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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Sicher nicht, gnädige Frau; ich denke etwas Anderes zu thun, etwas, womit unsere Persönlichkeit nicht in so nahe Beziehungen zu treten braucht und keine herbe Abweisung zu fürchten hat – denn das thut weh. – Sie wissen, ohne Eitelkeit ist kein Mensch, und bei allem vernünftigen Raisonnement – ein kleiner Stachel bleibt.“

Die alte Dame saß in athemloser Erwartung.

„Ich will es noch einmal versuchen, ein junges Leben an mich zu ketten, aber auf andere Weise, – ich will ein Kind adoptiren.“

Wie ein Blitz fuhr es vor den Augen der alten Frau hernieder.

„Hegebach, Sie wollten, Sie könnten –?“ rief sie freudig. Dann verstummte sie. „Aber, mein Gott, Mädchen gelten ja nichts nach dem Erbvertrage?“ sagte sie zweifelnd.

„Mädchen? Wer spricht von einem Mädchen?“ fragte er.

Keine Antwort, nur ein rasches heftiges Athemholen. Je nun, der Mann war im Rechte; warum hatte Else sich so unverantwortlich benommen? Aber bitter, bitter ist es! O, das unselige Kind!

„Was sagen Sie zu meinem Plan, gnädige Frau?“

„Vortrefflich!“ erwiderte sie mühsam, und der Jammer um das arme Mädchen, das sich nun wirklich ganz allein durch das Leben schlagen sollte, erlöschte fast allen Zorn in ihrem Herzen.

„Jetzt aber gilt’s zu suchen,“ sprach der Bennewitzer.

„Sie werden viel Bewerber finden.“

„O sicher!“ Er lachte kurz auf. „Das bischen Hab und Gut lockt sie hervor, wie der Regen die Pilze. Es müßte ordentlich erquickend sein, Menschen zu finden, die Nein! sagten. Was? Nun, auf jeden Fall, Gnädigste, ich stelle meine Auserkorenen zu Ihrer Begutachtung, und ich werde in der nächsten Zeit suchen. Apropos, wie geht es eigentlich meiner Nichte?“

„Ich – ich weiß es nicht; vermuthlich gut,“ antwortete Frau von Ratenow. Des Bennewitzers Benehmen empörte sie heute förmlich.

„Mein Gott, gnädige Frau, Sie zürnen ihr noch immer? Es ist unrecht von Ihnen, wahrhaftig! Wissen Sie auch, daß ich dem Kinde tausendfach in Gedanken abgebeten habe, was wir an ihr sündigten? Ja, wir, sag’ ich, Gnädigste, Sie und mein Vetter und ich. Die einzige Entschuldigung ist, wir meinten es gut.“

„Was hat sie davon!“ klang es in der Seele der alten Frau.

„Ich muß mich empfehlen.“ Er stand auf. „Nicht wahr, Sie sagten doch, ich thue recht daran, gnädige Frau? Man muß Etwas haben, woran das Herz hängt.“

„Ja, ja, bester Hegebach, und möge es Sie nie gereuen.“

Und als sich die Thür hinter ihm geschlossen, da blieb die alte Dame mitten im Zimmer stehen. „Entweder hat er ein bischen im Kopfe, oder er hat den Hegebach’schen Sparren nun noch auf seine alten Tage bekommen; einen Sparren haben sie Alle, die Hegebachs, weiß Gott!“ – Sie schrieb noch an demselben Abend einen Brief an Else. Das arme Kind! So um Alles zu kommen! Aber sie war ja selbst schuld. Das wurde ein wunderliches Schreiben, halb vorwurfsvoll und halb zärtlich, und die Bitte enthaltend, das Mädchen möge zurückkehren.

Die alte Dame that kein Auge zu in dieser Nacht; sie ging am andern Tage tief nachdenklich umher, sie sprach bei Tische fast kein Wort, und das Hauptthema des Gespräches bildete doch des Bennewitzers neuestes Project.

