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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

die sonst doch dreinschaut wie eine Königin! Sie sank ihm zu Füßen – und dann küßten sie sich, – ein unbeschreibliches Bild menschlicher Leidenschaft in der Einöde der wildzerklüfteten Felswände! Seitdem habe ich die Zingarella auf’s Korn genommen.“

Antonio Cesari hatte sich umgekehrt. Nun die Wanderung fortsetzend, sagte er zu dem Dänen:

„Ihr habt Recht! Ein überraschendes Paar! Beide wie von unterirdischem Feuer durchglüht – zumal er in seiner dämonisch-geistvollen Schönheit. Aus solchem Thone formt das Schicksal die Helden, die Abenteurer und die großen Verbrecher. In den ersten Stadien ihrer Entwickelung sehn sich die drei Kategorien oft zum Verwechseln ähnlich. Ja, ich behaupte: das Fatum weiß zu Anfang oft selber nicht, wo es hinaus will, und erst die Umstände vollenden die Prägung.“

„Der Rechtsgelehrte!“ rief Gustav Nyborg. „Laßt uns nicht wieder auf das alte Thema gerathen, Signor Cesari! Natur und glückseliges Nichtsthun – auch im Punkt der Gedanken – das sei die Parole! Seht Ihr das duftige Lichtwölkchen über dem Aschenkegel? Das bedeutet sonniges Wetter und Meeresstille, auf lange hinaus! Wir wollen’s genießen, Antonio! Ich will Euer Führer sein bei den Wanderungen über die Wunderinsel. Kommt nur: Giulietta wird ungeduldig.“

Sie folgten ihr geradeaus.

Maria indeß bog mit Salvatore nach rechts ab. Ohne ein Wort zu sprechen, schritten sie die hundert Stufen hinan, die zu den westlichen Ausläufern des vignen-umblühten Städtchens führten. Hier wohnte Bertalda, Maria’s Muhme und Pflegemutter. Das Häuschen, nur aus einem Erdgeschosse bestehend, war in zwei ungleiche Theile gesondert; links von der Thür befand sich ein einziges schmales Viereck: das Stübchen Maria’s; rechts davon ein größeres Zimmer und eine Küche: die Räume Bertalda’s. Hier, in der Stube der Pflegemutter, sollte nun Salvatore während der Ferien, die auch ihm zu Gewinn kamen – denn er schrieb ausschließlich für einen Collegen Signor Cesari’s – Station machen.

Als Maria mit ihrem Verlobten eintrat, stand die Muhme just im Begriff, das Haus zu verlassen, um ihre spärlichen Einkäufe für den kommenden Festtag zu bewerkstelligen. Sie begrüßte den jungen Apulier mit einer ehrfürchtigen Scheu, die das Echo war der mannigfachen Erzählungen und Betheuerungen Maria’s. Die Zingarella mußte es wissen: dieser schwarzlockige Salvatore mit der hohen, leuchtenden Stirn und den flammensprühenden Augen war zu was Besserm geboren als zur Tagesarbeit im Bureau des Avvocato Pezzini. Wenn das Schicksal ihm nach Verdienst entgegenkam, so fuhr er demnächst in goldbeschlagner Carrosse über die Chiaja und erstand eine glänzende Villa unter den Feigenbäumen des Posilipp.

Nachdem sich Bertalda entfernt hatte – die Verlegung ihres Ausgangs auf diese Stunde geschah aus guter Berechnung, denn sie wollte die Beiden zunächst allein lassen – trug Maria ihrem Verlobten eine Foglietta mit Landwein und etwas Brod auf und hieß ihn zulangen, – Alles in kurzer, hastig hingeworfener Rede. Salvatore goß sich ein Glas voll, trank es auf einen Zug aus und setzte es dann mit leichtem Stirnrunzeln neben die Flasche.

„Schmeckt’s Dir nicht?“ fragte Maria.

„Muß wohl!“ gab Salvatore zurück. „Wenigstens vorläufig.“

„Vorläufig!“ seufzte Maria. „Ach, Salvatore, wenn Du doch lernen wolltest ... wenn Du begriffest ...! Aber nein! Sei nicht böse! Ich seh’ ja vollkommen ein, daß Du Recht hast! Ein Mann wie Du – es ist eine Schmach, daß Du so im Niedrigen und Gemeinen Dich abquälen sollst, während Dir’s zukäme, frei und reich und glänzend wie ein Fürst durch das Leben zu wandeln. Wär’s nur um meinetwillen – Gott, ich wollte zufrieden sein auch mit Wenigem: Du aber, – nein Du kannst, Du darfst nicht entsagen; Du mußt’s erstreben mit aller Kraft – das bist Du Dir schuldig, Geliebter!“

„Mir und Dir!“ sagte der junge Mann, schwer aufathmend. „Aber der Himmel weiß es: die Sache ist leichter geredet, als zum Ziele geführt. Bei Gott, Zingarella - Du kennst nicht die Welt, und wie feindlich sie uns entgegentritt! Was hab’ ich nicht Alles versucht in den letzten Wochen!“

„Harre nur aus!“ meinte sie schmeichlerisch. „Mit der Zeit wirst Du die Hindernisse schon aus dem Wege räumen – und wir sind ja noch jung!“

