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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Mit Madame Caroline Jaubert war Heine in den ersten Jahren seines Pariser Aufenthaltes bekannt geworden: auf einem Ball im Vorfrühling 1835. Sie war die Gattin des nachmaligen Rathes am französischen Cassationshof Maxime Jaubert, des Testamentsvollstreckers Heine’s. Kurz nach ihrem im Jahre 1880 erfolgten Tode erschienen die „Souvenirs de Mme. Caroline Jaubert“ bei Hetzel in Paris, enthaltend Erinnerungen an den berühmten bourbonistischen Advocaten Berryer, an Alfred de Musset, Pierre Lanfrey (den Biographen Napoleon’s I.) und – Henri Heine. Kaum 40 Seiten dieses höchst interessanten Buches umfaßt der Heinrich Heine gewidmete Abschnitt, aber ich trage kein Bedenken, ihn als das Beste zu bezeichnen, was außer Meißner irgendein persönlicher Freund über des Dichters Individualität im vertrauten Verkehr geschrieben. Die Mouche spottet an einer Stelle ihrer „Derniers jours de Henri Heine“ über „die kleine Madame Jaubert mit ihrem Sonnenschirm“, aber diese kleine Dame hatte ein scharfes Auge und Ohr und ein gutes Herzensgedächtniß für das wahre Wesen Heine’s, und es ist ungemein zu bedauern, daß sie uns nicht mehr über ihn erzählt hat.

Nach jener ersten Begegnung mit Heine auf dem Balle erhielt sie von ihm die französische Ausgabe seines Buches „Ueber Deutschland“ mit einem allerliebsten Begleitschreiben. Es entspann sich ein gemüthvoller, wenn auch nicht zu häufiger Verkehr, namentlich in dem Salon der mehrfach erwähnten Prinzessin Belgiojoso. In diesem Salon hat Heine oft genug sein glänzendes Unterhaltungstalent bewiesen, und die Geschichtchen, welche Madame Jaubert von Heine’s geistvoller Neckerei und Bosheit erzählt, sind so echtheinisch, daß man irgendeine schlimme Stelle der „Reisebilder“ zu lesen vermeint. Was sie aber an Zügen heroischen Muthes aus den Tagen seiner Krankheit berichtet, ist tief ergreifend. Auch über Frau Mathilde Heine hat sie wahrheitsgetreu und – da frei von Liebe, auch frei von Eifersucht – überwiegend wohlwollend manches Liebenswürdige erzählt; jedenfalls geht aus ihren Mittheilungen hervor, daß Heine’s Liebe zu seiner Mathilde das Echteste war, was er überhaupt an Empfindung besessen. Mathildens Stimme sei es gewesen, die Heine entzückt und immer wieder an diese Frau gefesselt habe, mit der er beiläufig über 20 Jahre zusammen gelebt. „Der Ton ihrer Stimme war für Heine ein ununterbrochener Zauber, er spielte fortwährend darauf an; oftmals hat er mir versichert, daß in seinen Todeskämpfen diese Stimme seine Seele festgehalten, die schon zum Fluge in’s Unbekannte sich anschickte.“ – „Und ließ der Zufall einmal ihre Stimme vom Vorzimmer bis in des Kranken Gemach dringen, dann mußte man sehen, wie er mitten im Gespräch plötzlich aufhörte und den verhallenden Ton mit seinem Lächeln begleitete.“

Und an einer andern Stelle erzählt die liebenswürdige Plaudrerin: „So oft von Goethe – oder von seiner (Heine’s) Frau die Rede war, erhob sich der Kranke auf dem Ellenbogen und senkte die Stimme, als fürchtete er, man möchte an der Thür horchen.“

Madame Jaubert suchte Heine zu zerstreuen. Leider war sie durch ihre zahlreichen gesellschaftlichen Beziehungen und ihre literarischen Freundschaften (namentlich mit Alfred de Musset) zu sehr in Anspruch genommen, um sich dem unglücklichen, einsamen Dichter widmen zu können, – dann schickte sie ihm wenigstens Besuche zu, welche sie für amüsant hielt. So sandte sie ihm einst die Gräfin Kalergis, eine geborne Nesselrode, zu, welche für Heine zu schwärmen vorgab. Sie war eine so imposante Gestalt mit einem blendendweißen Teint, daß Théophile Gautier sie eine „Symphonie in Weiß-Dur“ nannte.

Heine äußerte sich zu Madame Jaubert über die Dame: „Liebe Freundin, das ist ja gar keine Frau, die Sie da bei mir eingeführt haben, – das ist ein Monument: die Kathedrale des Gottes der Liebe.“ Und in seinem tollen Gedicht „Der weiße Elephant“ (Romanzero) läßt er den heiligen Elephanten des Königs von Siam an einer unstillbaren Sehnsucht nach dieser kolossalen Schönheit vergehen.