„Der Mann hat vollkommen Recht,“ sagte Moritz, „es versteht sich doch von selbst, daß er sein Gut einem Menschen vererben will, der ihm nahe steht; es fällt ja sonst dem Fiscus anheim. Aber er hätte Else irgend ein Nadelgeld auswerfen können aus seinem Privatvermögen,“ setzte er hinzu.

„Ja,“ stimmte Tante Lott bei, „es ist eine unedle Rache, sie so ganz ihrem Schicksal zu überlassen; er ist doch ihr Onkel.“

„Als ob Else das annehmen würde!“ Lili verzog ihren kleinen Mund verächtlich.

„Oho!“ sagte Frau von Ratenow, die bis dahin geschwiegen, „sie wird es jetzt wohl wissen, was es heißt, durch eigne Kraft für sich zu sorgen; gern wird sie es nehmen – aber er wäre ein Narr, wenn er es geben wollte, das meine ich.“

„Das glaubst Du ja selbst nicht, Mutter,“ sagte Moritz, und faßte nach ihrer Hand.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Unsere Osterbilder. (Illustrationen auf S. 249 und 253.) Auf der Winter- und Sommerscheide liegt es, das geheimnißvolle Fest der Weltauferstehung, unruhig bald früher, bald später auftauchend, eine Verlegenheit für Wetterpropheten und Festordner. „Weiße Ostern? Grüne Ostern? – das ist hier die Frage,“ würde Hamlet sagen. Wir haben’s gefeiert in dickem Schnee, mit Pelzen und rothen Nasen, unwissend, woher die für eine Chardonnerstagmahlzeit so unumgänglich nöthigen Rapunzeln hernehmen – und wieder in luftiger Gewandung und sonnengestreichelt, die berühmten „ältesten Leute“ sogar unter blühenden Apfelbäumen. Das Normalostern der Poeten und Maler fordert bedeckten Himmel, glänzende Baumknospen, grüne Stachelbeersträucher und sprossende Saaten – „jedes Blatt ein grünes Ohr“.

Ob es diesmal Blüthen schneit? Wer weiß es?

Niemand. Nicht einmal Er.

Er ist ein merkwürdiges Geschöpf. Daß er zu Ostern kommt und dann bis auf das nächste Osterfest verschwindet, wäre nicht ohne naturgeschichtliche Analogie: es giebt Zugvögel und Eintagsfliegen. Freilich: Er ist weder ein Vogel, noch eine Fliege. Er ist ein Monstrum, das größte Kreuz für Zoologen. Darwin und Häckel haben klüglich vermieden, sich mit ihm zu beschäftigen.

Ein Hase, der Eier legt! Unerhört. Aber es ist so. Er kommt und nistet, ob im Schnee, in Stuben, in sprossendem Grün, das ist ihm gleichgültig. Jedenfalls an versteckten Orten.

Es giebt mehrere Arten dieser Gattung, das steht wohl außer Zweifel. Zum mindesten zwei. Die gewöhnlichen Eier gleichen täuschend den Hühnereiern, selbst in der Farbe. Es ist ein offenes Geheimniß unter den Kindern, daß die bunten Farben der Eier auf Rechnung menschlicher Einwirkung kommen, indem man in der Osternacht Gefäße voll kochenden Wassers aussetzt, welches letztere mit Rothholz-, Blauholz- oder Zwiebelschalensaft, jetzt auch mit Anilinfarben, gefärbt ist. Derartige Gefäße zieht der Osterhase als Niststätte jeder andern vor – nein, nur als Ort zum Eierlegen, denn er pflegt später die Eier herauszunehmen – wie? das ist sein Geheimniß – und zu „verschleppen“, wie die Hühnerzüchter sagen, oder auch in einem Nest zu vereinigen. Zuweilen wird er vorher überrascht, dann bleibt der Mutter die Aufgabe, die Eier selbst aus der Brühe zu nehmen, wie unser eines Bild dies vor Augen führt.

