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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Auch sein häusliches Glück am heimlichen Familienherde begründete sich der Dichter in jenen Tagen. Er führte Amanda Trummer, mit der er sich im November 1851 verlobt hatte, als Gattin heim. Aber nur wenige Jahre blieb sein Glück ungestört. Schon 1855 entriß ihm der Tod Amanda. Seine eigene Gesundheit litt unter dem Münchener Klima. Bald sah er sich genöthigt, einen Theil des Jahres wieder in Lübeck zu verbringen. Als 1864 König Maximilian starb, kehrte Geibel nur noch zeitweise zu kurzem Aufenthalt nach München zurück. Im Jahre 1869 legte er seine Aemter ganz nieder und nahm von nun an seinen dauernden Wohnsitz in Lübeck, das er bis zu seinem am 6. April erfolgten Tode nicht mehr verlassen sollte. Für den Verlust seiner baierischen Pension entschädigte ihn König Wilhelm von Preußen durch ein Jahresgehalt.

Geibel hat sich nach seinem ersten Eintritt in die Reihen der deutschen Dichter noch oft und auf allen Gebieten der Poesie versucht, übersetzend und original schaffend, als Epiker und Dramatiker und namentlich als Lyriker. Er ist dem Ideal, das er sich von der Hoheit und Schönheit echter Kunst gebildet hatte, in seiner späteren Lyrik wohl im einzelnen näher gekommen, als in den Jugendgedichten, die er herausgab, da er noch im Ringen mit sich und seinem Genius begriffen war; eines so mächtigen Erfolges jedoch wie diese erste Sammlung hatte sich keine der übrigen mehr zu erfreuen, so herzlich das deutsche Volk auch sie alle begrüßt hat. Es ist, als ob die Nation ihren Dichter, dem man – unverständig genug – seine unvertilgbare Jugendlichkeit manches Mal zum Vorwurf gemacht hat, gerade durch besondere Ehrung seiner frühesten Jugendgabe rechtfertigen wollte. Und sie darf’s und soll’s auch. Denn wie viele neue Poeten auch die letzten Jahrzehnte in Deutschland haben erstehen sehen, wie zahlreich auch gerade auf dem Gebiete der Lyrik von Jahr zu Jahr junge Kräfte sich hervorwagen, mit der Siegespalme darf sich neben Geibel unter den Zeitgenossen kein anderer schmücken.

Franz Muncker.     




Ein Straßenbau und die Anlage einer deutschen Colonie in Brasilien.

Von F. Keller-Leuzinger.
I.

Vortrab eines brasilianischen
Kaffee-Transports.

Wenn Einer im Jahre 1855 oder 1856 eine Reise von Rio de Janeiro „landeinwärts“ machen wollte, so hatte er zuerst sein Billet bei der Agentur der Mauádampfer und Mauá-Eisenbahn zu lösen (so benannt nach dem Erbauer Barão de Mauá), wobei auch die Wagenfahrt vom Fuße der „Serra“ bis nach der mehr denn 2000 Fuß hoch gelegenen früheren deutschen Colonie Petropolis mit inbegriffen war.

Ein kleiner Raddampfer nahm ihn auf und trug ihn in wenig Stunden an palmengeschmückten, felsumsäumten, paradiesisch schönen Eilanden vorbei nach dem Hintergrunde der Bai, wo er auf einer Pfahlbaulandungsbrücke den harrenden Zug bestieg. – Dann ging es während einer Stunde zuerst durch sumpfige, mit Papyrus und sonstigen Rohr- und Schilfgewächsen dicht bedeckte Niederungen, die von halbverkrüppelten, mit Bromelien, Moos und Usneen bedeckten Bäumen und Sträuchern begrenzt sind, um schließlich trockenen Boden und die ersten vorgeschobenen Hügel des Küstengebirges zu erreichen. An der Endstation der Eisenbahn harrten ein Dutzend altmodischer, mit je vier mageren Maulthieren bespannter Kutschen, die unter obligatem Peitschenknall und Gejohle sich alsbald in Bewegung setzten, wenngleich die armen, abgetriebenen Thiere die bedeutende Steigung mit der schweren Last kaum bewältigen zu können schienen. Die Straße, welche damals erst fertig geworden war und von den Brasilianern trotz ihrer bedeutenden Mängel als ein Wunderwerk der Baukunst angestaunt wurde, zieht sich in vielen Dutzenden von scharfen Wendungen an dem steilen, felsigen Hange hinauf. Herrlich ist die uns umgebende Natur: Während sich rückwärts ein wundervoller Blick auf die Niederung und die Bai eröffnet und mehr und mehr an Tiefe gewinnt, rücken uns die schroffen, in ihrer unteren Hälfte trotzdem dicht bewaldeten Seitenwände des Thales näher und näher, erkennen wir in dem bis an den Straßenrand vordringenden üppigen Grün die zierlichen Fiederwedel baumartiger Farne, die schwanken Schäfte verschiedener Bambusse, breitblättrige Maranthas, stachelige Astrocarien und andere Palmenarten – kurz, das üppigste Unterholz und Dickicht umgiebt uns, während weiterhin hochstämmige Myrtaceen, Ficusarten und andere Riesen des Urwaldes, welche bei dessen erster Lichtung stehen geblieben, die Aussicht abschließen. Dabei sprudelt in jeder Felsrinne das herrlichste Wasser, und liegt, wenn wir einmal die halbe Höhe überschritten, ein Hauch von Frische über dem Ganzen, der für den aus dem heißen Tieflande und dem schwülen Rio Kommenden etwas geradezu Entzückendes hat.

Endlich haben wir die Sattel- oder Paßhöhe mit etwa 2300 Fuß über dem Meere erreicht und die Straße beginnt langsam zu fallen; noch eine kurze Strecke, welche die abgetriebenen Maulthiere im Galopp zurücklegen müssen, und wir befinden uns in Petropolis.

Weiß getünchte, niedrige Häuser mit grünen Läden, breite, baumbepflanzte Straßen, in deren Mitte ein rauschender Bach, der zwischen künstlich abgeböschten Ufern hübsch geradlinig und rechtwinkelig fließen muß (wofür er sich dadurch rächt, daß er bald hier, bald da über die Schnur haut und das Ufer unterspült) – Neugierige und Flaneurs, welche in den offenen Thüren der zahlreich vorhandenen Magazine stehen und die ankommenden Passagiere mustern – in der Ferne ein langgestrecktes Gebäude, welches ganz gut ein Conversations- oder Curhaus vorstellen könnte, in Wahrheit aber ein kaiserliches Lustschloß ist, rings bewaldete Berge, aus deren Grün da und dort eine Villa hervorlugt – kurz, es ist ein kleines deutsches Badestädtchen, in das wir urplötzlich versetzt wurden. Auch einzelne Sprachlaute, die wir da und dort, z. B. von unserem Kutscher hören, können wohl dazu beitragen, uns in unserer Illusion zu bestärken: – „Du,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_283.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)