Seite:Die Gartenlaube (1884) 282.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

sich in ihm der Entschluß, sich fürderhln nicht wieder in den Dienst des bürgerlichen Berufes zu begeben, sondern einzig der Kunst zu leben.

Auch die Liebe drohte jetzt ernstlich Geibel’s Herz in Fesseln zu schlagen. Im täglichen trauten Umgange mit der reizenden Nichte des Fürsten entzündete sich eine Neigung, die für den Dichter wie für die Prinzessin gleich verderblich zu werden schien. Aber Geibel rang von Anfang an männlich und endlich siegreich gegen seine Leidenschaft. Und der Poet kam dem Menschen in diesem Kampfe zu Hülfe. Indem er dem unerreichbaren Ziele seiner Wünsche entsagte, sprach er den Schmerz über seinen Verlust nur in wenigen Gedichten unmittelbar aus. Und doch befreite auch er sich, wie einst Goethe im „Werther“, im „Tasso“, in den „Wahlverwandtschaften“, durch die Poesie von der Gewalt der Leidenschaft. Er stellte, was er selbst erlebt hatte, objectiv im idealen Kunstwerke sich gegenüber. So entstand die Idylle „Das Mädchen vom Don“.

Gleichwie zu Athen im Kampfe mit dem Herzen der menschlich-sittliche Charakter Geibel’s feste Kraft und sein dauerndes Gepräge gewann, so gelangte dort auch sein dichterisches Talent erst zu seiner vollen, eigenartigen Reife. Auf griechischem Boden im beständigen Geistesverkehre mit der Schönheitswelt des hellenischen Alterthums bildete sich Geibel erst ganz und vollkommen zum echten deutschen Dichter. In Deutschland hätte sich Geibel schwerlich von dem Einflusse der herrschenden Modedichtung losmachen können; in Griechenland vollzog sich alsbald der Umschwung. Bereits wenige Monate nach seiner Ankunft in Athen, als er die Nachricht von Chamisso’s Tod vernahm, vermochte ihn der Gedanke, daß Heine noch in voller Kraft wirke, über den Verlust des entschlafenen liebenswürdigen Sängers nicht mehr zu trösten. Ja, Platen zu vertheidigen, wandte sich Geibel sogar zornglühend direct gegen den frechen Streich, den Heine nach „der Schulter, die den Purpur trug“, geführt hatte. So wurde er Platen’s Schüler. Er eignete sich die Formenstrenge und die Formenschönheit seines Lehrers an. Allein er wurde nicht, wie Platen der einseitige Nachahmer der antik-classischen Poesie geworden war, ebenso wieder der sclavische Nachahmer Platen’s. Nur in seltenen Ausnahmsfällen entschloß er sich zum Gebrauche fremdartiger griechisch-lateinischer Versmaße. Nach wie vor betrieb er sein Dichten deutsch. Er ging den Weg, den ihm der Geist seiner Muttersprache mit „ahnungsvollem Laute“ wies; einheimischer Formen Reichthum machtvoll zu beseelen, vom Munde seines Volkes sein Gesetz zu empfangen, galt ihm als Pflicht des deutschen Sängers.

So kehrte er im Mai 1840, als Mann und als Dichter gereift, keines Amtes Sclave, in das Vaterland zurück. Um Michaelis veröffentlichte er hier das erste Bändchen seiner „Jugendgedichte“. Schon vor zwei Jahren bei seiner Abreise nach Griechenland hatte er eine Sammlung lyrischer Versuche druckfertig zurückgelassen. Das Manuscript war aber bei einem Brande der Druckerei umgekommen. Geibel hatte den Unfall damals überaus leicht verschmerzt. Jetzt entschädigte ihn für jenen Verlust und zugleich für die Mißgunst der Kritiker der wachsende Beifall des Publicums, das bald Jahr für Jahr neue, vermehrte Auflagen seiner Gedichte verlangte.

Woher diese Theilnahme der Leser an einem Buche, das die berufsmäßige Kritik im Großen und Ganzen zu verwerfen schien? Es waren eben „Jugendgedichte“, Gedichte für die männliche und besonders für die weibliche Jugend. Mädchenlieder, Frauenpoesie! – hat man oft auf jene Frage geantwortet und spöttisch hinzugefügt, Geibel werde so lange Leserinnen und Verehrerinnen finden, als es Backfische geben werde. Gewiß, Geibel wußte das innig-zarte, weiblich-weiche Empfinden in seiner Dichtung auszusprechen wie wenige Poeten vor ihm. Aber er verstand es nicht minder, der stürmischen Leidenschaft die rechten Worte und Töne zu leihen. Er vermochte auch männlich-festen Sinnes den patriotischen Gesang kraftvoll anzustimmen. Zeugt nicht davon der prophetische Ruf, den er im Jahre 1868 in der „Gartenlaube“ erschallen ließ? – das politische Bekenntniß des Dichters, dessen Schlußstrophen so kraftvoll ausklingen:

„In’s Brausen der Quellen, wie pocht der Hämmer Schlag!
Da födern die Gesellen das Eisen zu Tag,
Da wächst in rother Erde das Schwert für den Feind,
Der noch am deutschen Herde uns dreinzureden meint.

