, die unseren üblichen, aber irrigen Vorstellungen von dem Leben und Wesen der Alpenbewohner widerspricht. Es dürfte schwer halten zu entscheiden, welcher seiner Geschichten der Preis gebühre. Aber deutlich sieht man beim Vergleiche der sieben Stücke[1], die Ganghofer in seine Sammlung ‚Bergluft‘ aufgenommen, welch eine bedeutende, erfolgreiche Entwickelung der Dichter während der kurzen Jahre, da er auf dem Gebiete der erzählenden Poesie thätig ist, bereits durchgemacht hat. In dieser Mannigfaltigkeit erblicken wir zugleich die Gewähr, daß der Dichter auch in Zukunft nicht blos die längst gewohnten Wege auf’s neue durchwandele, sondern selbst immer frische, noch wenig oder nicht betretene Pfade aufsuchen wird. Mögen sie ihn nie in die Irre, vielmehr stets richtig zum Ziele führen!“ – Diesen Hoffnungen und Wünschen des trefflichen Kritikers und Literaturforschers schließen wir uns aus vollem Herzen an.

  1. „Der Herrgottsschnitzer“. – „Assi Manlasse“. – „Die Seeleithnersleut“. – „Der schwarze Teufel“. – „Hochwürden Herr Pfarrer“. – „’s Geigenkröpfl“. – „Die Hauserin“.

„Bilder aus dem Soldatenleben“ waren die ersten Erzählungen, durch deren liebenswürdigen Humor F. W. Hackländer die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenkte, und noch heute zählen seine „Soldatengeschichten“ zu den Lieblingsbüchern unseres Lesepublicums. Die Stuttgarter Verlagshandlung von Karl Krabbe giebt nun diese Geschichten unter dem Titel „Aus dem Soldatenleben“ in einer von dem frischen, kecken Stifte Emil Rumpf’s illustrirten Ausgabe dem deutschen Volke von Neuem in die Hand. Die bereits erschienenen Hefte (das Ganze soll 20 Lieferungen zu je 40 Pfennig umfassen) berechtigen uns, dieses Geist und Herz erheiternde Werk unseren Lesern für die Hausbibliothek zu empfehlen.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_223.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2024)