Madame Jaubert hat Heine zuletzt vier Tage vor seinem Tode gesehen. Kurz vorher hatte er einen heftigen Krampfanfall gehabt, und man glaubte, seine letzte Stunde hätte geschlagen. Heine erzählte die schauerliche Scene seiner Besucherin, welche alles wörtlich wiedergiebt: „Seine Frau eilte schreckerfüllt an sein Bett; sie ergriff seine Hand, drückte sie, erwärmte sie, liebkoste sie. Sie weinte heiße Thränen und jammerte mit schluchzender Stimme: ‚Nein, Henri, nein, Du darfst das nicht thun, Du darfst nicht sterben. Du wirst Mitleid haben! heute Morgen ist mir schon mein Papagei gestorben, – wenn Du stürbest, ich wäre zu unglücklich.‘

‚Das war ein Befehl,‘ fügte Heine hinzu, ‚ich habe gehorcht und fortgefahren zu leben; Sie begreifen, liebe Freundin, wenn man mir triftige Gründe vorführt –‘“

Nach wenigen Tagen reichte der Wille, der jammernden Gattin zu „gehorchen“, nicht mehr hin. Am 17. Februar 1856 ist Heinrich Heine gestorben; am 20. Februar geleitete ein Gefolge von wenigen Dutzenden von Bekannten – darunter Dumas, Gautier, Mignet – Heine’s Leiche nach seiner letzten Ruhestätte auf dem Friedhof von Montmartre. „Ich will nicht in Passy begraben werden, der dortige Kirchhof muß recht langweilig sein,“ schrieb er an Madame Jaubert acht Jahre vor seinem Tode. Und in seinem Testament verordnete er im Jahre 1851: „Ich wünsche auf dem Kirchhofe Montmartre beerdigt zu werden, da ich eine Vorliebe für dies Quartier hege, wo ich lange Jahre hindurch gewohnt habe. – Ich verlange, daß mein Leichenbegängniß so einfach wie möglich sei, und daß die Kosten meiner Beerdigung nicht den gewöhnlichen Betrag derjenigen des geringsten Bürgers übersteigen.“




Die höheren Töchterschulen.

Ein Wort für unser Haus. 0 Von Ferdinand Sonnenburg.
(Schluß.)


Die Tochter gehört vor Allem zur Mutter; man gebe also das Mädchen mehr der Mutter, dem Hause zurück; der Unterricht beschränke sich nur auf die Vormittagsstunden, der Nachmittag gehöre dem Hause![1] Die häusliche Arbeitszeit aber übersteige auch auf der Oberstufe niemals die Dauer einer Stunde – so verlangt es auch das Straßburger Gutachten.

Durch das Freihalten der Nachmittage wird Zeit für genügende Bewegung in frischer Luft, für gemeinschaftliche Spaziergänge unter Führung des Lehrers, aber auch für häusliche Beschäftigung an der Hand der Mutter gewonnen. Diese Arbeiten werden dem Mädchen zur bestimmten täglichen Pflicht gemacht und mit demselben Ernste behandelt, wie der wissenschaftliche Unterricht in der Schule. Wo ein Garten zur Verfügung steht, da öffnet sich ein neues Feld der anmuthigsten erfreulichsten Beschäftigung, und gehört die Tochter zu den Glücklichen, denen ein wirkliches Talent für Musik oder Zeichnen und Malen zu Theil wurde, so ist für die Ausbildung desselben auch genügende Zeit vorhanden.

Auf diese Weise werden die Mädchen nicht allein dem Hause erhalten und die Lust für die Sorge im Hause in ihnen großgezogen, sondern sie werden an Körper, Gemüth und Geist auf das Wirksamste gekräftigt und werden sich in Folge davon mit weit größerer Lust und Kraft als jetzt den wissenschaftlichen Beschäftigungen hingeben; wir werden frische, fröhliche, rotwangige Mädchen in unseren Schulen haben, statt der armen bleichsüchtigen Wesen, die in jeder Stunde den überreizten, schmerzenden Kopf in die Hand stützen. Wenn aber die Schulzeit zu Ende ist, so wird das junge Mädchen nicht im eigenen Hause heimathlos dastehen, sie wird nicht genöthigt sein, nach täglichen Kaffeegesellschaften auszuschauen und hinter Romanen zu sitzen, eine edlere Beschäftigung wird ihr Bedürfniß geworden sein. Und folgt sie später einem Manne, den eigenen Herd zu gründen, so wird der Mann ihre freundlich schaffende Hand zu jeder Stunde und an jedem Orte finden, er wird nicht nöthig haben, die Sorge für

  1. An verschiedenen Orten, z. B. in Leipzig, ist in der städtischen höheren Mädchenschule der Nachmittag frei.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_315.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)