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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Das hat leider nicht verhindert, daß Diejenigen, welche ihre Hoffnungen auf pikante Enthüllungen unerfüllt sahen, an den „Memoiren“ allerlei auszusetzen fanden. Ich habe natürlich hier nicht Heine als Schriftsteller in Schutz zu nehmen gegen etwaige Unbefriedigung und Enttäuschung; schon in Nummer 6 der „Gartenlaube“ hatte ich vor jeder zu hochgespannten Erwartung gewarnt.

Heute nun bin ich in der angenehmen Lage, den Lesern der soeben abgeschlossenen Veröffentlichung mit voller Bestimmtheit zu versichern: daß die Blätter, welche sie in den letzten drei Monaten gelesen, alles enthalten haben, was jemals von Heine’s Memoiren zum Vorschein kommen wird.[1]

Niemand besitzt auch nur ein einziges Blatt Heine’scher Memoiren, welches nicht in den letzten Monaten in meinen Händen gewesen, und in dem Augenblick, wo ich als Herausgeber von Heine’s Memoiren mich verabschiede, darf ich die actenmäßig festgestellte Thatsache hier verkünden, die für mich früher noch nicht über allem Zweifel erhaben war:

Herr Gustav Heine in Wien hat zu keiner Zeit ein Blatt der Memoiren Heinrich Heine’s besessen und besitzt auch zur heutigen Stunde kein Blatt derselben!

Die Memoiren, welche die „Gartenlaube“ zum ersten Male abgedruckt hat, sind somit nicht nur die „echten“ Memoiren, – was beiläufig niemals bestritten worden – sondern sie sind auch die einzigen Memoiren, welche existiren, nachdem der Dichter in selbstquälerischem Unmuth alle früheren Memoiren mit eigener Hand vor der Abfassung dieser letzten Memoiren verbrannt hat.

In der „Einleitung“ zu den Memoiren (Nr. 6 der „Gartenlaube“) hatte ich noch die Möglichkeit zugelassen, daß Herr Gustav Heine irgendwelches Memoirenmanuscript seines Bruders besitze. Ich hatte damals nur an die Rechtmäßigkeit dieses möglichen Besitzes einen Zweifel geknüpft. Seitdem sind mir von wohlunterrichteten Seiten neue Thatsachen mitgetheilt worden, welche die Möglichkeit, daß Herr Gustav Heine auch nur ein Blatt der ursprünglichen Memoiren besitze, ein für alle Mal beseitigt haben.

Bisher hatten alle Diejenigen, welche an einen Memoiren-Besitz Gustav Heine’s geglaubt, sich lediglich auf eine Stelle in Strodtmann’s Heine-Biographie gestützt, wo, ohne Anführung von Beweismaterial, von einer Verpfändung der Memoiren an Gustav Heine und von einem Geständniß dieser Verpfändung seitens des Dichters an seinen Verleger Julius Campe gesprochen wird. Wenn ich irgendein ganz bescheidenes Verdienst um die Entwirrung der Memoiren-Frage in Anspruch nehmen darf, so ist es dieses: ich habe zuerst die Quelle des Gerüchtes von einer Verpfändung und einer Mittheilung Heine’s darüber an Campe an der richtigen Stelle untersucht: ich habe den Sohn des alten Verlegers Campe einfach gefragt, ob jemals sein Vater von einer solchen Mittheilung Heine’s über eine Verpfändung der Memoiren gesprochen? Da erhielt ich die überraschende Antwort, daß der einzige Zeuge, auf den das Gerücht von einer erfolgten Verpfändung zurückgeführt worden, von einer solchen Verpfändung nie ein Wort von Heine gehört, auch selbst nie an eine solche geglaubt, ja daß er, Julius Campe der Aeltere, nie an das Vorhandensein der ursprünglichen Memoiren nach Heine’s Tode geglaubt!

Damit fällt die Erzählung von einer eingestandenen Verpfändung der Memoiren an Gustav Heine in sich zusammen. Herr Gustav Heine selbst hat auch niemals von einer Verpfändung gesprochen, sondern hat nur, ohne jede nähere Angabe, den Besitz der Memoiren Heinrich Heine’s behauptet.

Die Stellen der Briefe, in welchen Heine in der härtesten Weise von seinem Bruder Gustav spricht, würden mehrere Spalten dieses Blattes füllen; ich führe sie nicht an, weil das üble Verhältniß zwischen diesen beiden Brüdern zu bekannt ist, um etwa an eine Schenkung der Memoiren aus brüderlicher Liebe zu glauben. – Aber Heine hatte nichts zu schenken, denn die Memoiren, an denen er seit seinen zwanziger Jahren gearbeitet, waren in der Zeit von 1850 bis 1854 vollständig von ihm vernichtet worden, bis auf etwa zehn Blätter, die ich in dem Manuscript der Memoiren letzter Hand vorfand: zufällige Ueberbleibsel jener ersten Memoiren, die Heine bei dem Autodafé übersehen.

Die Verbrennung der ersten Memoiren, welche Heine in der Einleitung zu den zweiten Memoiren in Aussicht stellt, ist erfolgt. Ich führe zur besseren Uebersicht noch einmal die betreffenden Worte jener Einleitung hier an, welche von dem Schicksal der ersten Memoiren handeln, eben derselben Memoiren, welche Herr Gustav Heine zu besitzen vorgab:

„Diese Aufzeichnungen, denen ich selbstgefällig den Titel Memoiren verlieh, habe ich jedoch schier zur größeren Hälfte wieder vernichten müssen, theils aus leidigen Familienrücksichten, theils auch wegen religiöser Skrupeln.
Ich habe mich seitdem bemüht, die entstandenen Lakunen nothdürftig zu füllen, doch ich fürchte, posthume Pflichten oder ein selbstquälerischer Ueberdruß zwingen mich, meine Memoiren vor meinem Tode einem neuen Autodafé zu überliefern.“

Die Frage ist also einfach diese: hat Heine auch die Hälfte der ersten Memoiren, welche früher nicht vernichtet worden, während der Abfassung der zweiten Memoiren verbrannt oder nicht? Und die Antwort hat zu lauten: Ja, er hat alles verbrannt!

