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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

und die trutzigen Lippen küßte. Ja, trotz dem Richtschwert, womit schon hundert arme Schelme geköpft worden, und trotz der Infamia, womit jede Berührung des unehrlichen Geschlechtes Jeden behaftet, küßte ich die schöne Scharfrichterstochter.

Ich küßte sie nicht bloß aus zärtlicher Neigung, sondern auch aus Hohn gegen die alte Gesellschaft und alle ihre dunklen Vorurtheile, und in diesem Augenblicke loderten in mir auf die ersten Flammen jener zwey Passionen, welchen mein späteres Leben gewidmet blieb: die Liebe für schöne Frauen und die Liebe für die französische Revoluzion, den modernen furor francese[1], wovon auch ich ergriffen ward im Kampf mit den Landsknechten des Mittelalters.

Ich will meine Liebe für Josepha nicht näher beschreiben. So viel aber will ich gestehen, daß sie doch nur ein Präludium war, welches den großen Tragödien meiner reiferen Periode voranging. So schwärmt Romeo erst für Rosalinde, ehe er seine Julia sieht.

In der Liebe giebt es ein provisorisches Fegfeuer, in welchem man sich erst an das Gebratenwerden gewöhnen soll, ehe man in die wirkliche ewige Hölle geräth.

Hölle? Darf man der Liebe mit solcher Unart erwähnen? Nun, wenn ihr wollt, will ich sie auch mit dem Himmel vergleichen. Leider ist in der Liebe nie genau zu ermitteln, wo sie anfängt, mit der Hölle oder mit dem Himmel die größte Aehnlichkeit zu bieten, so wie man auch nicht weiß, ob nicht die Engel, die uns darin begegnen, etwa verkappte Teufel sind, oder ob die Teufel dort nicht manchmal verkappte Engel seyn mögen.

Aufrichtig gesagt: welche schreckliche Krankheit ist die Frauenliebe! Da hilft keine Inokulazion, wie wir gesehen.[2] Sehr gescheute und erfahrene Aerzte rathen zu Ortsveränderung und meinen, mit der Entfernung von der Zauberin zerreiße auch der Zauber. Das Prinzip der Homöopathie, wo das Weib uns heilet von dem Weibe, ist vielleicht das probateste.

So viel wirst du gemerkt haben, theurer Leser, daß die Inokulation der Liebe welche meine Mutter in meiner Kindheit versuchte, keinen günstigen Erfolg hatte. Es stand geschrieben, daß ich von dem großen Uebel, den Pocken des Herzens, stärker als andre Sterbliche heimgesucht werden sollte, und mein Herz trägt die schlechtvernarbten Spuren in so reichlicher Fülle, daß es aussieht wie die Gipsmaske des Mirabeau[3] oder wie die Façade des Palais Mazarin nach den glorreichen Juliustagen oder gar wie die Reputazion der größten tragischen Künstlerinn.[4]

Giebt es aber gar kein Heilmittel gegen das fatale Gebreste? Jüngst meinte ein Psychologe, man könne dasselbe bewältigen, wenn man gleich im Beginn des Ausbruchs einige geeignete Mittel anwende. Diese Vorschrift mahnt jedoch an das alte naive Gebetbuch, welches Gebete für alle Unglücksfälle, womit der Mensch bedroht ist, und unter anderen ein mehrere Seiten langes Gebet enthält, das der Schieferdecker abbeten solle, sobald er sich vom Schwindel ergriffen fühle und in Gefahr sey, vom Dache herabzufallen.

Eben so thörigt ist es, wenn man einem Liebeskranken anräth, den Anblick seiner Schönen zu fliehen und sich in der Einsamkeit an der Brust der Natur Genesung zu suchen. Ach, an dieser grünen Brust wird er nur Langeweile finden![WS 1]

Das wirksamste Gegengift gegen die Weiber sind die Weiber; freylich hieße das, den Satan durch Belzebub bannen, und dann ist in solchem Falle die Medizin oft noch verderblicher als die Krankheit. Aber es ist immer eine Chance, und in trostlosen Liebeszuständen ist der Wechsel der Inamorata gewiß das Rathsamste, und mein Vater dürfte auch hier mit Recht sagen: jetzt muß man ein neues Fäßchen anstechen.[5]