Nun kommst auch du geschwommen im Kranze von Wein,
Willkommen, willkommen, du königlicher Rhein!
Du tränkst mit goldner Freude dein blühend Geländ,
Und weißt von keiner Scheide, die seine Stämme trennt.

Wie lang wird es währen, Altvater, so preßt
Man wieder deine Beeren zum Kaiserkrönungsfest!
Da kommt auf deinen Wogen im Purpurgewand
Der Hort des Reichs gezogen, das Banner in der Hand.

Dann ruh’n Wehr und Waffen, dann ist es vollbracht,
Dran tausend Jahr geschaffen, das Werk deutscher Macht,
In Norden und Süden der letzte Zwist gesühnt,
Und Freiheit und Frieden, so weit die Eiche grünt!“

Die reine Lauterkeit seines Gemüthes, die gesunde Tüchtigkeit seines Charakters war es, was der Lyrik Geibel’s ihren bleibenden Werth und zugleich ihren unvergänglichen Reiz gab.

In den allerersten Jahren blieb freilich nicht blos die Kritik meistens stumm, sondern auch die Masse des Publicums kalt gegen den jungen Lyriker. Die Liebe und Gunst trefflicher Freunde mußte Geibel über die Gleichgültigkeit der deutschen Leserwelt vorläufig trösten. Im Frühling 1841 lud ihn der gastfreie Karl von der Malsburg auf sein Schloß Escheberg bei Kassel. Geibel verlebte dort ein glückliches Jahr, reich an Gewinn für sein Gemüth und an Anregung für seine Poesie. Aus den Schätzen der Schloßbibliothek lernte er die spanische Romanzenliteratnr eingehend kennen: ein Band Uebersetzungen war die künstlerische Frucht dieses Studiums. Als origineller Lyriker veröffentlichte er die erste Sammlung seiner politischen Gedichte, die „Zeitstimmen“. Zu Lübeck im Winter 1842 bis 1843 arbeitete er seine erste Tragödie, „König Roderich“, aus, ein Schmerzenskind seiner Muse, das aber bei den Lesern wie auf der Bühne wenig Beifall errang. Um Neujahr 1843 verlieh ihm König Friedrich Wilhelm IV. ein Jahresgehalt, zwar mäßig an sich, doch immer groß genug, daß der Empfänger wegen seines Unterhaltes sich nicht mehr in den widerwärtigen Zwang eines lästigen Amtes zu begeben brauchte. Den Sommer 1843 verbrachte Geibel im innigen Freundschaftsverkehr mit Freiligrath zu St. Goar am Rhein, den Spätherbst und Winter darnach bei Justinus Kerner in Weinsberg und in Stuttgart. Bald nach Ostern 1844 suchte er die norddeutsche Heimath wieder auf. Selten hielt er es in Lübeck lange Zeit ruhig aus. Er unternahm größere Ausflüge nach Berlin, bereiste den Harz, besuchte Hannover, Dresden und andere Orte, durchwanderte 1847 mit Kugler sogar den größten Theil von Süddeutschland, immer aber kehrte er nach der trauten Vaterstadt zurück. Auf längere Zeit vermochte er sich erst 1852 von seinem lieben Lübeck zu trennen, als König Maximilian II. von Baiern ihn auf die ehrenvollste Weise als Honorarprofessor für deutsche Literatur und Aesthetik an die Universität München berief. Zugleich ward er zum Capitular des neugestifteten Maximilian-Ordens ernannt und in den persönlichen Adelsstand erhoben.

Hier in München, am Hofe des kunstsinnigen Fürsten, wurde Geibel bald der Mittelpunkt eines Dichterkreises, dessen Mitglieder, meist jünger als der Lübecker Sänger, jetzt in alle Provinzen Deutschlands verstreut, als angesehene und zum Theil hochberühmte Meister deutscher Poesie thätig sind. Paul Heyse, Hans Hopfen, Heinrich Leuthold, Felix Dahn, Hermann Lingg, Victor Scheffel, Friedrich Bodenstedt, Wilhelm Hertz, Adolf Friedrich von Schack, Julius Grosse, Melchior Meyr, Franz Kobell und Andere mehr wirkten damals in regem Dichtereifer neben einander in Baierns Hauptstadt, und Geibel unter ihnen, aufmunternd und anfeuernd, helfend und corrigirend, von allen verehrt und geliebt. Manchem, an dessen Worten und Weisen wir uns heute stets neu erfreuen, hat er zuerst die sternenhohen Ziele aller wahren Kunst gezeigt, die edlen Formen echter Poesie enthüllt. Nicht ohne Grund haben so oft ihm dankbar die jüngeren Dichter des Münchener Kreises die Erstlinge ihrer Muse gewidmet. Und was Felix Dahn begeistert von seinem Lehrer Geibel rühmte, das ist noch gar manchem Sänger vom deutschen Parnaß unserer Tage aus der Seele gesprochen:

„Mit Rückert und mit Platen
Hast Du mich treu berathen,
Und ist mein Vers gerathen,
Das dank’ ich Deiner Kunst.
0000000
Wer von uns Jüngern holprig nicht
Reime flicht und radebricht,
Der dankt es Dir, dem Weibel
Des Versturniers, o Geibel!“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_282.jpg&oldid=- (Version vom 8.1.2021)