„Harren und Hoffen – das sind die Köder, an denen das Schicksal die Narren fängt. Ich mühe und martre mich, – aber da fehlt’s am Nothwendigsten. Find’ ich etwa die Goldstücke im Grunde des Tintenfasses? Oder bin ich ein Zaubrer, der Actenpapier in bedruckte Bankscheine umwandelt? Das mit der Herberge droben am Aschenkegel war eine schöne Idee, und fast schon hatt’ ich den reichen Catone –: da kömmt der Ausbruch, geringfügig zwar, aber doch polternd genug, um den Alten stutzig zu machen. Lächerlich! Als wenn die Häuser in Torre del Greco und Annunziata nicht ganz ebenso von der Lava bedroht wären! Und Hunderttausende hätt’ es uns eingebracht!“

„Unzweifelhaft – aber es ging nicht, und da mußt Du nicht weiter um die Sache den Kopf hängen. Tag und Nacht hast Du dem Alten im Ohr gelegen – gut! Mehr kannst Du nicht leisten! War Catone zu seinem eignen Schaden so kurzsichtig – so laß ihn fahren, und erwäge was anders!“

Voll unendlicher Zärtlichkeit weilte ihr Blick auf seinem sorgenumflorten Antlitz. Da ging ein Leuchten über die ernsten Züge; ein Strahl heißester Liebe brach ihm unter den Wimpern hervor.

„Du hast Recht!“ sprach er aufstehend. „Reden wir nicht weiter davon! Besseres und Größeres hab’ ich seitdem in Aussicht genommen – ich schrieb Dir’s ja! Ueberhaupt – wir verderben uns die Freude des Wiedersehns! Zingarella, ist’s möglich, daß wir seit fünf Minuten allein sind, ohne daß die süße Maria ihren Salvatore umarmt hat?“

Sie warf sich an seine Brust. Mit einem seligen Lächeln bot sie ihm den schwellenden Mund. Er küßte sie stürmisch, und hielt dann ihr schönes Haupt eine Weile wie traumverloren mit beiden Händen. Dann plötzlich drängte sich ihm ein schwerer Seufzer auf die halbgeöffneten Lippen.

„Wie schön Du bist, Maria, wie unbeschrerblich schön!“ sagte er schwermuthsvoll. „Ein Gott dürfte mich um Deine Liebe beneiden, und dennoch, – ich kann nicht glücklich sein, wenn mir der Stachel der Verbitterung im Herzen sitzt! Es ist mein Fluch, – ich leide darunter, – aber ich vermag’s nicht zu ändern! Wie beneide ich Deine Jugendgespielen! Sie alle sind zufrieden mit dem, was das Schicksal ihnen bescheert hat, – denn sie kennen Nichts von dem Glanz dieser Welt; sie wissen und ahnen nicht, was Leben heißt und Genießen, und wie Du, die Herrliche, nicht geschaffen bist für dies kärgliche Alltagsloos! Ich aber weiß es, und keine Stunde vergeht, daß ich nicht Pläne schmiede, Pläne ...“

„Vielleicht suchst Du das Gelingen zu weit,“ sagte Maria. „Kannst Du denn nicht von der Stelle aus, wo Du stehst, zu Besserm hinaufreichen?“

Der Apulier lachte.

„Wenn Du wüßtest ...!“ versetzte er ingrimmig. „Bis zur Stunde verdien’ ich kaum genug für mich selbst – und wenn ich ausharre auf dem betretenen Wege, so kann’s in zehn oder zwölf Jahren wohl zulangen, daß wir gemeinsam das Leben fristen. Ja, wenn’s noch glückte, unter dem Porticus des Carlo- Theaters einen Tisch zu erobern! Aber die Posten der Volksschreiber werden nicht so blindlings vertheilt; es kostet heillose Mühe, die Concession zu bekommen. Schließlich ist auch das nur ein Bettelbrod! Nein, Maria, ich betrachte meinen Beruf nur als Uebergang; ich schäme mich seiner, – und nicht eher will ich ruhen und rasten, bis ich ihn von mir geworfen! Ich habe jetzt eine neue Idee – und dann noch eine ...“

„Nun?“ fragte das Mädchen.

Salvatore blickte sich ängstlich um.

„Die eine – die könnt’ ich Dir gleich erzählen – aber die andere – Ich fürchte die Lauscher, und stehst Du, Maria, wenn die Sache nicht so geheim bliebe, wie ein Bekentniß im Beichtstuhl ... dann ... dann wäre Alles, Alles verloren, – jetzt und für immer! Dir sogar darf ich nur andeuten ... und Du mußt mir schwören bei der Madonna ...“

„Mein Gott, Du erschreckst mich ...“

„Weißt Du was, Maria? Laß uns hinaus in die See rudern! Ich habe ein wahres Verlangen darnach, allein mit Dir und dem blauen Himmel zu sein, wo keine Stimme der Menschen an unser Ohr schlägt! Das wird mich erquicken und aufrichten nach all’ dieser Drangsal. Aber nicht hier in den Golf will ich

steuern, sondern in’s offene Meer! Komm nach dem Südgestade!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_227.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2023)