Zwei Zeugnisse haben wir hierfür: einen Testamentsentwurf Heine’s, und die Aussage des Mannes, in dessen Händen bis zum Januar 1884 sich die Memoiren befunden haben. Der Testamentsentwurf rührt her aus dem Jahre 1854; er weicht von dem schon durch den Druck bekannt gewordenen französischen Testament Heine’s aus dem Jahre 1851 (bei Strodtmann, Band II, S. 427 bis 432) an einer wichtigen Stelle ab, nämlich da, wo er von den Memoiren spricht. Im Testament von 1851, dem noch heute gültigen, findet sich gar keine Erwähnung der Memoiren; in dem Entwurfe zu einem unbeendeten Testamente letzter Hand findet sich bezüglich der Memoiren folgende Stelle:

„Die Manuskripte, welche ich noch besaß (1847), waren leider von der Art, daß eine Umwandlung in meinen religiösen Ansichten, und Rücksichten auf Personen, die ich nicht durch Mißverstand verletzen durfte, mich nöthigten, sie zum größten Theil zu vernichten[2], – vielleicht muß ich sie am Ende gänzlich der Vernichtung preisgeben –, so daß bei meinem Ableben auch diese Ressource für meine Wittwe verloren geht. Mit der Erbschaft meiner Wittwe sieht es also nicht glänzend aus, und ich werde glücklich genug sein, wenn ich ihr nicht Schulden hinterlasse.“

Mit Rücksicht hierauf empfiehlt dann Heine im weiteren Verlauf des Testamentes seine Wittwe der Gnade seines Vetters Karl Heine.

Das zweite Zeugniß rührt her von Herrn Henri Julia, aus dessen Händen die „Gartenlaube“ das Manuscript der Memoiren erworben. Die Glaubwürdigkeit dieses Herrn lasse ich im Uebrigen auf sich beruhen, – für die folgende Mittheilung, welche er unaufgefordert zur Information der Leser nach erfolgtem Ankauf gemacht, also zu einer Zeit, wo er gar kein pecuniäres Interesse an der Sache mehr hatte, ist seine Glaubwürdigkeit unbestreitbar, um so mehr, als seine Aussage mit Allem übereinstimmt, was sich aus Heine’s Briefen, aus dem angeführten Testamentsentwurf und aus der Einleitung zu den Memoiren selbst ergiebt.

Herr Henri Julia war um die Zeit, da er mit Heine bekannt wurde (1854 oder 1855) – durch eine Schrift über Voltaire’s Correspondenz – ein junger angehender Advocat; als Heine in Verlegenheit war, wen er seiner Wittwe als Rechtsbeistand bezeichnen wollte, fiel sein Auge auf diesen jungen Mann, und sein Vertrauen zu ihm ging so weit, daß er seiner Obhut das seit 1854 fertig gewordene Stück der letzten Memoiren übergab. Herr Julia erzählt darüber in einem an die „Gartenlaube“ gerichteten Schreiben, welches für die Veröffentlichung bestimmt war:

„Heinrich Heine hatte eines Tages vor meinen Augen aus einer kleinen Tischschublade, in der sehr viele Papiere aufgehäuft lagen, ein Bündel großer, mit Bleistift beschriebener Blätter herausgenommen und zu mir, sie mir zeigend, gesagt: ,Ich habe meine Memoiren geschrieben und wieder umgeschrieben. Alles ist verbrannt worden. So oft ich daran schrieb, konnte ich dem Drange nicht widerstehen, empfangene Beleidigungen, erlittene Schmerzen zu rächen: auch riß ich viele Masken ab. Aber bei näherer Ueberlegung sagte ich mir, der Löwe müßte sich großmüthig zeigen, und so zog ich meine Krallen ein. Dies hier,‘ fügte er hinzu, ‚ist mein letzter Versuch. Ich weiß nicht, ob ich ihn werde fortsetzen und beendigen können. Wie dem auch sei: geben Sie dieses Manuscript nicht aus Händen ohne Zustimmung meiner Frau. Ich verlasse mich in der Beziehung auf sie und auf Sie, die Ihr nicht nur meine Person, sondern auch meinen Ruhm liebt. Sie werden in dieser Beziehung nach bestem Wissen handeln.‘
Frau Heine und ich haben oft die Frage erörtert, ob wir die Blätter veröffentlichen sollten oder nicht. Wir hatten volle Freiheit, es zu thun, und mehr als einmal waren wir der Versuchung nahe. Was aber Frau
  1. Die vereinzelten, geringfügigen Auslassungen, welche an den betreffenden Stellen als solche bezeichnet worden, hat die „Gartenlaube“ lediglich mit Rücksicht auf ihren Leserkreis vornehmen zu müssen gemeint; die Stellen enthielten unnöthige Derbheiten, von denen sehr zweifelhaft ist, ob Heine sie bei einer letzten Durchsicht – die bekanntlich nie erfolgt ist, selbst hätte stehen lassen.
  2. Ursprünglich stand im Manuscript: „verbrennen“.
  3. Empfohlene Zitierweise:
    Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_287.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)