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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Hannes,“ sagt da Einer, „lang mer emol die Beitsch!“ und wir glauben, uns am Rhein oder an der Mosel zu befinden, wenngleich sich das landesübliche Portugiesisch gleichfalls bemerkbar macht.

Ein guter Gasthof nimmt uns auf, und wir sind glücklich, nach langer Zeit wieder einmal in frischerer Atmosphäre schlafen zu können, ohne von blutdürstigen Mosquitos und deren entsetzlichen Geigensonaten gepeinigt zu werden. Man könnte hier sicherlich ein paar recht angenehme Wochen verbringen, aber wir wollen ja in’s „Innere“, und geschieden muß sein, nicht allein vom schmucken, kleinen Petropolis, sondern (damals wenigstens) von aller und jeder Bequemlichkeit des Reisens und Lebens – mit einem Worte von europäischer Sitte und Cultur.

Brasilianischer Maulthiertreiber.
Originalzeichnung von F. Keller-Leuzinger.

Gleich hinter dem Städtchen beginnt jener gräuliche Saumpfad, den in einer gewissen Jahreszeit nach der Haupt-Kaffee-Ernte wohl an 2000 Maulthiere per Tag überwinden müssen, obgleich, besonders in der Regenzeit, buchstäblich beinahe jeder Schritt vorwärts nur mit der größten Anstrengung, ja mit Lebensgefahr ausgeführt werden kann. Wir miethen ein starkes Maulthier und kaufen Sattel und Zaumzeug, und unter der Leitung eines Führers, der zugleich ein mit zwei kleinen Holzkoffern, den sogenannten Canastras, bepacktes Lastthier treibt, ziehen wir ab.

Der gänzlich unregelmäßige, hier breite, dort schmale, ohne Grund steil ansteigende und ebenso wieder fallende Pfad führt der Hauptsache nach der Piabanha entlang – in der trockenen Jahreszeit ein rauschender Bach, zur Regenzeit ein reißender Wildstrom! Die Natur rings um uns herum ist unsäglich herrlich und großartig, aber auch der Weg zu unseren Füßen spottet jeder Beschreibung! An den besten Stellen, das heißt da, wo seine rothe Schlammmasse noch ergründlich ist, haben die Tausende und aber Tausende von Maulthierfüßen eine ganz regelmäßig gestaltete, durch hohe Schlammkämme getrennte Reihe von Löchern hineingestampft, in die wieder jedes nachfolgende Thier sorgfältig seine Beine setzt, sodaß von einem nur irgendwie beschleunigten Schritte nicht die Rede sein kann. Die Straße sieht aus wie ein steifgewordenes Wellenmeer aus rothbrauner Erde. Die Füße des Reiters sowie die unteren Flächen der Ladung, Koffer und Tragkörbe, streifen dabei in manchen Fällen die Kämme, und jede unvorsichtige Bewegung kann uns zu Fall bringen. Aber es soll noch besser kommen! An einer Stelle, wo rechts die glatte, nackte Gneiswand schroff sich erhebt, und links in der Tiefe die hochangelaufene Piabanha schäumt und tobt, als suche sie ein Opfer, ist der aus Geröll und rother Erde zusammengesetzte Straßenkörper (wenn man so sagen kann) in einer Weise durchgeweicht, daß er auf mehr denn 200 Schritte nur eine einzige unergründliche Breimasse bildet, in der Roß und Reiter beim ersten Schritte unrettbar versinken würden. Die Reste eines die Luft verpestenden Pferdecadavers, um welche eine Schaar von schwarzen Aasgeiern sich zankt, während andere, die sich schon gesättigt, mit halbgeöffneten Fittigen bewegungslos, wie aus Erz gegossen, auf den nächsten Felsblöcken und dürren Stämmen sitzen – bilden in dieser Hinsicht ein eigenes, sehr eindringliches Memento! Aber wie hinüber kommen?

Der Fels zur Rechten ist zu steil und zu glatt, um für anderes Gethier, als Affen und Katzen, eine genügende Stütze zu bieten, und zur Linken bespült der tobende Wildstrom den auf einem undefinirbaren Chaos von Wurzeln, Treibholz und Felsblöcken ruhenden Fuß der scheußlichen rothen Teigmasse, sodaß jeder Versuch zur Umgehung auf dieser Seite sicherer Untergang wäre.

Bergprofil der Bai von Rio de Janeiro. 0 Originalzeichnung von F. Keller-Leuzinger.

Schon beginnt die Sonne sich zu neigen, und noch stehen wir rathlos vor der ungelösten Schwierigkeit, als am jenseitigen Ende des ominösen Platzes eine mit Kaffee beladene Maulthiertruppe von 60 bis 70 Köpfen anlangt. Das vorderste, mit Glocke und Roßhaarbüschen gezierte stattliche Leitthier bleibt plötzlich stehen und reckt den starken Hals, um scheuen Blickes und mit weit geöffneten Nüstern die Gefahr auszuwittern. – Von hinten drängen und stoßen seine Gefährten; es weicht jedoch nicht von der Stelle; aber während der Zeit sind die Arrieiros und Treiber abgestiegen, haben sich die verzweifelte Sachlage angesehen und gehen unverzüglich an die Ausführung des einzig möglichen Auskunftsmittels – nämlich eine Brücke zu bauen. – Aber keine Brücke oder Knüppeldamm aus Holz, da es zu deren Herstellung nahezu an allem Nöthigen, besonders aber an Material und Zeit gebrechen würde, sondern eine Brücke soll gebaut werden, wie sie noch in keinem Compendium der Ingenieurwissenschaften

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_284.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2024)