Seite:Die Gartenlaube (1884) 322.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

und nun plötzlich im Augenblick verwehen – Geisterschaaren sind’s, die nach dem Pfeifen des höllischen Musikanten drunten tanzen! Und das Alles über dem Wogen des Gischts, der die unheimlich ausgelassene lustige Schaar bald emporjagt, bald erreicht, bald hinabzieht, bald ein Weilchen mit ihr mitspielt und mittollt, während kleine Flämmchen ihn dann und wann durchblitzen oder wie Irrlichter hin und her huschen. Das ist der echte Hexentanzplatz – kein Dichter hat ihn so dämonisch fesselnd geschildert, wie ich ihn sehe.

„Die Sonne kommt!“

Und nun den Blick zur Aussicht.

Sie, die großartigste Europas, ist oft geschildert worden. Ich habe für die Aufzählung von Ortschaften und Bergspitzen keinen Sinn – was sind mir Namen, wo ich genießen will! Tief unter mir liegt ganz Sicilien, nur ein Stückchen im Westen erreicht den Horizont, sonst fließt, wie der Fluß Okeanos um die Erde, ringsum das ewige Meer. Wie eine langgestreckte Insel taucht das Festland Italiens daraus hervor, wie ein ferner Punkt im Süden Malta, im Norden – ein märchenhafter Anblick – verloren in der Fluth die rauchende Pyramidendreizahl der liparischen Vulcane.

Und jetzt glüht die Sonne empor: ihr erster Gruß trifft unter vielen Millionen heute mich. Und nun röthet sich unter mir der Schnee, nun glühen die Aetnafelsen purpurn herauf, violett die Ströme der Lava. Und nun regt sich’s im weiten Berggebiete – wo ich bisher nur grau gesehen, da hauchen Farben und wieder Farben über’s Land. Nur die Ebene liegt noch in tiefer Ruhe – nein, jetzt erwacht auch sie: das gewaltige Dreieck, das der Aetnaschatten umschließt, ist allein noch gebannt. Alle Einzelfarben aber scheinen in einem flammenden Purpur zu schmelzen, in Purpur auch das Meer. Was frag’ ich jetzt, wo Syrakus liegt und Malta und Stromboli – ich schaue hinab und hab’ nur das eine Gefühl: das ist die Welt! –

Ich mußte aufbrechen, ich mußte scheiden, denn immer wilder drangen die Dämpfe empor, und bald brannten mir Brust und Hals glühend. Bitter empfand ich’s, daß auf Erden nichts vollkommen ist und kein Genuß voll.

Bei Nicolosi.0 Von A. Metzener.

Diesmal ging’s, des Glatteises wegen, eher langsamer den Kratergipfel hinab, als schneller, wie’s natürlich sonst im Vergleiche zum Aufstiege der Fall zu sein pflegt. An der verschneiten Casa inglese machten wir Halt, um uns an Speise und Trank zu stärken. Dann besuchten wir die Torre del Filosofo. Es sind die Trümmer eines alten Baues, den die römische Kaiserzeit errichtet haben soll, man glaubt, zum Schutzhause und zur heiligen Stätte, von der die Besucher des Aetna zu den Göttern flehten. Das Volk nennt sie den Thurm des Zauberers und bringt sie mit Geschichten in Verbindung, die unschwer ihren Ursprung aus der Tradition vom Tode des Empedokles erkennen lassen. Soll sich doch der alte Herr, um seine Leiche vor dem Auffinden zu bewahren und um somit möglichst wunderbar von der Welt verschwunden zu erscheinen, in den Aetna gestürzt haben – der aber war nach Lucian indiscret genug, bei der nächsten Eruption durch Auswerfen eines recognoscirbaren Pantoffels unseres Philosophen Geheimniß zu verrathen. Vielleicht war’s auch hier, wo Hadrian, der kaiserliche Tourist, den damals schon berühmten Sonnenaufgang vom Aetna genoß. Jetzt ragen nur noch ein paar Mauerreste melancholisch aus der Oede hervor. Kein Epheu umwuchert sie mit seinen blühenden Armen, aber mit gespenstischem blassem Finger umtastet den todten Stein die Sage.

Weiter – wir blicken vom oberen Rande schaudernd in die Valle del Bue hinab, in das „großartigste Amphitheater der Welt“, aber auch das grauenvollste. Eine Kluft von zwei und einer halben Stunde im Umfang, von senkrecht herabstürzenden Wänden gebildet, mit nur einem Ausgange liegt vor uns. Drei rothe Krater brechen in der Tiefe aus dem gezackten Schwarz hervor. Der leise Rauch, der aus dem größten derselben noch aufdringt, ist das einzige Bewegte, sonst Todesstarre ringsumher.

Weiter, weiter – wir sehnen uns nach Leben, nach Vögeln in der Luft, nach Pflanzen auf der Erde, nach Stimmen, die uns verstehen. Wir verlassen den Schnee, wir begrüßen den ersten grünen Schimmer, der erste Strauch löst endlich unsere Zunge wieder zur Plauderei. Und da sind ja auch unsere Maulthiere – nun schnell, Meister Langohr, hinunter, daß wir etwas Warmes zu essen bekommen und etwas Kaltes zu trinken.

„Gute Rückkehr!“

„Ah, Sandro, da seid Ihr – hier Euer Trinkgeld für den Mantel!“

Der Hüter der Casa del Bosco reicht uns erst einen frischen Trunk, dann die Hand zum Abschiede. Bäume um uns her – wir können schon ihren Schatten brauchen, denn es wird schnell wärmer. Wieder Gehölz, wieder Lava, Felder, Gehölz, Felder, dort vor uns liegt es ja schon: Nicolosi!

Mich aber fesselte mehr als je die Aetnawelt, die mich umgab, sie, dieser gewaltige Riesenkessel, der bald hier, bald fünf Meilen davon einen neuen Krater, oder zwei, oder ein halbes Dutzend derselben aus dem Boden emportreibt. Noch einmal genoß ich mit ganzem Auge dies gewaltigste Bild des Kampfes zwischen Leben und Tod. Auf diesen selben furchtbaren Massen, die heute tiefschwarz, zerzackt und zerklüftet starren – wer weiß, ob nicht auf ihnen schon nach ein paar Jahren der Cactus mit seinen schneidenden Wurzeln frischem jungem Leben den Pfad gebahnt haben wird? Der Mensch aber baut sich aus demselben düstern Steine, der seine alten Dörfer vernichtete, seine neuen Dörfer auf, und dieselbe Asche, die seine Eltern begrub, nährt seinen Kindern den Wein. Wer freilich weiß, wann ein neuer Ausbruch den Weinberg – wieder zum Krater macht?

Nach kurzer Rast und Mahlzeit verließ ich Nicolosi wieder und wanderte nach Catania hinab. Die Sonne des Tages, die mir über Schnee und Eis aufgegangen, ging mir hinter Limonen, Palmen und Bananen unter.


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_322.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2024)