Die zweite Hasenart, von der ich sprach, legt Eier von höchst mannigfaltiger Beschaffenheit. Die Schale der meisten besteht, wie chemische Untersuchungen nachgewiesen, aus Zucker. Fast immer zeigen sie bunten plastischen Schmuck. Der Inhalt ist unberechenbar. Viele sind leer, in anderen finden sich Confect, Blumen, junge Hasen, Kücken, kleine Kinder, ausgewachsene Gnomen u. dergl. Ich möchte diese zweite Art von Osterhasen den gebildeten oder Kunsthasen nennen. Er legt vorwiegend in den Läden der Conditoren, meist schon vor Ostern, und diese Eier werden für[WS 1] schweres Geld verkauft.

Ich meinerseits ziehe die erstere Art vor; die Personen auf dem Bilde von F. Bergen auch – überhaupt, wie ich beobachtet habe, die Kinder. Diese Eier sind weniger werthvoll, aber man hat eben darum den Muth, mit ihnen zu spielen und sie aufzuessen, und man findet sie im Freien.

Welch ein Zauber liegt in diesem Eiersuchen unter werdendem Grün, in weicher Frühlingsluft! Die Kinder nur genießen ihn voll, wir großen Zuschauer aber, so wir das Herz auf dem rechten Flecke behalten haben, genießen mehr durch etwas anderes dabei. Unser Herz bekommt Besuch, Besuch von seiner Jugend. Sie ist so helläugig begehrlich, ungeduldig, so übermüthig lachlustig und gläubig, wie diese Kinder da. Sie kommt nur auf Stunden, aber schon diese Stunden sind unvergleichlich.

Sie gehört mit in das große Auferstehungswunder des Osterfestes, diese Auferstehung unserer Jugend! Victor Blüthgen.     


Eine ausgestorbene Vogelart. (Mit Illustration S. 257.) Strauße, Kasuare, Schnepfenstrauße etc. bilden bekanntlich ganze Vogelgruppen, denen in Folge der Verkümmerung der Flügel die Flugkraft genommen ist, während sich bei ihnen das Gehvermögen durch die kräftigere Entwickelung der Beine gesteigert zeigt. Eine ähnliche Erscheinung findet sich innerhalb anderer Vogelfamilien, wie z. B. bei der Gattung Strigops unter den Papageien, bei den Dronten unter den Tauben etc.

Auf der andern Seite giebt es Vögel, deren Gliedmaßen sich nach Art der Fischsäugethiere in Schwimm- und Ruderapparate umwandeln, sodaß denselben das Fliegen zur Unmöglichkeit und das Gehen wenigstens sehr erschwert wird: die Pinguine der südlichen Halbkugel, bei denen die Flügel als Flossen, die Schwungfedern als schuppenartige Gebilde erscheinen. Diese merkwürdigen Vögel, welche mit einer ganzen Reihe von Arten und in einer sehr großen Individuenzahl die antarktischen Inseln bevölkern und sich durch ihre bedeutende Gewandtheit im Schwimmen und Tauchen auszeichnen, fehlen vollständig auf der nördlichen Halbkugel und werden hier, in gewissen Beziehungen wenigstens, durch die dem Norden eigenthümlichen Alken vertreten, die übrigens neben einer beträchtlichen Fähigkeit zum Schwimmen und Tauchen im Allgemeinen sich noch das Flugvermögen bewahrt haben. Nur eine einzige, und zwar die größte Alkenart, die man in der Größe mit einer Gans vergleichen kann, ist es, welche in der Verkümmerung der Flügel die Pinguine, wenn auch nicht ganz, so doch beinahe erreicht hat: dies ist der Riesenalk, der von Linné den wissenschaftlichen Namen Alca impennis, das ist flügelloser Alk, erhalten[WS 2]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: fur
  2. Vorlage: rehalten
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_259.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)