Ja, laßt uns zu meinem lieben Vater zurückkehren, dem irgend eine mildthätige alte Weiberseele meinen öfteren Besuch bei der Göcherinn und meine Neigung für das rothe Sefchen denunzirt hatte. Diese Denunziazionen hatten jedoch keine andere Folge, als meinem Vater Gelegenheit zu geben, seine liebenswürdige Höflichkeit zu bekunden. Denn Sefchen sagte mir bald, ein sehr vornehmer und gepuderter Mann in Begleitung eines Andern sey ihr auf der Promenade begegnet, und als ihm sein Begleiter einige Worte zugeflüstert, habe er sie freundlich angesehen und im Vorbeigehen grüßend seinen Hut vor ihr abgezogen.

Nach der näheren Beschreibung erkannte ich in dem grüßenden Manne meinen lieben gütigen Vater.

Nicht dieselbe Nachsicht zeigte er, als man ihm einige irreligiöse Spöttereyen, die mir entschlüpft, hinterbrachte. Man hatte mich der Gottesleugnung angeklagt und mein Vater hielt mir deswegen ein Standrede, die längste, die er wohl je gehalten, und die folgendermaßen lautete: „Lieber Sohn! Deine Mutter läßt dich beim Rektor Schallmeyer Philosophie studiren. Das ist ihre Sache. Ich, meines Theils, liebe nicht die Philosophie, denn sie ist lauter Aberglauben, und ich bin Kaufmann und habe meinen Kopf nöthig für mein Geschäft. Du kannst Philosoph seyn, soviel du willst, aber ich bitte dich, sage nicht öffentlich, was du denkst, denn du würdest mir im Geschäft schaden, wenn meine Kunden erführen, daß ich einen Sohn habe, der nicht an Gott glaubt; besonders die Juden würden keine Velveteens mehr bei mir kaufen, und sind ehrliche Leute, zahlen prompt und haben auch Recht, an der Religion zu halten. Ich bin dein Vater und also älter als du und dadurch auch erfahrener; du darfst mir also aufs Wort glauben, wenn ich mir erlaube, dir zu sagen, daß der Atheismus eine große Sünde ist.“


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Nachwort.

Mit dieser Nummer der „Gartenlaube“ hat die Veröffentlichung von Heinrich Heine’s Memoiren ihren Abschluß gefunden. „Heinrich Heine’s Memoiren über seine Jugendzeit“ hatte ich das vielumstrittene Manuscript in der Titelüberschrift genannt, um jedem Einwande gegen Umfang und Inhalt desselben zu begegnen.


  1. „Französischer Ungestüm“, eine mittelalterliche italienische Bezeichnung der Angriffsweise des französischen Heeres, – übrigens gewöhnlicher „furia francese“ genannt.
  2. Die betreffende Stelle gehört zu den vernichteten Blättern des Memoiren-Manuscripts 6 bis 31.
  3. Der entsetzlich pockennarbig war.
  4. Rachel.
  5. Man vergleiche mit dem Inhalte dieses Absatzes Heine’s ziemlich aus derselben Zeit stammendes Gedicht:

     Wandern!
    Wenn dich ein Weib verrathen hat,
    So liebe flink eine Andre;
    Noch besser wär’ es, du ließest die Stadt –
    Schnüre den Ranzen und wandre!

    Du findest bald einen blauen See,
    Umringt von Trauerweiden;
    Hier weinst du aus dein kleines Weh
    und deine engen Leiden.

    Wenn du den steilen Berg ersteigst,
    Wirst du beträchtlich ächzen;
    Doch wenn du den felsigen Gipfel erreichst,
    Hörst du die Adler krächzen.

    Dort wirst du selbst ein Adler fast,
    Du bist wie neugeboren;
    Du fühlst dich frei, du fühlst: du hast
    Dort unten nicht Viel verloren!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. [Das Manuscript fährt fort:] und es wäre rathsamer daß er, wenn nicht alle seine Energie erloschen, an ganz andren und sehr weißen Brüsten wo nicht Ruhe, sondern heilsame Unruhe suchte; denn das wirksamste Gegengift gegen die Weiber sind die Weiber
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_286.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)